Das Misstrauen gegenüber Impfungen wächst in der Humanmedizin schon seit einigen Jahren besorgniserregend. Bereits 2019 nahm die WHO „Impfmüdigkeit“ in eine Liste der zehn größten Bedrohungen der menschlichen Gesundheit auf, in einer Reihe mit Risiken wie Klimawandel, antimikrobieller Resistenz oder HIV. Gemeint ist das Ablehnen oder Verzögern einer Impfung, obwohl sichere Impfstoffe verfügbar sind.
In der Veterinärmedizin herrscht seitdem Besorgnis, der Trend könne Einfluss auf die Impfbereitschaft von Tierbesitzern nehmen und Seuchen wie Parvovirose oder Staupe ein Comeback ermöglichen. Die World Small Animal Veterinary Association (WSAVA) präsentierte im Frühjahr 2021 die Ergebnisse einer Umfrage unter 2.500 Praktikern auf sechs Kontinenten – insbesondere die englischsprachigen Kollegen beklagten eine Zunahme von Kunden, die eine Impfung ihrer Tiere ablehnen. Regelmäßige Zahlen liefert der britische PAW report: Der Anteil geimpfter Hunde lag 2016 bei 88 % und schwankt in den letzten Jahren zwischen 70 und 80 %. Bei den Katzen liegt die Impfrate mit etwas über 60 % deutlich niedriger.
Nach der Pandemie: Impfung gesellschaftliches Streitthema
In der Humanmedizin haben sich die Fronten mit der gesellschaftlichen Diskussion um die Covid-19-Impfungen in der Pandemie verhärtet. Gleichzeitig hat die Anzahl der Hunde und Katzen deutlich zugenommen, viele Menschen schafften sich erstmalig ein Haustier. Zur Impfrate in dieser Population der „Pandemie-Welpen“ gibt es noch keine Daten – aber es ist durchaus denkbar, dass nun noch mehr Besitzer von einer Impfung erst überzeugt werden müssen.
Impflücken bei älteren Tieren
Bei der Impfbereitschaft gibt es in Tier- wie Humanmedizin große Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern. Zahlen aus Deutschland lieferten Fragebogen-Studien der Medizinischen Kleintierklinik der LMU München: Nicht einmal die Hälfte aller Hunde hatte 2018/19 alle Core-Vakzine gemäß der aktuellen Leitlinien erhalten.
Es haperte vor allem an der jährlich fälligen Impfung gegen Leptospirose, die vielen Tiere zu selten verabreicht wird. Dazu gibt es ähnliche Daten aus Großbritannien: Auch dort ist weniger als die Hälfte aller Hunde ausreichend gegen Leptospirose geimpft, trotz des zoonotischen Potenzials der Erkrankung. Komplett ungeimpft sind nur wenige Hunde, ältere Tiere waren aber oft nicht mehr gut geschützt.
Bei Katzen in Deutschland, deren Core-Vakzine nur alle drei Jahre fällig sind, sah die Situation besser aus: Immerhin 78 Prozent wurden leitliniengerecht geimpft. Auch hier war insbesondere der Impfschutz älterer Tiere tendenziell lückenhaft.
Warum Tierbesitzer sich gegen eine Impfung entscheiden
Die Ursachen für Impfmüdigkeit sind vielschichtig. Wichtige Faktoren scheinen mangelndes Vertrauen in das Gesundheitswesen zu sein, die zunehmende Verbreitung von Alternativmedizin sowie die Explosion an Fake News und Gerüchten, die sich über soziale Netzwerke rasant verbreiten. Forschende gehen davon aus, dass sich die generelle Einstellung zu Impfungen auch auf die Impfentscheidung bei Haustieren auswirkt. Ähnlich wie bei der Entscheidung von Eltern für ihr Kind wünschen die Halter sich wohl eigentlich immer den besten Schutz für ihr Tier – sind aber manchmal unschlüssig, ob eine Impfung dafür nötig und sinnvoll ist.
In Umfragen werden unter anderem diese Gründe für eine Entscheidung gegen das Impfen genannt:
- Hohe Kosten: In den Augen vieler Kollegen (WSAVA-Umfrage) liegt hier die Hauptursache für sinkende Impfraten. Auch im PAW report wurden von Hunde- und Katzenbesitzern zu hohe Kosten als Ursache für einen Impfverzicht genannt. In den Umfragen unter deutschen Tierbesitzern spielte dies jedoch keine Rolle: Weder das Einkommen der Halter noch der Preis der Impfung beeinflussten die Impfentscheidung. Die Daten wurden allerdings vor der GOT-Erhöhung gesammelt.
- Zweifel am Impfstoff: Bedenken zur Impfstoffsicherheit und –wirksamkeit waren sowohl aus Kollegensicht als auch laut den Besitzern häufig der Grund, nicht zu impfen. Einige Besitzer scheinen auch davon auszugehen, Tiere seien generell „überimpft“.
- Stress beim Tierarztbesuch: Überraschend viele Tierhalter, insbesondere von Katzen, gaben im PAW report an, ihren Tieren den Stress eines Tierarztbesuches nicht zumuten zu wollen.
- Zweifel an der Notwendigkeit der Impfung beim eigenen Tier: Im PAW report gaben insbesondere zahlreiche Katzenbesitzer an, ihr Tier müsste nicht geimpft werden, weil es kein Freigänger sei oder keinen Kontakt zu anderen Katzen habe. Ebenfalls weit verbreitet ist der Glaube, ältere Tiere bräuchten keine Impfungen mehr.
Tierhalter die sich schlecht informiert fühlen, tendieren dazu, auf die Impfung zu verzichten; ebenso Besitzer, die großes Vertrauen in Tierheilpraktiker setzen. Eine detaillierte Beratung in der Praxis hat hingegen positive Auswirkungen auf die Impfentscheidung – insbesondere, wenn die Beziehung zum Tierarzt generell vertrauensvoll ist.
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