Interview

„Ein Tier soll nicht lebenslang leiden müssen“

Das Qualzucht-Evidenz Netzwerk liefert umfassende wissenschaftsbasierte Informationen und soll den Vollzug erleichtern. 

Was genau ist QUEN und wozu dient diese Plattform?

Diana Plange: Das Qualzucht-Evidenz Netzwerk ist eine von Berliner Tierärzten entwickelte, nicht-kommerzielle Initiative. Es besteht heute aus einem Verein und einer Online-Informations-­Datenbank. Deren primäres Ziel ist es, die wichtigsten Informationen über zuchtbedingte Defekte öffentlich zugänglich zur Verfügung zu stellen und fortlaufend ergänzt aktuell zu halten. So entsteht ein umfassendes Kompendium, an dem Expertinnen und Experten aus Veterinärmedizin, Biologie, Recht und Genetik mitwirken.

Foto: Privat Diana Plange war zunächst selbstständige Tierärztin in einer Gemischtpraxis, dann amtliche Tierärztin und bis zum Eintritt in den Ruhestand Landestierschutz­beauftragte von Berlin. Sie ist Fachtierärztin für Tierschutz und Tierschutzethik und war öffentlich bestellte und vereidigte landwirtschaftliche Sachverständige für Tierschutz. Sie gründete zusammen mit Kolleginnen die Datenbank „Qualzucht-Evidenz Netzwerk“ (QUEN) und leitet das Projekt.

Wie können Tierärztinnen und Tierärzte die Datenbank nutzen?

Diana Plange: Die reinen Informationen auf der Website sind frei zugänglich. Über eine Suchfunktion kann nach Defektmerkmalen, Körperteilen oder Tierarten gefiltert werden. Die QUEN-Datenbank soll insbesondere Veterinärbehörden, aber auch Gerichte bei der Umsetzung tierschutzgesetzlicher Normen effektiv unterstützen. Der gleichzeitig existierende Verein widmet sich u. a. der Aufklärung der Öffentlichkeit sowie der Fortbildung und Information von Tierärztinnen und Tierärzten.

Gab es denn Bedarf für eine solche Initiative?

Diana Plange: Studien, Gutachten und sonstige veröffentlichte Erkenntnisse über zuchtbedingte Defekte waren und sind über unzählige Quellen verstreut. Das bestehende Tierschutzgesetz, das die Qualzucht verbietet, wurde sowohl in Deutschland als auch in Österreich bislang ungenügend vollzogen. Und in vielen Behörden fehlten auch die personellen Voraussetzungen für notwendige Hintergrundrecherchen zu einzelnen Defekten. Kompakt an einer Stelle zusammengeführte Informationen stellen eine wertvolle, von allen Seiten geschätzte Hilfestellung.

Die QUEN-Datenbank wurde vor etwas mehr als einem Jahr veröffentlicht. Wie fällt die erste Zwischenbilanz aus?

Diana Plange: Sehr positiv! Die Entwicklung hat unsere Erwartungen bei Weitem übertroffen. Die QUEN-Website zählt schon mehr als 30.000 Besucher mit längeren Verweilzeiten, und zwar aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Veterinär­ämter informieren sich über unsere Merkblätter oder nehmen von uns vermittelte fachkompetente Beratung in Anspruch. Tierschutzbehörden in Deutschland, Österreich und den Niederlanden empfehlen mittlerweile, QUEN als Informationsquelle in den Tierschutzvollzug zu integrieren.

Nur positive Erfahrungen?

Diana Plange: Naja, natürlich gibt es auch Probleme. Zum einen ist es eine stetige Herausforderung, mit dem Bedarf in gleichbleibender Qualität mitzuwachsen – sowohl personell als auch finanziell. Und zum anderen reagierten manche Zuchtverbände ziemlich aufgeschreckt. Sie waren gewohnt, dass das Verbot von Qualzuchten bisher kaum voll­zogen wurde.

Welche Rassen sind diesbezüglich besonders problematisch?

Diana Plange: Es geht nicht um Rassen. Bezugspunkt ist immer das individuelle Tier, seine Gesundheit und sein Wohlbefinden. Bei manchen Rassen ist die genetische Varianz allerdings so gering und die Last an zuchtbedingten Defekten so groß, dass der Anteil der gesunden Tiere für eine tierschutzkonforme Zucht innerhalb der Rasse nicht ausreicht.

Klingt nach einem heiklen Thema. Viele Züchter sind doch auf Rassereinheit und geschlossene Zuchtbücher fixiert.

Diana Plange: Ja, aber das Tierschutzgesetz schützt in Deutschland und Österreich das individuelle Tier und unterscheidet ganz klar nicht nach Nutzungsart, Rassen oder Populationen. Tierschutz ist als verfassungsrechtliche Wertentscheidung, die weit über irgendwelchen Rassestandards oder persönlichen oder finanziellen Interessen steht, etabliert.

Nun erwarten Tierhalter sicherlich, dass ihre Tiere möglichst wenig mit erblichen Defekten belastet sind. Wie können die Vets dazu noch stärker beitragen?

Diana Plange: Studien unter Tierhaltenden fördern hier mitunter Widersprüchliches zutage. Viele Halter von z. B. brachyzephalen Hunden würden wieder zur selben Rasse greifen, trotz all der Gesundheitsprobleme, die sie selbst miterlebt haben. Hier wartet sicher noch viel Aufklärungs­arbeit auf die Veterinäre. Und auch wir Tierärztinnen und Tierärzte müssen uns laufend fragen, ob wir uns noch auf dem Boden unseres Ethik-Kodex bewegen oder ob wir nicht zu kompromissbereit werden und das Staatsziel Tierschutz aus den Augen verlieren. Ich denke da etwa an Hunde­rassen, bei denen der Großteil der Welpen nur noch durch Kaiserschnitt zur Welt gebracht werden kann. Gleiches gilt bei den doppellendigen Rinder-Fleisch­rassen (Abb. 1).

Foto: Clara Bastian - stock.adobe.com Abb. 1: Die Doppellendigkeit von extremen Fleisch­rassen (beispielsweise Blau-Weißen Belgiern) führt zu Schwergeburten bzw. Kaiserschnitten.
Foto: Eckard Wendt AGfaN e.V. Doppellendigkeit bei Fleischrassen.

Aber was können einzelne Vets hier unternehmen?

Diana Plange: Zunächst natürlich Aufklärung, wozu das Qualzucht-Evidenz Netzwerk effektiv beitragen kann. Aber wir dürfen auch nicht vor einer Beratung und gegebenenfalls kritischen Auseinandersetzung mit Züchtern in unserer Klien­tel zurückschrecken. Eigentlich verlangen das unser Ethik-Kodex und das Staatsziel Tierschutz geradezu. Und alle Kolleginnen und Kollegen, die in Ämtern oder als Sachverständige tätig sind, lade ich herzlich ein, sich umfassender zu diesem wichtigen Thema zu informieren.

Wenn wir einen Blick in die Zukunft werfen: Wo soll QUEN in einem Jahr stehen?

Diana Plange: Zucht und Ausstellungswesen sind heute international. Ein großes Ziel ist es, zusammen mit Behörden verschiedener Länder Belastungs­kategorien von 0 bis 5 zu definieren. In Anlehnung an das System der Schweiz können damit zucht­bedingte Defektmerkmale von Tieren aller Arten nach ihrer Schwere kategorisiert werden. Damit soll eine neutrale, leicht anzuwendende und vergleichbare Beurteilung der Zuchttauglichkeit von Tieren entstehen. Daneben wollen wir unseren erfolg­reichen Weg fortsetzen, Informationen sammeln und verteilen, Weiterbildung anbieten und die Veterinärämter und Gerichte dabei unterstützen, das Vollzugsdefizit im Tierschutz sukzessive zu verringern.

Wollen Sie sich zum Abschluss noch etwas wünschen?

Diana Plange: Ja, unser Motto lautet: „Ein Tier soll leben, nicht lebenslang leiden.“ Ich wünsche mir, dass QUEN einen substanziellen Beitrag zu diesem Ziel leisten kann, und freue mich über jede gleichgesinnte Unterstützung durch Mit- oder Zuarbeit oder natürlich auch finanziell.

Zum vollständigen Artikel: hier