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Für den Tierschutz engagiert sie sich in ihrer Praxis – und seit zwei Jahren auch im TV: Dr. Tanja Pollmüller.
Foto: Privat
Für den Tierschutz engagiert sie sich in ihrer Praxis – und seit zwei Jahren auch im TV: Dr. Tanja Pollmüller.

Porträt: Dr. Tanja Pollmüller

Zwischen Praxis und Studio

Dr. Tanja Pollmüller geht für den Tierschutz in die Öffentlichkeit – und klärt via TV und Podcast über die Bedeutung tiermedizinischer Diagnostik auf.

Anderthalb Tage trägt Dr. Tanja Pollmüller ihr Handy mit dem Video mit sich herum, ohne sich entscheiden zu können: Soll sie es hochladen? Oder lieber nicht? Dann, an einem heißen Tag Ende August 2022, entschließt sie sich, den drei Minuten langen Appell, den sie in ihrem Wohnzimmer aufgenommen hat, auf ihren Instagramkanal zu stellen.

Pollmüller, niedergelassene Tierärztin im westfälischen Ahlen, bekannt aus verschiedenen Fernsehformaten, an denen sie als tiermedizinische Expertin teilnimmt, blickt in dem emotionalen Video frontal zu ihren Followern und spricht über den Druck, der auf Tierärztinnen und Tierärzten lastet: Qualzuchten, illegaler Welpenhandel, Preisdiskussionen, zunehmend aggressiv auftretende Tierbesitzer, tägliches Tierleid. „Es ist so unfassbar viel aufzuholen an Aufklärung“, sagt die Tiermedizinerin in die Kamera.

Ihr Anliegen: Aufklärung leisten

„Heute bin ich froh, dass ich das Video online gestellt habe“, sagt Tanja Pollmüller ein paar Monate später in ihrer Praxis in Ahlen, einer Kleinstadt nahe Warendorf im Münsterland. „Ich habe so viel Unterstützung bekommen – von anderen Tierärzten, von Tiermedizinischen Fachangestellten, von Tierbesitzern.“ Mehr als 100.000 Aufrufe verzeichnete das Video, es wurde viel geteilt und kommentiert.


Top Job:


Der Instagram-Post steht exemplarisch für das, was für Tanja Pollmüller eines der wichtigsten Anliegen überhaupt ist: Aufklärung zu leisten über die Haltung und Gesundheit von Tieren, um Leid zu verhindern. Einmal mehr wurde die 42-Jährige durch ihr Video zum Sprachrohr für die Tiermedizin in Deutschland – eine Rolle, in die sie sehr plötzlich durch eine Verkettung von Ereignissen nach Beginn der Pandemie geraten ist.

Patentierte Erstberatung

Aber der Reihe nach: Tanja Pollmüller stammt aus Ahlen und konnte sich seit ihrer Kindheit nur den Beruf Tierärztin vorstellen. In ihrer Jugendzeit und während des Studiums in München seien für sie vor allem ihre vielen Nebenjobs typisch gewesen, sagt Pollmüller: „Ich habe sehr früh schon gearbeitet: Angefangen habe ich mit Nachhilfe, Babysitten, Spülen und Eisbecher kreieren in der Eisdiele“, erzählt sie. „Später habe ich auch in Fabriken gearbeitet und Plastikfensterrahmen foliert, Wasserboiler zusammengeschraubt oder Premieredecoder im Akkord verpackt.“ In München arbeitete sie als Messehostess, beriet Strom- und Gasanbieterwechsler und wog LKWs auf der Mülldeponie. „Ich habe so unfassbar viele Jobs gemacht, weil ich den Höchstsatz Bafög bekommen habe.“ Das sei „eine Vollkatastrophe“ gewesen, sagt sie, im teuren München, wohin die ZVS sie geschickt hatte. Nach dem Studienabschluss im Jahr 2006 promovierte sie am Lehrstuhl für Tierschutz der LMU, arbeitete in Kliniken in verschiedenen Teilen Deutschlands und qualifizierte sich zur Fachtierärztin für Kleintiere.

Lange konnte sie sich nicht vorstellen, sich mit einer eigenen Praxis selbstständig zu machen. Erst, als ihr im Zentrum ihrer Heimatstadt eine leerstehende Apotheke auffiel, änderte sich etwas. Vor sechs Jahren ließ sie sich hier nieder: zwei Behandlungsräume, OP-Bereich mit Inhalationsnarkose, Elektrochirurgie, digitalem Röntgen, Ultraschall mit Doppler, In-House-Labor. „Klinikstandard – das war mir wichtig.“ Pollmüller ist Perfektionistin, nicht nur, was die technische Ausstattung angeht, sondern auch, was andere Konzepte ihrer Praxis betrifft. Sie erarbeitete ein durchdachtes Erstberatungspaket zur umfassenden Vorbereitung von Menschen, die sich ein Haustier zulegen. „Vom Impfen und Entwurmen über Zoonosen, Psyche und Ernährung bis hin zu Tierversicherungen“ reiche das Spektrum des Pakets, so die Tierärztin. Von einem Päckchen aus Flyern entwickelte sich diese Form der Erstberatung zu einem komprimierten Handout, das per E-Mail verschickt werden kann; ein Angebot, das Pollmüller inzwischen patentieren ließ.

Medienpreis für den Podcast

Da ist es wieder, das Thema Aufklärung. Ihr Herzensanliegen, Wissen an Tierhalter zu vermitteln, katapultierte Tanja Pollmüller innerhalb von wenigen Monaten aus ihrer Praxis ins Scheinwerferlicht verschiedener Fernsehstudios. Auslöser war die Corona­virus-Pandemie. Immer mehr Tierhalter meldeten sich Anfang 2020 in der Praxis und fragten, inwiefern das Virus durch Haustiere übertragbar sei. „Daraufhin habe ich beim lokalen Radiosender angerufen, damit man vielleicht dort mit einer Informationssendung über ‚Corona bei Haustieren‘ aufklären würde.“ Der Redakteur am Telefon wollte sie zunächst zu einem Live-Interview am gleichen Tag überreden. Als Pollmüller zögerte, sagte er: „Sie haben doch so eine schöne Radiostimme, wenn Sie sich als Sprecherin beworben hätten, hätte ich Sie sofort eingeladen.“ Pollmüller erwiderte spontan: „Na, dann machen Sie das doch.“ Bei diesem Gespräch in der Redaktion über mögliche gemeinsame Projekte entstand dann der Gedanke, einen tiermedizinischen Podcast zu senden: „Doc Pollys Tiersprechstunde“ war geboren.

Sie habe sofort eingewilligt, „weil ich einfach immer total neugierig bin“, erklärt Pollmüller. Ihre Neugier habe ihr viele Jobwechsel und Umzüge gebracht, zudem sei sie ein „Fortbildungsjunkie“. „Diese Lebendigkeit im Leben zu halten, das ist mir wichtig.“ Ihr Podcast, der mit dem Medienpreis Tiergesundheit des Bundesverbandes praktizierender Tierärzte (bpt) und des Berufsverbandes für Tiergesundheit (BfT) in Silber ausgezeichnet wurde, und ein TV-Auftritt in der WDR-„Lokalzeit“ machten schließlich eine Agentur auf sie aufmerksam, die ihr schrieb: „Wir suchen eine Tierärztin für einen großen deutschen Privatsender.“

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Herzensprojekte und Shitstorms

Ab dem Frühjahr 2021 trat Pollmüller daraufhin zunächst in dem Format „Wir lieben Tiere – die Haustiershow“ von RTL auf. Für sie sei die Show ein „Herzensprojekt“ gewesen, so Pollmüller: „Darin konnte ich einem großen Publikum erklären, dass man Tiere vernünftig untersuchen und diagnostische Schritte einleiten muss, um wirklich zu helfen“, sagt sie über die Sendung, in der häufige und leidvolle Erkrankungen wie Ohrentzündungen und Juckreiz beim Hund oder chronische Blasenprobleme bei der Katze thematisiert wurden. Ihr Motto „Wissen ist Tierschutz“ konnte sie hier mit großer öffentlicher Wirksamkeit umsetzen. Beim nächsten RTL-Projekt, „Top Dog Germany“, einem Wettbewerb, bei dem Hund und Halter einen Parcours absolvieren, erschien Tanja Pollmüller in der Rolle der kenntnisreichen Interviewerin, die die Teilnehmer spontan, witzig und gut gelaunt dem Publikum vorstellt und sich dabei gleichzeitig empathisch auf Mensch und Tier einstellt.

Manchmal fühlt sie sich angesichts ihres neuen Lebens zwischen Dreharbeiten und Terminsprechstunde noch wie in einem surrealen Traum. Mehrere neue Projekte sind geplant, sie blickt gespannt in die Zukunft, obwohl sie auch schon die Schattenseiten der medialen Sichtbarkeit kennenlernen musste. „Da kommt ja auch was zurück“, sagt Pollmüller – und zwar nicht nur begeisterter Applaus wie bei ihrem viralen Instagram-Video. Kleinste Fehler können Shitstorms auslösen, regelmäßig wird ihr unterstellt, „nur in die Medien“ zu wollen. „Diesem Druck muss man standhalten können.“ Tanja Pollmüller hilft dabei ihr großes Netzwerk, das sie sowohl privat als auch beruflich trägt, und der Gedanke, viele Menschen erreichen und so als Botschafterin das Leben von Haustieren zum Positiven verändern zu können.

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