Fleisch von glücklichen Rindern aus der Region wünschen sich viele Verbraucher. Immer mehr Landwirte setzen auf eine nachhaltige Fleischproduktion mit Fokus auf hohe Qualität und mehr Tierwohl. Doch auch Schlachttieren aus sehr guter Haltung bleibt ein letzter Weg zum Schlachtbetrieb bisher selten erspart. Für die Tiere bedeutet das in erster Linie Stress. Separieren vom vertrauten Herdenverband, Verladen, Transport, fremde Umgebung, Handling durch Fremde – der letzte Tag im Leben eines Schlachttieres ist nicht selten der belastendste. Darunter leidet das Tier, aber auch die Fleischqualität.
Hofnahe Schlachtung ist jetzt möglich
Bis vor zwei Jahren sah das europäische Recht vor, dass Schlachttiere grundsätzlich lebend am Schlachthof eintreffen müssen. Eine Ausnahmeregelung gab es in Deutschland nur für den Kugelschuss bei ganzjährig auf der Weide gehaltenen Rindern. Für Mastrinder aus Stallhaltung oder aus saisonaler Freilandhaltung war ein Lebendtransport zum Schlachtbetrieb unvermeidlich.
Zu einem Umdenken haben in den letzten Jahren unter anderem die deutschen Pilotprojekte „Schlachtung mit Achtung“ (Baden-Württemberg) und „Extrawurst“ (Hessen) beigetragen, in denen Schlachtanhänger für die teilmobile Schlachtung von Rindern entwickelt wurden. Die Rinder werden per Bolzenschuss im Fixierstand betäubt und mussten damals noch mithilfe einer Winde bzw. eines Schlittens innerhalb von 60 Sekunden in den Hänger gezogen werden, um der Vorschrift genüge zu tun, dass die Tiere lebend im Schlachtbetrieb eintreffen müssen. Dr. Veronika Ibrahim hat das Projekt „Extrawurst“ als Tierärztin begleitet und freut sich, dass das Beispiel inzwischen Schule macht: „So hat man in der Politik gemerkt: Mobile Schlachtung ist machbar“.
Top Job:
Mobile und teilmobile Schlachtung: das ist erlaubt
Im September 2021 trat schließlich eine neue EU-Regelung zur Nutzung mobiler Schlachteinheiten in Kraft, die deutlich mehr Möglichkeiten für eine hofnahe Schlachtung eröffnet. Diese sollen nun vermehrt genutzt werden: Anfang 2023 gab das BMEL bekannt, dass es die mobile Schlachtung in Deutschland ausbauen und innovative Forschungsvorhaben zur Schlachtung auf dem landwirtschaftlichen Betrieb gezielt fördern möchte.
Grundsätzlich unterscheidet man drei Möglichkeiten der hofnahen Schlachtung von Huftieren:
- Die Schlachtung im hofeigenen, zugelassenen Schlachthaus
- Die vollmobile Schlachtung in einem zugelassenen mobilen Schlachthof, in dem alle Schlachtarbeiten durchgeführt werden
- Die teilmobile Schlachtung, bei der die Tiere im Herkunftsbetrieb betäubt und entblutet werden. Anschließend müssen sie innerhalb von zwei Stunden (ohne Kühlung) in einen Schlachthof transportiert werden, wo die Fleischuntersuchung stattfindet.
Seit September 2021 erlaubt Kapitel VIa des Anhangs III Abschnitt I Verordnung (EG) Nr. 853/2004 die teilmobile Schlachtung von bis zu drei Rindern oder Pferden bzw. bis zu sechs Schweinen pro Schlachtvorgang im Herkunftsbetrieb. Voraussetzungen sind beispielsweise eine zugelassene mobile Schlachteinheit, ein Fixierstand und eine Nutzungsvereinbarung zwischen Schlachthof und Herkunftsbetrieb. Ein amtlicher Tierarzt muss drei Tage vorher informiert werden und bei der Schlachtung anwesend sein. Ein Begleitpapier zu Schlachttieruntersuchung und Entblutungszeitpunkt begleitet das geschlachtete Tier dann zum Schlachthof.
Von der mobilen Schlachtung abzugrenzen ist die Hausschlachtung zum Eigenkonsum.
Forschung zur hofnahen Schlachtung
Nach der Pilotarbeit u.a. in Hessen widmen sich aktuelle Projekte an den tiermedizinischen Universitäten der wissenschaftlichen Evaluation und dem Wissenstransfer in die Praxis. An der Universität Leipzig begleiten Prof. Dr. Ahmad Hamedy, Dr. Philipp Rolzhäuser und ihr Team seit Sommer 2022 im Rahmen des Projektes „Hofnahe Schlachtung im Dialog“ mobile Schlachtungen wissenschaftlich, um Schulungsmaterialien und Best-Practice-Beispiele für Tierhalter, Metzger und Tierärzte zu entwickeln.
Ein erster Workshop im März 2023 sollte Herausforderungen identifizieren, mögliche Lösungen und Wünsche aufzeigen. Neben dem Verlangen nach offener Kommunikation, weniger Zettelwirtschaft und gegenseitiger Unterstützung wurde ein zentraler Wunsch deutlich: Mut!
Die mobile Schlachtung wird als Chance für mehr Tierwohl gesehen, die nicht an praktischen Hindernissen scheitern sollte. Parallel zum Workshop wurden Umfragen durchgeführt, in denen sich die Teilnehmer ähnlich äußerten: „Man möchte die Landwirte und Fleischer bei dieser tierschutzgerechteren Schlachtung gerne unterstützen und sie nicht mit übertriebenen Kosten und Bürokratie abschrecken“, befand eine Tierärztin.
An der Fachhochschule Südwestfalen untersucht läuft seit Ende 2022 ein Projekt zur Förderung des Tierwohls in der mobilen Geflügelschlachtung. Und an der TiHo Hannover startete im Januar 2023 das Projekt „Stressreduktion durch (teil-)mobile Schlachtung bei Geflügel und Rindern“ (StronGeR). Sechs am Markt verfügbare (teil-)mobile Schlachtsysteme für Rinder und Geflügel sollen im Hinblick auf Tierwohl, Fleischhygiene sowie Technik wissenschaftlich evaluiert und optimiert werden.
Mehr Tierschutz möglich machen
Angesichts des Fachkräftemangels in der Tiermedizin fürchteten die befragten Tierärzte im Leipziger Workshop Engpässe bei der Akquise und Qualifizierung amtlicher Tierärzte, die bei jeder Schlachtung anwesend sein müssen. Nötig seien eine transparente Betrachtung der Wirtschaftlichkeit sowie klare, einheitliche Kostenstrukturen.
Auch Veronika Ibrahim kennt diese Sorge: „Bei den amtlichen Tierärzten ist oft das Problem, dass sie genau zu dem Zeitpunkt, wo Bolzen- oder Kugelschuss stattfinden, vor Ort sein müssen, um den Entblutezeitpunkt zu bestätigen. Die Terminabstimmung mit dem Schützen und Tierarzt ist häufig schwierig.“ Sie wünscht sich von den Kollegen, dass sie diese Termine im Sinne des Tierschutzes trotz aller Schwierigkeiten möglich machen: „Ich appelliere ein bisschen an den Idealismus der Tierärzte“.