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Wir müssen Rassen von krankmachenden Zuchtzielen befreien, findet Achim Gruber.
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Wir müssen Rassen von krankmachenden Zuchtzielen befreien, findet Achim Gruber.

Interview

Rassezucht am Scheideweg

Tierpathologe Prof. Dr. Achim Gruber schrieb in „Kuscheltierdrama“ über das stille Leiden vieler Haustiere. Sein neues Buch, „Geschundene Gefährten“, beschäftigt sich mit Irrwegen in der Rassezucht. 

Ihr Buch geht hart mit Defektzuchten und der Zucht reinrassiger Hunde ins Gericht. Möchten Sie Hunderassen abschaffen?

Achim Gruber: Nein, natürlich nicht. Rassen an sich sind ja gar nicht das Problem. Gute Rassezucht kann viel Freude und Qualität in die Mensch-Tier-Beziehung bringen. Doch die erst seit rund 150 Jahren, teils erst deutlich später, praktizierte Zucht REINER Rassen mit geschlossenen Zuchtbüchern, oft dramatischer genetischer Verarmung, vielfachen Degenerationen und zahlreichen krankmachenden Zuchtzielen muss dringend auf den Prüfstand.   

Sie fordern dazu auf, Rassen neu zu denken. Was konkret muss sich ändern?

Gruber: Alle Rassen sind rein menschengemacht. Und sie wurden immer mal wieder verändert, angepasst, korrigiert. Genau das brauchen wir jetzt, trotz der vielen gegenteiligen Überzeugungen mancher Rassefans. Konkret haben wir zwei Handlungsfelder: Erstens müssen wir viele betroffene Rassen von krankmachenden Zuchtzielen befreien. Diese sind immer noch teils als schriftliche Aufrufe zum Verstoß gegen das Tierschutzgesetz in manchen offiziellen Rassestandards der Traditionszüchter vorgeschrieben. Rassestandards dürfen nicht über dem Qualzuchtparagrafen 11b stehen.


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Das zweite Kernproblem ist die Verarmung der Genpools. Sie hat in vielen Rassen zu einer weiten Verbreitung von Erbkrankheiten geführt. Darüber hinaus verhindert sie vielfach das Rückzüchten zu gesunden Anatomien und Körperfunktionen. Kreuzungszuchten, also das punktuelle, teils auch systematische Einkreuzen anderer Rassen oder auch von Mischlingen oder gar Wildhunden kann beide Probleme lösen. Doch es gibt auch andere Auswege. Wir müssen wegkommen von Erbhygiene und der Verherrlichung von Blaublütigkeit. Die moderne Genetik hilft dabei.       

Wo sehen Sie die Rolle der tierärztlichen Kolleginnen und Kollegen auf diesem Weg?

Gruber: Tierärztinnen und Tierärzte müssen als berufene Schützer der Tiere ihr gesamtes Fachwissen und ihre Überzeugungskraft gegenüber den Besitzerinnen und Besitzern einsetzen, um diese Ziele umzusetzen. Aufklärung und Beratung gegenüber Menschen, die vor der Anschaffung eines Hundes oder einer Katze stehen, zählen zu den Kernaufgaben der praktizierenden Tiermedizin.   

Müssen Tiermediziner und Züchter für eine gesunde Zucht in Zukunft noch enger zusammenarbeiten?

Gruber: Ja. Gentests und zukünftig komplexere Erbgutanalysen sind dafür unverzichtbar. Dabei handelt es sich aber nur um einen von vielen Bausteinen auf dem Weg zu einer gesünderen Zukunft unserer Gefährten. Manche Züchterinnen und Züchter wissen das schon, andere sind noch zögerlich oder scheinbar unbelehrbar. Man darf die züchtende Zunft nicht über einen Kamm scheren. 

Haben Sie das Buch geschrieben, das Tierärztinnen und Tierärzte ihren Kunden vor dem Welpenkauf in die Hand drücken sollten?

Gruber: Speziell an diese Situation habe ich gar nicht gedacht, aber ja: Genau für diese Klientel bietet das Buch wichtige Entscheidungshilfen. Es ist für jeden Laien leicht verständlich geschrieben, und die Aufklärungen und Empfehlungen sind in bewegende Tier- und Menschenschicksale verpackt.

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