Wer auf den Impfschutz für Katze oder Hund verzichtet, ist vermutlich in den wenigsten Fällen überzeugter Impfgegner, sondern häufig verunsichert. Angesichts zahlreicher widersprüchlicher Informationen von Bekannten und aus den (sozialen) Medien kann es schwierig sein, zu wissen: „Was ist das Beste für mein Tier?“
Die Impfskepsis wächst auch in der Tiermedizin. Warum sich Patientenbesitzer gegen Impfungen entscheiden lesen Sie hier: „Keine Impfung für mein Tier“
Internistin Dr. Zoe Belshaw und Dr. Susi Samuel, Gründerin von VetsDigital aus Großbritannien sowie TFA und Lernexpertin Senani Ratnayake aus Kanada sprachen anlässlich des von MSD Tiergesundheit organisierten globalen Symposiums Vaccination Unites us über Impfmüdigkeit und Möglichkeiten zur Kundenbindung in der Kleintierpraxis. Wir haben zehn Ideen gesammelt, die dabei helfen können, noch mehr Patientenbesitzer von regelmäßigen Impfungen zu überzeugen.
1) Ein Impftermin braucht Zeit
Impftermine sind häufig vollgepackt mit zusätzlichen Untersuchungen und Aufklärungsgesprächen. Viele Tierbesitzer nutzen die Gelegenheit, um diverse Probleme anzusprechen: Von der Gewichtszunahme über den kleinen Knoten in der Haut bis zum üblen Geruch aus dem Maul. Dabei wird die eigentliche Impfung schnell zur Nebensache und das Impfgespräch fällt unter den Tisch. Doch das Wissen aus früheren Konsultationen ist von den Besitzern längst vergessen und sie haben inzwischen vielleicht aus Social Media oder von der Nachbarin ganz neue Informationen zur Impfung.
Wer das Impfgespräch nicht vernachlässigen möchte, muss ausreichend Zeit einplanen und die Impfung bewusst in den Mittelpunkt der Konsultation stellen. Die Besitzer sollten erfahren, welche Impfungen ihr Tier erhält und warum. Es lohnt sich immer, durch offene Fragen ein Gespräch anzubieten: „Was denken Sie über die Impfung? Haben Sie Fragen?“. So lassen sich Missverständnisse aus dem Weg räumen und aufkommende Zweifel frühzeitig klären.
2) Kommunizieren mit B.R.A.I.N.
Im Impfgespräch kann man sich vom englischsprachigen Akronym B.R.A.I.N. zur informierten Entscheidungsfindung leiten lassen, hier frei übersetzt mit VO.R.A.N.: Was sind die Vorteile einer Impfung, was die Risiken? Gibt es Alternativen? Und was kann passieren, wenn man einfach Nichts tut? Evidenzbasierte Informationen sollen den Tierbesitzer ermächtigen, eine gute Entscheidung für sein Tier zu treffen.
3) Sorgen ernst nehmen
Insbesondere, wenn Tierbesitzer sich hauptsächlich über persönliche Kontakte und Social Media informieren, kann es für sie sehr schwer sein, valide Informationen von Fake News zu unterscheiden. Nicht erst seit der Covid-19-Pandemie gibt es Gerüchte zur Sicherheit von Humanimpfstoffen, die absurd erscheinen: Masernimpfstoff soll eine Ursache für Autismus sein, Hepatitis-B-Vakzine multiple Sklerose auslösen, Covid-Impfstoffe Microchips enthalten…
Es ist wahrscheinlich, dass Besitzer mit solchen Überzeugungen diese auch auf ihre Tiere anwenden. Im Gespräch müssen diese Sorgen ernstgenommen und alternative Informationsquellen angeboten werden. Halten Sie Broschüren oder Hand-outs bereit und geben Sie Links zu vertrauenswürdigen Quellen im Internet weiter.
4) Dran bleiben: Besitzer können ihre Meinung ändern
Es ist nur menschlich, seine Meinung zu ändern, eventuell auch mehrfach. Wer letztes Jahr sein Tier nicht impfen lassen wollte, überlegt es sich vielleicht in diesem Jahr anders. Voraussetzung ist, dass eine Impfung in der Praxis angesprochen wird. Andernfalls kann der Eindruck entstehen, Tierärztin oder Tierarzt würden die Impfung gar nicht empfehlen. Ohne zu sehr zu drängen, sollte die Impfung daher immer wieder thematisiert und Informationen dazu angeboten werden.
5) In der Praxis an einem Strang ziehen
Es kann Besitzer enorm verunsichern, wenn der Tierarzt eine andere Meinung vertritt, als die Kollegin in derselben Praxis nur wenige Wochen zuvor. Deshalb ist es hilfreich, sich innerhalb der Praxis abzusprechen und u.a. Impfschemata praxisintern festzulegen. Auch die Tierärztlichen Fachangestellten sollten die innerhalb der Praxis abgestimmten Antworten auf die wichtigsten Fragen der Besitzer zum Thema Impfen kennen.
6) Unterschiedliche Fachinformationen kennen
Auch unter Fachleuten herrscht nicht in allen Fragen Einigkeit: Es gibt unterschiedliche Empfehlungen und Leitlinien zur Impfung, die zum Beispiel in Bezug auf die empfohlenen Impfintervalle voneinander abweichen können. Im Internet sind sie auch für recherchierende Tierbesitzer frei zugänglich. Als Tierarzt empfiehlt es sich, die Unterschiede zu kennen und auf Nachfrage klar erklären zu können, warum man den eigenen Weg geht.
7) Das ganze Team einbeziehen
Wer die Impfrate effektiv erhöhen möchte, sollte das komplette Praxisteam einbeziehen. Tiermedizinische Fachangestellte können Besitzerfragen zur Impfung beantworten und schon vor der Konsultation klären, ob sich Lebensbedingungen oder Umgebung eines Tieres verändert haben. Vielleicht ist ein neuer Welpe eingezogen oder der Aufenthalt in einer Katzenpension geplant?
Schon beim Erstkontakt am Telefon oder Empfangstresen kann der Impfstatus des Patienten abgefragt werden. Kommt das Tier wegen eines anderen Termins in die Praxis, verrät der Blick in die Akte: Ist vielleicht in Kürze eine Impfung fällig? Oder bietet sich die Gelegenheit an, um an die Impfungen anderer Tiere im Haushalt zu erinnern?
8) Impferinnerungen verschicken
Eine 2006 im Canadian Veterinary Journal veröffentlichte Studie zu automatisch generierten Erinnerungen für Patientenbesitzer zeigte, dass Impferinnerungen im Vergleich zur Erinnerung an Zahnvorsorge, Nachsorge- oder Laboruntersuchungen am wenigsten Effekt hatten. Erfolgsversprechender als eine reine Impferinnerung könnten also Einladungen zur jährlichen Gesundheitsvorsorge sein.
Untersuchungen aus der Humanmedizin lassen vermuten, dass die Impferinnerung so personalisiert und individuell wie möglich sein sollte. Besitzer und Tier sollten beim Namen genannt und möglichst ein konkreter Grund für die Impfung genannt werden. „Vereinbaren Sie jetzt einen Impftermin für Mimi, damit sie weiterhin gut gegen Katzenschnupfen geschützt ist.“ „Vereinbaren Sie jetzt einen Impftermin für Luna. Regional sind in den letzten Wochen einige Fälle von Hundestaupe aufgetreten.“
9) Digitale Möglichkeiten nutzen
Ob Facebook, Instagram oder Tiktok: Soziale Medien ermöglichen Ihrer Praxis, fast täglich in Kontakt mit den Kunden zu treten. Nutzen Sie diese Möglichkeiten, um auch in der Impfdiskussion die Stimme der Tierärzte hörbar zu machen. Neben Fakten zur Impfung können sie insbesondere kleine Geschichten zu ihren Patienten erzählen oder auch einfach einmal im Video eine Impfung zeigen. Auch die Impferinnerung muss keine Postkarte sein – möglich sind natürlich auch (automatisierte) Nachrichten per E-Mail, SMS oder WhatsApp.
10) Patientenbesitzern den Besuch erleichtern
Gerade wenn das Tier gesund ist und „nur“ ein Vorsorgetermin vereinbart werden soll, können Besetztzeichen oder Warteschleife am Telefon unschlüssige Patientenbesitzer abschrecken. Erleichtern Sie den Kunden die Vereinbarung solcher Termine durch variable Kontaktmöglichkeiten (E-Mail, webbasierte Terminvereinbarung). Abschreckend wirkt auch das volle Wartezimmer: Bei Katzenbesitzer in Deutschland hatten lange Wartezeiten beim Tierarzt den größten negativen Einfluss auf den Impfstatus. Falls machbar, könnten eine Terminsprechstunde oder spezielle Sprechstunden für Katzen zögernde Besitzer überzeugen.
Tierärzte genießen Vertrauen
Wer sich schlecht über Impfungen informiert fühlt, tendiert eher dazu, auf eine Impfung zu verzichten. Es lohnt sich daher, Zeit in eine gute Beratung zu investieren. Tierärztinnen und Tierärzte genießen einen großen Vertrauensvorsprung und werden in verschiedenen Studien als wichtigste Informationsquelle zur Impfung genannt.