Am Ende eines langen Arbeitstages ziehen wohl viele junge Pferdepraktiker für sich dieselbe Bilanz wie ihre Kollegin Dr. Veronika Klein: Seit nachts um zwei, als das Handy wegen eines Kolikers klingelte, ist man auf den Beinen gewesen, hat auf das Frühstück verzichtet, von Visite bis zum Dienstschluss unzählige Termine gehabt, nachmittags schnell beim Bäcker gehalten, um ein süßes Teilchen und einen Kaffee zu sich zu nehmen. Abends dann die Erschöpfung in der unaufgeräumten und ungeputzten Wohnung – und das Versprechen, das man sich selbst gibt: Morgen wolle man alles anders machen, morgen sei ja auch noch ein Tag, um in ein besseres und gesünderes Leben zu starten.
Für Dr. Veronika Klein, Fachtierärztin für Pferde, kam dieser Tag allerdings lange nicht, wie sie im Podcast auf ihrer neuen Webplattform „Tierarzt & Leben“, die sich an Berufskollegen richtet, rückblickend erzählt. Doch irgendwann, nicht mit dem berühmten „Klick“ oder einem großen Knall, sondern langsam, unspektakulär und schrittweise, bahnte sich Klein dann doch einen Weg: zu mehr Lebensqualität, Unabhängigkeit, fairer Entlohnung und gesünderer Lebensweise.
Ein Podcast für Pferdehalter
Klein war Anfang 30, als sie die ersten Schritte unternahm, ihr Arbeitsleben umzukrempeln. Im Jahr 2018 suchte sie, damals als angestellte Pferdefahrpraktikerin in einer Gemischtpraxis in Nordrhein-Westfalen tätig, einen Weg, um während der langen Anfahrtswege zu den Patienten für die Fachtierarztprüfung zu lernen. Doch passende deutschsprachige Podcasts zur Pferdegesundheit gab es nicht. „Kurzerhand rief ich also meinen eigenen Podcast ins Leben, ‚Kernkompetenz Pferd‘“, erzählt Klein.
Top Job:
Klein war damals seit acht Jahren Tierärztin, 2010 hatte sie in Gießen Examen gemacht, dann in Leipzig promoviert, anschließend in einer Klinik gearbeitet. Pferde hatten schon seit der Kindheit zu ihrem Leben dazugehört: Klein reitet Dressur, Springen und Vielseitigkeit, lange auf Schulpferden, mit dem 18. Lebensjahr kamen dann das erste eigene Pferd und Erfolge bis Klasse M, außerdem die Trainerlizenz C.
Ihre breite Aufstellung – tierärztliches und reiterliches Können und Beurteilungsvermögen – ist einer der Grundpfeiler von „Kernkompetenz Pferd“. Von Anfang an kombiniert die Pferdepraktikerin für die Podcastbeiträge Wissenswertes aus allen Bereichen, für die sie Expertin ist, und wählt vorrangig Themen aus, die Pferdebesitzern immer wieder erklärt werden müssen: Impfungen, Mauke, Magengeschwüre, Schmerzerkennung, geriatrische Pferde oder auch die Beurteilung von Trainingsplänen unter dem Gesundheitsaspekt. „Man erzählt ja immer dasselbe am Patienten“, sagt Klein. „Hören die Besitzer den Podcast, wird der Termin am Patienten leichter und effektiver, man muss nicht immer bei Adam und Eva anfangen.“ Früh schaffte sie es mit dem kostenlosen Podcastangebot deshalb, ein persönliches Ziel zu erreichen: eine erste Entlastung im Hinblick auf die tägliche praktische Arbeit.
„Zeit und Geld entkoppeln“
Aber dann entsteht mehr, nämlich ein Geschäftsmodell, mit dem sich „Zeit und Geld entkoppeln“ lassen, so Klein. Eine Fernuniversität fragt die Podcasterin als Dozentin an. „Als ich dadurch zum ersten Mal Rechnungen schreiben musste, gründete ich dann formell nebenberuflich das Unternehmen ‚Kernkompetenz Pferd‘“, erzählt Klein.
Das Kerngeschäft von „Kernkompetenz Pferd“ bilden heute Webinare und interaktive Onlineprogramme rund um die Pferdegesundheit. Vorwiegend buchen Freizeitpferdehalter die Kurse, „eine Handvoll Trainer“ sei auch immer dabei, sagt Klein. Die Grundlage für ihr Kursangebot schuf sie im Jahr 2019: Als sie schwanger wurde, eignete sie sich in den Monaten des Beschäftigungsverbots in Onlinekursen an, wie man Websites programmiert und wie Kursplattformen funktionieren, bildete sich weiter über Social Media oder darüber, wie man Grafiken gestaltet. Mitarbeiter hat sie neben ihrem Ehemann, der Agrarwissenschaftler ist, bis heute nur bei wenigen einzelnen Projekten: „Mein iPhone und ich“, sagt sie über ihre Arbeitsweise. Während der Schwangerschaft nahm sie einen Grundstock an Videos auf und demonstrierte dabei die Kursinhalte an ihren eigenen Pferden. „Manchmal hat mein Mann das Handy gehalten; ich habe außerdem einen Magneten am Handy und irgendwo in den Ställen ist immer ein Metallpfeiler.“ Die damals erstellten Video-Lerneinheiten kann sie immer noch nutzen, sagt Klein. Ihre Onlineprogramme starten zu festen Terminen, an den Freitagabenden dürfen die Teilnehmenden ab 20 Uhr live mit ihr aktuelle Fragen besprechen. „Es gibt Lerngruppen, Buddies, Online-Stammtische, Trainingstagebücher, die man als PDF herunterladen kann“, erklärt Klein ihr Angebot. „Jeden Montag erhalten die Teilnehmer eine Wochenaufgabe, zum Beispiel: Leg einen Erste-Hilfe-Kasten an. Oder: Bestimme den Body Condition Score deines Pferdes und lade ein Bild des Pferdes in die Gruppe hoch.“
Spricht man mit Veronika Klein über ihre beruflichen und privaten Entscheidungen und Wege, dann fällt zuallererst ihre ausgeprägte Zielstrebigkeit auf. Über ihre Gymnasialzeit in Wuppertal sagt sie, sie sei immer Minimalistin gewesen – bis zur zehnten Klasse. Doch dann wurde ihr klar, dass sie für ein Tiermedizinstudium ein Einser-Abitur braucht. „Daraufhin habe ich mich aus der letzten in die erste Reihe gesetzt und nur noch die Hand gehoben. Das ist meine Stärke: dass ich sehr pragmatisch bin.“
Mehr Leichtigkeit im Arbeitsleben
Daneben ist es aber das Wort „Leichtigkeit“, das im Gespräch und auch in Kleins Beiträgen auf ihrer neuen Website „Tierarzt & Leben“ immer wieder fällt – und durch das sich auch die Lebenseinstellung der 38-Jährigen trotz aller Akribie treffend charakterisieren lässt. Eine neue Leichtigkeit sei mit ihrer Unternehmensgründung in ihr Leben eingezogen, sagt Klein. Sie und ihr Mann, der in ihrem Unternehmen mitarbeitet, konnten sogar ihren Wohnort frei wählen, ohne auf die Zwänge des Berufes Rücksicht nehmen zu müssen. Sie entschieden sich für die Lüneburger Heide, hier sind sie fürs Erste sesshaft geworden, als „digitale Siedler“ mit einem ortsgebundenen und dennoch beruflich und zeitlich flexiblen Lebensstil. Vor einem Jahr gab sie ihre Angestelltentätigkeit auf und konzentrierte sich ganz auf die digitale Selbstständigkeit. „Es ist ein Vollzeitjob, aber man kann ihn sehr gut einteilen und mit dem Leben mit einem Kleinkind verbinden“, sagt Klein. Meist arbeitet sie fünf bis sieben Stunden am Stück, „und dann ist Kinderzeit“. Abends, wenn ihre Tochter im Bett ist, geht es dann weiter. Auch für Sport und gemeinsame Mahlzeiten ist genug Zeit.
Oft wird Klein von Berufskollegen gefragt: „Wie hast du das gemacht?“ Auch deshalb veröffentlichte sie in diesem Frühjahr die Website www.tierarztundleben.de mit einem Podcast und Mentoringkursen für Tierärzte. Motto: „Mehr Zeit per Mausklick“. Bei ihr lernen Tierärzte, wie sie Grafiken erstellen oder wie sie eine Audio- oder Videodatei produzieren, in der sie Patientenbesitzern etwas erklären, wie sie sie dann verschicken oder auf andere Weise bereitstellen können. Klein geht es nicht darum, dass gleich alle „digitale Siedler“ werden. Pragmatisch sagt sie: „Wenn man als Praktiker beginnt, Zeit und Geld zu entkoppeln, kann man sich vielleicht eine Vier-Tage-Woche ermöglichen, mehr Tierärzte zu einem besseren Gehalt einstellen oder auch einfach wöchentlich einen Bürotag möglich machen.“
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