Image
Rinder zählen zu den Lieblingstieren von Erik Schmid.
Foto: Privat
Rinder zählen zu den Lieblingstieren von Erik Schmid.

Inhaltsverzeichnis

Portrait

„Du musst als aktiver Teil mitten ins System“

Tierarzt Dr. Erik Schmid scheut auch in der Pension keine Konflikte, sondern kämpft mit Leib und Seele für die Interessen der Tiere.

Eine Reise ins Ländle, genauer nach Götzis, wo Erik Schmid lebt, wäre reizvoll gewesen, doch trafen wir einander klimaschonend in Salzburg bei der VÖK-Tagung. Der Vorarlberger hielt im Rahmen des Vorprogramms einen Vortrag über die Behandlung zuchtbedingter Erkrankungen: „Individuelle Hilfe für das Tier oder Beihilfe zur Verbreitung von Qualzucht?“ Ein aktuelles, herausforderndes Thema – aber Kollege Schmid liebt Herausforderungen. Schmids Werdegang und sein Engagement sind vielfältig und so fällt es schwer, die Antworten, die aus ihm nur so heraussprudeln, in diesem Rahmen unterzubringen.

Studienzeit: ein Vorarlberger in Wien

Erik Schmid wuchs „tierlos“ in einem Gasthaus auf, hatte aber schon als Kind den Wunsch, Tierarzt zu werden. Zum Studium zog er ins weit entfernte Wien. Neben den sprachlichen Hürden im Dialekt „vor allem für die anderen Gesprächsteilnehmenden“, ergänzt Erik grinsend, gibt es Differenzen in der Lebenseinstellung. „Mit der Wiener Raunzerei und der Wurstigkeit hat ein ‚g’höriger‘ Vorarlberger nichts am Hut. Wobei man ‚g’hörig‘ nicht falsch als ‚gehörig‘ im Sinne von obrigkeitshörig übersetzen darf, ganz im Gegenteil …“ Erik wird von seinen Freunden als „g’rada Michl“ beschrieben: geradlinig, offen, direkt. Nicht immer einfach im Umgang, da ganz und gar nicht konfliktscheu – aber prinzipiell gutmütig, ehrlich und nicht nachtragend.

Assistenzzeit in einer Kleintierklinik in Hamburg


Top Job:


Mit dem Ziel, die erste Kleintierklinik in Vorarlberg zu eröffnen, ging Schmid sofort nach Studien­abschluss 1981 als Assistent an eine renommierte Tierklinik nach Hamburg, baute dort eine Zahnstation auf und hätte als Teilhaber einsteigen können. Doch in den langen Nachtdiensten kamen dem Kleintierpraktiker Zweifel, ob das Behandeln überversorgter Hündchen ihm Erfüllung bringen würde. Die heimischen Berge fehlten ihm wohl auch.

„Ein Hund ist wie ein Herz auf vier Beinen“

Das irische Sprichwort spricht Tierärztin Dr. Regina Wagner, die im Waldviertel Französische Wasserhunde züchtet, aus der Seele.
Artikel lesen

Amtstierarzt in Vorarlberg

Genau zu dieser Zeit hatte das Amt der Vorarlberger Landesregierung die Stelle eines Amtstierarztes ausgeschrieben. Weil damals Tierschutz in Gesetz­gebung und Vollzug Landessache war, war die Überlegung des jungen Tierarztes ganz einfach: „Wenn ich im Tierschutz auf Landesebene was bewegen will, dann muss ich als aktiver Teil direkt mitten ins System.“ Da Schmid der einzige Bewerber war, brauchte er auch keine Empfehlungen, „was mir immer eine große Unabhängigkeit erhalten hat“, resümiert er.

Seuchenbekämpfung

Dass er mit knapp 30 Jahren zum Landesveterinär berufen wurde, bezeichnet Schmid als „Notlösung“. Die Landesregierung stand 1985 unter massivem Handlungsdruck, weil es 234 Tollwutfälle gab, darunter 16 Rinder, 10 Katzen, 2 Hunde und 2 Pferde. Die Verunsicherung, insbesondere in der Landwirtschaft und im Tourismus, war sehr groß.

Orale Immunisierung der Füchse

Schmid war allein verantwortlich dafür, dass innerhalb von nur 45 Tagen flächendeckend in 454 Jagdrevieren die Impfköder mit Lebendvirus ausgelegt wurden – eine riesige logistische Herausforderung, die von Erfolg gekrönt wurde: Die Tollwutfälle gingen 1986 auf 57 Fälle (davon 7 Haustiere) und 1987 auf 0 zurück. Die orale Immunisierung der Füchse nach diesem Modell wurde dann vom Bund und anderen Ländern übernommen. 1990 erhielt Schmid von der WHO eine Auszeichnung für diese Pionierarbeit.

Image
Abb. 1: Die „Vorarlberger Delegation“ ist mit Freude in Ruanda im Einsatz. Links im Bild: Thomas und Paul Schwarzmann sowie Lena Grabher, rechts Erik Schmid, im Hintergrund Mitarbeitende des Veterinärprojekts und interessierte Kinder.
Foto: Thomas Schwarzmann
Abb. 1: Die „Vorarlberger Delegation“ ist mit Freude in Ruanda im Einsatz. Links im Bild: Thomas und Paul Schwarzmann sowie Lena Grabher, rechts Erik Schmid, im Hintergrund Mitarbeitende des Veterinärprojekts und interessierte Kinder.

IBR/IPV- und BVD/MD-Bekämpfung

Die nächste große Herausforderung war 1987/88 die IBR/IPV-Bekämpfung. „Da hatte wieder einmal die Schweiz die Nase vorn und Vorarlberg musste nachziehen, weil sonst die lukrative Alpung von Schweizer Tieren auf unseren Alpen unmöglich geworden wäre“, so Schmid. „Betroffen waren vor allem Hochzuchtbetriebe, was die Vermutung untermauert, dass die Infektion über tiefgefrorenes Sperma aus den USA eingeschleppt wurde.“ Am freiwilligen Sanierungs­programm beteiligten sich über 80 Prozent der Betriebe, 1.675 Reagenten wurden geschlachtet.  Nach demselben Muster wurde dann die BVD/MD über ein Tiergesundheitsdienst-Programm saniert.

Ausmerzung ethisch nicht mehr vertretbar

Die klassischen Methoden der Tierseuchenbekämpfung über ein Ausmerzungsprogramm mit Tötung und Entsorgung von hunderttausenden von Tieren im Umkreis eines Seuchenherdes hält Kollege Schmid für ethisch nicht mehr vertretbar. „Es sollte möglich sein, die Afrikanische Schweinepest über eine Köderimpfung der Wildschweine ebenso in den Griff zu bekommen, wie es bei der oralen Immunisierung der Füchse bei der Tollwut gelungen ist“, so der Epidemiologe und Tierschützer.

„Wenn ich etwas mache, dann ganz – oder gar nicht“

Tierärztin Sabine Schroll verbringt gerne Zeit alleine und hat nicht nur Katzen im Fokus.
Artikel lesen

Tierärztinnen und Tierärzte als berufene Tierschützer

Als Meilensteine bezeichnet Erik Schmid die Gründung des Institutes für Tierhaltung und Tierschutz an der VUW, die Einführung des Fachtierarztes für Tierhaltung und Tierschutz bei der ÖTK und die Gründung des Messerli-Forschungsinstitutes. „Mit der ‚Ethik der Mensch-Tier-Beziehung‘ stehen wir Tierärzte als Naturwissenschaftler vor einer komplett neuen Herausforderung philosophischer Natur“, sagt der engagierte Veterinär und setzt fort: „Wegen der Personifizierung der Heimtiere und Anonymisierung der Nutztiere bezeichnet Konrad Paul Liessmann unsere Mensch-Tier-Beziehung als ‚schizophren‘. Das fasste der Philosoph in einem bemerkenswerten Satz zusammen: ‚Die einen sitzen mit am Tisch und die anderen liegen auf dem Teller’.“ Mit ernstem Ton mahnt Schmid: „Wir Tierärztinnen und Tierärzte sind berufene Tierschützer. Ohne klare Positionierung als Vertreter der Interessen der Tiere werden die Großtierpraktiker als Mithelfer der industrialisierten Landwirtschaft, die Kleintierpraktiker als Ausnutzer eines Personenkultes bei Heimtieren und die Amtstierärzte als willfährige Erfüllungsgehilfen politischer Inszenierung auf der Anklagebank der Öffentlichkeit landen.“

Image
Abb. 2: Improvisation ist gefragt: Kolleginnen aus Österreich und Ruanda operieren gemeinsam in den Dörfern.
Foto: Erik Schmid
Abb. 2: Improvisation ist gefragt: Kolleginnen aus Österreich und Ruanda operieren gemeinsam in den Dörfern.

Was nervt am meisten?

Schmid kann sich nicht damit abfinden, dass es heute noch Kollegen gibt, die Langstreckentransporte von nicht entwöhnten Kälbern abfertigen und dabei öffentlich behaupten, alle Bestimmungen der EU-VO würden dabei eingehalten. „Ohne schlechtes Gewissen gegenüber der Kollegenschaft, die sich als Berufsvertretung über die ÖTK mutig und klar gegen diese Transporte positioniert hat“, so mein Gegenüber kopfschüttelnd. Und einen Frevel im Umgang mit Lebensmitteln sieht Erik Schmid darin, dass Vorarlberg sich den Luxus leiste, TBC-Reagenten zu töten und die Milch aus den Betrieben nach Feststellung der Infektion und nach Pasteurisierung zu entsorgen. „Die Bauern erhalten eine Entschädigung und die Versicherungsprämie zahlt das Land – dabei wären Fleisch und Milch nach geltender EU-VO genusstauglich und frei verkehrsfähig. “

Dienende Rolle für die Allgemeinheit

Erik Schmid spürt in sich einen starken Drang nach Gerechtigkeit. „Das hat vermutlich auch meine Entscheidung fürs Amt beeinflusst“, denkt er laut nach. Beamter im Sinne des englischen Ausdrucks „civil servant“ beschreibe diese dienende Rolle für die Allgemeinheit sehr gut. „Darum habe ich auch eine abgrundtiefe Ablehnung gegenüber Mitläufern entwickelt, die nur auf den eigenen Vorteil oder die Bequemlichkeit aus sind“, erklärt er und setzt fort: „Man braucht ein enormes Durchhaltevermögen, wenn man in der Verwaltung Veränderungsprozesse noch erleben will.“

Um Ärger abzubauen, geht Kollege Schmid mit Frau und Hund in die Berge und redet sich den Frust von der Seele. „Skifahren und Lesen entspannen ebenfalls, zuweilen auch Bier, Most und Zigarren“, gibt der sympathische Vorarlberger zu.

Aktiv über die Pensionierung hinaus

Im August war der mittlerweile 66-Jährige mit einer „Veterinär-Delegation“ aus Vorarlberg zwei Wochen zu Besuch in Ruanda, um beim „Veterinär-Projekt Ruanda – united vets friendship group“ der Kollegen Otto Fischer und Thomas Schwarzmann mitzuhelfen.

Der Verein, dessen Tätigkeit nicht auf Gewinn gerichtet ist, bezweckt die Förderung der Veterinärmedizin, des Tierschutzes und des Artenschutzes weltweit, jedoch mit dem Schwerpunkt Ruanda. In 14 Tagen wurden insgesamt rund 300 Hunde gegen Tollwut geimpft und 180 Hündinnen und Rüden kas­triert (Abb. 1 und 2). Kolleginnen und Kollegen bzw. Studierende, die ihre Zeit und Fähigkeiten zur Verfügung stellen, sind immer willkommen. Einen Tag referierte Schmid über Tierschutz und Tierethik: „Das offene Interesse der ruandischen Studierenden hat mich positiv überrascht.“ Die Freizeitaktivitäten kamen nicht zu kurz und waren eindrücklich: „Drei Tage im Nationalpark Akagera wurden durch den Tag mit den Berggorillas in Kinigi noch getoppt“, so Erik Schmid, der die Reise mit leuchtenden Augen als „experience of a lifetime“ bezeichnet (Abb.  3).

Als intellektuelle Herausforderung bezeichnet mein Gesprächspartner seine Tätigkeit als Mitglied in der Tierversuchskommission im Kanton Zürich. „Das habe ich erheblich unterschätzt, denn die Anträge sind sehr komplex und auch emotional belastend.“ Außerdem hält er Vorträge und hat seine Eintragung als allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Gutachter um weitere fünf Jahre verlängert.

Tierarzt zu sein, sei für ihn „immer noch einer der schönsten und vielfältigsten Berufe“, vermittelt Erik Schmid überzeugend. Und er zeigt sich optimistisch: „Der stark steigende Frauenanteil nicht nur in der Veterinärmedizin, sondern auch bei Polizei und Justiz wirkt sich bezüglich der Wahrnehmung und Gewichtung des Themas Tierschutz ganz eindeutig positiv aus.“

Mehr Informationen:

Dr. med. vet. Erik Schmid war Amtstierarzt in Feldkirch und Dornbirn, Leiter der Veterinärabteilung im Bregenzer Landhaus, Tierschutzombudsmann und Vizebürger­meister seiner Heimatgemeinde Götzis. Er ist Fachtierarzt für Tierhaltung und Tierschutz und Vorsitzender der gleichnamigen Prüfungskommission sowie Gerichtsgutachter. Schmid war Mitbegründer des Vereins „Tierschutz macht Schule“ und ist aktuell Mitglied in der Tierversuchskommission im Kanton Zürich. 

Verpassen Sie keine interessanten Porträts mehr und abonnieren Sie unseren kostenfreien vetline.de-Newsletter!

Image
Dr. Constanze Zach mit ihrem mittlerweile 30-jährigen Traber „Quereme Mucho“.
Foto: Privat

Portrait

„Pferdetierärztin zu sein ist anstrengend, aber erfüllend.“

Dr. Constanze Zach übt ihren Beruf mit Leib und Seele aus. Zur Fortbildung und im beruflichen Einsatz reist sie durch die ganze Welt.

Image
Mag. med. vet. Jeff Schreiner war studentischer Mitarbeiter an der Vetmeduni Vienna, Interne Medizin, Abteilung  Vögel und Reptilien. Seit Anfang 2021 ist er als Tierarzt mit dem Schwerpunkt Exoten und Wildtiere tätig. Er arbeitet in Wien im Haus des Meeres und im Tiergarten Schönbrunn.
Foto: Dominik Moser

Portrait

„Besondere Tiere brauchen eine besondere medizinische Betreuung“

Zoodoc Jeff Schreiner liebt es, im Haus des Meeres etwas für Tiere, Menschen und Umwelt beitragen zu können.

Image
Die Öffentlichkeit muss über Tierleid durch zuchtbedingte Defekte aufgeklärt werden.
Foto: Galina Baranova - stock.adobe.com

Interview

„Ein Tier soll nicht lebenslang leiden müssen“

Das Qualzucht-Evidenz Netzwerk liefert umfassende wissenschaftsbasierte Informationen und soll den Vollzug erleichtern. 

Image
Otto Fischer und Lehrerin Cathrine mit Schützlingen im Mountain Gorilla Education Centre im Projekt Rerera Ego Hazaza, zu Deutsch: Lernen für eine gute Zukunft.
Foto: O. W. Fischer

Portrait

„Es ist toll, helfen zu können“

Dr. Otto W. Fischer ist mehr als „nur“ Veterinärdermatologe. Er betreut in Ruanda ehrenamtlich humanitäre und veterinärmedizinische Projekte.