Liebe Eva, in der vergangenen Woche hatte ich ein „Feedback“-Gespräch mit meiner Chefin. Ich war überrumpelt und kaue seitdem auf den Punkten rum, die sie mir vorgeworfen hat. Ich sei „zu nett zu unseren Tierbesitzern und daher zu langsam in der Sprechstunde“, um nur ein paar Punkte zu nennen. Ich überlege ehrlich, ob ich hinschmeißen soll. Muss ich mir so etwas ernsthaft anhören? Eine Angefressene
EVA: Hört sich so an, als sei da einiges schiefgelaufen! Wahrscheinlich hast Du nicht mit der Kritik gerechnet. Du sagst, dass Dir Punkte „vorgeworfen“ wurden, fühlst Dich also bewertet, und zwar negativ. Du bist verletzt und überlegst jetzt, den Job zu wechseln. Ich kann gut verstehen, dass Du gekränkt bist. Ich könnte jetzt viel dazu schreiben, wie man gutes Feedback gibt. Aber deine Chefin liest diesen Text ja vielleicht gar nicht, also fokussieren wir uns mal auf Dich.
Fakt ist, dass wir im Feedback die negative Kritik viel stärker wahrnehmen als die positiven Punkte und dann entsprechend emotional reagieren. Versuchen wir das Ganze einfach rational anzugehen: Wenn wir über Dinge sprechen, die nicht optimal laufen, dann ist das erst einmal nichts anderes als das Festhalten von Situationen, in denen Realität und Erwartungen auseinanderklaffen. Zwei Möglichkeiten gibt es nun: An den Realitäten kann man vielleicht etwas ändern – oder man klärt und adjustiert Erwartungen.
Um an den Realitäten zu arbeiten, muss man sie zunächst einmal verstehen. Es hilft da, die Fakten zu sammeln. Wie viele Patienten siehst Du am Tag, welche Fälle fallen Dir leichter und laufen daher schneller, welche sind schwieriger und brauchen viel Zeit? Hast Du eine Möglichkeit, mal mit Kollegen darüber zu sprechen, wie viel Zeit sie sich nehmen? Erst wenn Du für Dich annehmen kannst, dass es etwas zu lernen oder zu verbessern gibt, kannst Du im nächsten Schritt den Erwartungen auf den Grund gehen.
Gutes Feedback sollte grundsätzlich kein einmaliges Gespräch sein. Wenn von Deiner Chefin kein regelmäßiger Austausch angeboten wurde, solltest Du dies einfordern. Ein guter Einstieg kann hier sein: „Ich habe über unser letztes Gespräch nachgedacht und habe noch ein paar Fragen.“ Erst einmal gilt zu klären, was genau die Erwartungen denn eigentlich sind. Wie viele Patienten sind denn „normal“ und wann genau weichst Du denn davon ab?
Vielleicht taucht in einem solchen Gespräch dann auf, dass Du einen bestimmten Arbeitsschritt einfach (noch) nicht beherrschst und hier Anleitung oder eine Fortbildung benötigst. Vielleicht hat Deine Chefin auch einfach unrealistische Erwartungen. Du kannst Deine Chefin weiter fragen, was genau der Kritikpunkt ist. Müssen die Patienten zu lange warten, ist der Umsatz nicht hoch genug, müssen andere Kollegen für Dich einspringen? Es kann helfen, Gefühle anzusprechen wie z. B.: „Ich war verärgert, weil ich nicht über meine Sicht sprechen konnte.“ Wenn Du gleichzeitig signalisierst, dass Dir Feedback wichtig ist, schaffst Du die Grundlage für bessere Zusammenarbeit. Ich finde, es lohnt sich immer, in den Austausch zu gehen, um Entwicklungsmöglichkeiten auszuloten.
Fragen Sie EVA!
EVA (Engagiert Veterinärmedizinisch Arbeiten) steht für eine Tierärztin, die seit mehr als zwei Jahrzehnten als Führungskraft und Coach in der Veterinärbranche arbeitet. In Der Praktische Tierarzt beantwortet Sie Ihre Fragen.
Sie sind Tierärztin oder Tierarzt und haben ein Problem, das Sie im Arbeitsalltag belastet? Dann fragen Sie EVA. Schicken Sie Ihre Fragen an: DerPraktischeTierarzt@Schluetersche.de