„Die Tiere verhalten sich deutlich ruhiger, wenn sie Blickkontakt zu ihren Artgenossen haben“, berichtet Dr. Veronika Ibrahim vom Hessischen Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Sie setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass mehr Tiere auf dem Herkunftsbetrieb geschlachtet werden können.
„Für viele Schlachttiere bedeutet es so viel Stress, von der Herde getrennt zu werden – sogar, wenn der Transport nur kurz ist“, berichtet Ibrahim aus Ihrer Erfahrung als Amtstierärztin. Im Gegensatz dazu erlebt sie mobile Schlachtungen als wesentlich schonender für die Tiere: „Auf dem Herkunftsbetrieb steht das Rind friedlich in der Falle oder auf der Weide und frisst noch. Den Schuss bekommt es aus heiterem Himmel und bevor es das auch nur hört, liegt es da und ist tot.“
Neue EU-Regelungen eröffnen neue Möglichkeiten zur teilmobilen Schlachtung, die derzeit vor allem für Rinder genutzt werden. Die einzelnen Bundesländer setzen die neue Rechtslage unterschiedlich schnell um. In Hessen wurden im Jahr 2022 153 Rinder mit Kugel- und 108 Rinder mit Bolzenschuss hofnah geschlachtet. Fehlbetäubungen sind dabei seltener als im Schlachthof. In Hessen lag die Fehlbetäubungsrate bei mobilen Schlachtungen bei 0,9 Prozent (Bolzenschuss) bzw. 1,3 Prozent (Kugelschuss).
Kugelschuss nur bei ganzjähriger Weidehaltung?
Top Job:
Eine Rinderschlachtung mit Bolzenschuss und mobiler Schlachteinheit ist unabhängig von der Haltungsform möglich. Laut EU-Recht würde das auch für den Schuss mit der Feuerwaffe gelten, die nationale Tierschutz-Schlachtverordnung sieht den Kugelschuss jedoch nur für ganzjährig auf der Weide gehaltene Rinder vor. Laut Beschluss der Agrarministerkonferenz soll diese Einschränkung in Zukunft gestrichen oder zumindest auf saisonal auf der Weide gehaltene Tiere ausgeweitet werden.
Fehlbetäubungsrisiko durch Kugelschuss senken
Veronika Ibrahim wünscht sich bereits jetzt die Möglichkeit, in Einzelfällen beispielweise für einen schweren Bullen oder Wasserbüffel den Kugelschuss auch dann zu genehmigen, wenn die Herde im Winter einige Monate im Stall verbringt. Wenn das Handling sehr schwierig ist oder Fehlbetäubungen aufgrund einer besonders dicken Schädeldecke beim Bolzenschuss wahrscheinlicher sind, böte ein Kugelschuss auf der Weide unter Umständen mehr Tierschutz. Hessen hat beim Bund angefragt, ob in solchen Fällen nicht bereits jetzt EU-Recht gelten müsse.
Ob Bolzen- oder Kugelschuss, Ibrahim freut sich über reges Interesse an den mobilen Schlachtverfahren unter den Rinderhaltern und Metzgern und sieht noch Ausbaumöglichkeiten – „vor allem wenn es gelingen würde, das Fleisch mit einer entsprechenden Kennzeichnung über den Lebensmitteleinzelhandel zu vertreiben“. Vermutlich noch 2023 steht eine erneute Änderung der EU-Gesetzgebung an, die voraussichtlich auch die teilmobile Schlachtung von Schafen und Ziegen ermöglichen wird.
Schweine und Geflügel mobil schlachten?
Die mobile Schlachtung von Schweinen ist in der Praxis schwieriger umzusetzen. Vollmobile Schweineschlachthöfe müssten sehr groß sein und über Starkstromanschlüsse verfügen, teilmobil wird nicht nur eine Elektrozange benötigt, sondern auch ein sehr gutes Zeitmanagement. Dr. Hanna Wullinger-Reber berichtete 2019 in ihrer an der LMU München durchgeführten Doktorarbeit von der mobilen Schlachtung von Schweinen aus ganzjähriger Freilandhaltung in Niederbayern, die sie abschließend als weitgehend stressfrei für die Tiere und allen fleischhygienischen Anforderungen genügend beschreibt. Diese Schweine konnten allerdings in einem nur zehn Minuten entfernten Schlachtbetrieb weiter verarbeitet werden.
Bei Geflügel ist grundsätzlich nur eine vollmobile Schlachtung möglich. Ohne EU-Zulassung des mobilen Schlachthofs dürfen nur weniger als 10.000 Stück hofeigenes Geflügel im Jahr geschlachtet werden und das Geflügel darf nur frisch an den Endkunden oder an nahe gelegene Einzelhandelsbetriebe verkauft werden.
2022 bekam in Hessen der bundesweit erste vollmobile Schlachthof für Geflügel eine EU-Zulassung. Nur so können verschiedene kleine Betriebe den Schlachthof am gleichen Ort und am gleichen Schlachttag nutzen. Ibrahim berichtet, dass ein zweiter entscheidender Vorteil in den erweiterten Vermarktungsmöglichkeiten liegt – Fleisch aus zugelassenen Schlachthöfen darf zu Produkten wie Geflügelwürstchen weiterverarbeitet werden. Dies erleichtert die Vermarktung von Legehennen und Bruderhähnen. Der Aufwand sei allerdings groß: „Es muss immer ein Tierarzt die Schlachttier- und Fleischuntersuchung machen und auch der Dokumentationsaufwand für den Betreiber ist erheblich höher.“