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Bei einem Status epilepticus ist schnelles Handeln gefragt.

Inhaltsverzeichnis

Journal Club

First-Line-Management des caninen Status epilepticus

Dieser Artikel gibt einen Überblick  über die Vor- und Nachteile der verschiedenen Verabreichungswege von Benzodiazepinen zur Anwendung im Status epilepticus.

Hintergrund

Obwohl die meisten epileptischen Anfälle selbstlimitierend sind und nur wenige Sekunden oder Minuten dauern, können sie in manchen Fällen länger anhalten und in einen Status epilepticus (SE) übergehen. Ein SE ist klinisch definiert als ein epileptischer Anfall, der länger als fünf Minuten andauert, oder als eine Serie von Anfällen ohne zwischenzeitliche vollständige Erholung. Ein SE ist ein häufiger neurologischer Notfall und kann bei Hunden mit idiopathischer Epilepsie, struktureller Epilepsie oder reaktiven Krampfanfällen auftreten. Er kann zu dauerhaften Hirnschäden und verschiedenen systemischen Komplikationen führen. Bei Hunden liegt die Mortalitätsrate zwischen 25,3 und 38,5 %. Deshalb sollte schnell gehandelt werden, um die Anfälle zu beenden – entweder zu Hause oder in der Klinik.

Benzodiazepine (BZDs) werden aufgrund ihrer hohen Wirksamkeit und des schnellen Wirkungseintritts seit Jahrzehnten in der First-Line-Therapie bei Krampfanfällen eingesetzt. Dieser Review soll einen Überblick über das SE-Management verschaffen sowie Vor- und Nachteile der verschiedenen Verabreichungswege von BZDs darstellen.

Therapeutische Überlegungen bei einem Status epilepticus


Top Job:


Ein SE lässt sich in verschiedene Stadien einteilen.

  • Bevorstehender SE: < 5 min kontinuierlicher epileptischer Anfall; spricht wahrscheinlich auf eine First-Line-Therapie an
  • Etablierter SE: < 30 min kontinuierlicher epileptischer Anfall; spricht wahrscheinlich noch auf eine First-Line-Therapie an; eine zusätzliche Therapie, z. B. mit Phenobarbital, oder eine Allgemein­anästhesie können nötig werden
  • Refraktärer SE: < 30–60 min kontinuierlicher epileptischer Anfall; wahrscheinlich resistent gegenüber First-Line-Management; eine Allgemeinanästhesie ist wahrscheinlich nötig
  • Superrefraktärer SE: > 24 h kontinuierlicher epileptischer Anfall; wahrscheinlich resistent gegenüber jeder Therapie

Dass ein SE mit der Zeit refraktär wird, liegt an verschiedenen Prozessen, die ein Ende der Anfallsaktivität verhindern. Dazu gehören der Verlust der GABA-induzierten Hemmung, die durch die N-Methyl-d-Aspartase (NMDA) und AMPA-Rezeptoren für Glutamat induzierte Hochregulation der Erregung und die Überexpression von Blut-Hirn-Schranken-Transportern.

BZDs hemmen die Erregungsweiterleitung durch eine Bindung an der Gamma-Untereinheit der GABA-Rezeptoren. Medikamente, die auch an anderen Untereinheiten wirken, wie Phenobarbital und Propofol, können bei einer BZD-Resistenz effektiver sein. Im weiteren Verlauf des Statuts epilepticus kommt es durch verschiedene zelluläre Prozesse zu einer vermehrten Glutamat-induzierten Erregung. Glutamatrezeptor(NMDA)-Antagonisten wie Ketamin können daher in refraktären Stadien hilfreich sein. Eine Überexpression von Blut-Hirn-Schranken-Transportern führt zu einer Pharmakoresistenz.

Benzodiazepine

Aus der Gruppe der Benzodiazepine werden in der Tiermedizin hauptsächlich Midazolam (MDZ) und Diazepam (DZP) zur Therapie des SE eingesetzt, wobei nur DZP derzeit für Kleintiere zugelassen ist. DZP sollte eine Serumkonzentration von 0,15–0,5 μg/ml in 10–15 min erreichen, um die Krämpfe in einem SE zu kontrollieren. Für MDZ wurden für Hunde noch keine Werte festgelegt, aber von der Humanmedizin weiß man, dass < 0,04 μg/ml wirksam sind. Dies wird auch für Hunde angenommen. Zudem ist MDZ vermutlich potenter als DZP. In einer Studie mit Hunden zeigte sich eine größere suppressive Wirkung. Auch aufgrund seiner größeren Sicherheit wird MDZ zunehmend populärer. MDZ kann in einer Dosis von 0,2–0,5 mg/kg i. v., i. m. oder i. n. (intranasal) gegeben werden. DZP lässt sich als Bolus oder Dosis von 0,5–1 mg/kg i. v. oder rektal verabreichen. Wiederholte Gaben führen zur Akkumulation, weshalb insgesamt nur zwei bis drei Boli gegeben werden sollten.

Verabreichungswege

Intravenös

Nach i. v. Gabe von BZDs setzt die Wirkung schnell innerhalb von < 2–7 min ein. Da es schwierig sein kann, während eines Krampf­anfalls einen Venenzugang zu legen, kann es zu einer Behandlungsverzögerung kommen.

Intramuskulär

Die i. m. Gabe von MDZ kann genauso effektiv sein wie die i. v. Gabe, da keine Zeitverzögerung durch das Legen eines Venenkatheders entsteht. Die maximale Serumkonzentration ist nach 10–15 min erreicht. DZP sollte aufgrund der ungleichmäßigen Absorption nicht i. m. verabreicht werden.

Bukkal und sublingual

Die Wirkung setzt bei bukkaler MDZ-Gabe nach 5–10 min ein. Sublingual wirkt es möglicherweise schneller, weil die Haut an dieser Stelle dünner ist. Eine bukkale oder sublinguale Medikamentengabe ist auch zu Hause möglich. Es besteht jedoch die Gefahr, dass der Besitzer gebissen oder verletzt oder ein Teil des Medikaments verschluckt wird und sich dadurch der Wirkungseintritt verzögert.

Oral

Nach oraler Gabe kommt es zu einem verzögerten Wirkungseintritt aufgrund der langsamen gastrointestinalen Absorption und eines ausgeprägten First-Pass-Effekts in der Leber. Die orale Gabe ist daher ungeeignet für eine Notfallbehandlung.

Rektal

Bei Hunden wurde die rektale Gabe von DZP oft als Alternative empfohlen, wenn kein Venenzugang gelegt werden kann. In neueren Studien zeigte sich aber, dass die rektale DZP-Gabe, verglichen mit anderen Verabreichungswegen, relativ ungeeignet ist. So wurde in einer Studie festgestellt, dass nur bei 20 % der Hunde ein SE mit rektaler Gabe von DZP beendet werden konnte (versus 70 % bei i. n. MDZ-Gabe).

Intranasal

Dieser Verabreichungsweg hat mehrere Vorteile. Der Wirkstoff gelangt schnell und effizient in das Gehirn und die i. n. Gabe wird gut für die Anwendung zu Hause akzeptiert. In neueren Studien zeigte sich i. n. MDZ nicht nur gegenüber rektaler DZP-Gabe, sondern auch gegenüber i. v. MDZ überlegen, besonders wenn die Zeit eingerechnet wird, die man benötigt, um einen Venenkatheder zu legen. In zwei klinischen Studien mit Hunden mit SE sprach ein Großteil (70–76 %) gut auf die Behandlung an.

Bei der i. n. Verabreichung gelangt der Wirkstoff über zwei Wege in das Gehirn: über die Blutzirkulation und direkt über die Nerven. Beim direkten Weg wird der Wirkstoff von der Nasenschleimhaut aufgenommen und gelangt über den N. trigeminus und den N. olfactorius unter Umgehung der Blut-Hirn-Schranke in das Gehirn. Die Umgehung der Blut-Hirn-Schranke kann besonders bei pharmakoresistenten Fällen hilfreich sein. Bisher wird dieser Verabreichungsweg in der Veterinärmedizin jedoch nicht oft umgesetzt.

Schlussfolgerung

BZDs sind weiterhin für das Management des SE beim Hund wichtig, trotz des möglichen Wirkungsverlusts in fortgeschrittenen SE-Stadien. Für die Behandlung zu Hause ist i. n. MDZ wahrscheinlich eine effektive und sichere erste Wahl, um einen Status epilepticus zu beenden. (Dr. med. vet. Eva Rompa)

Originalpublikation

Charalambous M, Volk HA, Van Ham L, Bhatti SFM (2021): BMC Vet Res 17(1): 103. First-Line-Management des caninen Status epilepticus zu Hause und in der Klinik sowie Einschränkungen der verschiedenen Verabreichungswege von Benzodiazepinen. doi.org/10.1186/s12917-021-02805-0.

Nachgefragt

Die Redaktion der Kleintierpraxis hat bei Prof. Dr. ­Holger A. Volk, Direktor der Klinik für Kleintiere der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, nachgefragt.

Was empfehlen Sie zur ersten Notfallbehandlung durch den Besitzer, wenn der Hund zu Hause plötzlich einem Status epilepticus bekommt?

Prof. Dr. Holger A. Volk: Die Gabe von Diazepam rektal ist eine gute Option für eine Notfallbehandlung durch die Besitzer. Man muss ihnen jedoch zeigen, wie man sie richtig durchführt, damit sie effektiv wirken kann. Intranasale Midazolam-Therapie könnte jedoch in Zukunft eine interessante Option werden.

Epilepsie ist eine sehr emotional belastende Erkrankung für die Besitzer. Notfallmedikation hilft den Besitzern auch, wieder mehr das Gefühl zu haben, dass sie eine Notfallsituation auch alleine meistern können.

Seit einiger Zeit werden ja zunehmend Futtermittel mit mittelkettigen Fettsäuren ergänzend zur Therapie von Epileptikern empfohlen – haben Sie den Eindruck, dass die Gabe einen Status epilepticus verhindern könnte?

Prof. Dr. Holger A. Volk: Hierzu haben wir noch keine ausreichende Datenlage. Bei Menschen gab es erste Untersuchungen, dass eine ketogene Therapie eventuell hilfreich ist, einen ­refraktären Status epilepticus besser kontrollieren zu können.

Gibt es Hunderassen, die prädisponiert sind für einen Status epilepticus?

Prof. Dr. Holger A. Volk: Bestimmte Hunderassen wie Border Collie, Australian Shepherd, Deutscher Schäferhund und ­Staffordshire Bullterrier haben häufiger einen schweren Verlauf einer idiopathischen Epilepsie, welcher mit Serienanfällen assoziiert ist. Das häufigere Auftreten von Serienanfällen prädisponiert für einen Status epilepticus.

Was sind mögliche Folgen, wenn zu spät in die Therapie eingegriffen wird?

Prof. Dr. Holger A. Volk: Neben Gehirnschädigungen kann das auch zu Multiorganversagen und damit zum Tode führen.

Können auch andere Erkrankungen einen Status ­epilepticus vortäuschen – zum Beispiel spezielle ­Vergiftungen?

Prof. Dr. Holger A. Volk: Die häufigsten Ursachen für einen Status epilepticus sind Vergiftungen, dann eine strukturelle oder idiopathische Epilepsie. (Das Interview führte Jennifer Strangalies)

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