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Heiko Färber feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Dienstjubiläum.
Foto: Sarah Kastner
Heiko Färber feiert in diesem Jahr sein 20-jähriges Dienstjubiläum.

Interview

Stärker auf Emotionen setzen

Heiko Färber, seit 20 Jahren bpt-Geschäftsführer, berichtet über Erfolge und Herausforderungen des Berufsstandes.

Interview: Jörg Held

Der bpt ist die führende berufsständische Interessenvertretung für praktizierende Tierärztinnen und Tierärzte in Deutschland. Der Verband kümmert sich u. a. um politische Vertretung und Zukunftsgestaltung.

Herr Färber, seit 20 Jahren sind Sie als Verbandsgeschäftsführer beim bpt und damit hauptberuflich Lobbyist. Diese Zuschreibung hat ja immer ein ‚Geschmäckle“. Wie geht es Ihnen damit?

Heiko Färber: Gut. Denn für mich hat Lobbyismus nichts mit schwarzen Koffern zu tun. Ich verstehe mich vielmehr als Übersetzer zwischen Wirtschaft und Politik. Man glaubt es kaum, aber beide Bereiche sprechen oft eine andere Sprache. Lobbyismus ist kein Hexenwerk, sondern bedeutet im Kern, mit dem richtigen Argument am richtigen Platz zum richtigen Zeitpunkt zu sein. Genau das hat der bpt in den letzten Jahren gut geschafft, z. B. bei der Einstufung als systemrelevanter Beruf, bei der EU-Antibiotikadebatte und bei den GOT-Anpassungen. Ohne diese erfolgreiche bpt-Lobbyarbeit wäre der Praxisalltag für viele Tierärztinnen und Tierärzte, für Inhaber und Angestellte heute ein anderer!


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Hat sich die Zusammenarbeit mit dem ­Gesetzgeber in den 20 Jahren verändert?

Heiko Färber: Gefühlt wurde die fachliche Zuarbeit früher mehr geschätzt, weil die Fachleute in den Ministerien sicherstellen wollten, dass ein Gesetz/eine Verordnung praxistauglich ist. Heute geht es bei Gesetzen in erster Linie um die politische Wirkung. Da muss man schauen: Was ist warum politisch gewollt? Und wie kann man da noch irgendwo Fachlichkeit unterbringen? Leider!

Gibt es dafür ein konkretes Beispiel aus der Tiermedizin?

Heiko Färber: Die Dokumentationspflichten im nationalen Tierarzneimittelgesetz: Tierärzte müssen Daten erfassen und liefern, obwohl es beim Inkrafttreten des Gesetzes weder Meldewege noch EDV-Schnittstellen gab. Ähnlich ist es mit den Anhörungen gelaufen. Fristen für Stellungnahmen waren sehr kurz und aus der Bundestagsanhörung von acht Experten hat nicht ein einziges Argument den Weg ins Gesetz geschafft. Eigentlich kann man sich so ein Verfahren dann auch sparen. Herausgekommen ist ein Bürokratiemonster, das wir uns in Zeiten von Tierärztemangel überhaupt nicht mehr leisten können.

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Wie kann oder muss der bpt auf diese veränderte Entwicklung reagieren?­

Heiko Färber: Wir müssen uns an diese politische Realität anpassen. Fachlichkeit und Wissenschaftsargumente – und das ist der Kern der medizinischen Berufe – haben es viel schwerer, überhaupt noch gehört zu werden. Für die andere Seite, die NGOs, die eher über die emotionale Schiene kommen, ist es deutlich leichter geworden.

Wir werden also auch stärker auf Emotionen setzen müssen, ob uns das als wissenschaftlich geprägter Beruf gefällt oder nicht. Zumindest müssen wir unsere Argumente anders sichtbar machen, siehe Antibiotikakampagne. Und es reicht auch nicht mehr, uns nur reaktiv einzubringen, also wenn ein Gesetzesvorschlag vorliegt. Bei unseren Kernthemen werden wir viel früher gemeinsame Positionen entwickeln und uns dann schon im Vorfeld offensiv in die gesellschaftlichen Debatten einschalten müssen.

Auf welcher Ebene fallen künftig die Entscheidungen über die Rahmenbedingungen der Tiermedizin?

Heiko Färber: Ganz klar – über die großen Eckpfeiler der Tierärzteschaft wird immer weniger in Berlin und immer mehr in Brüssel entschieden, weil Brüssel immer mehr auf Verordnungen statt auf Richtlinien setzt. Das nationale Recht muss sich dann an diese EU-Verordnungen anpassen. Wenn wir also hier rechtzeitig mitgestalten wollen, dann müssen wir unseren Europäischen Dachverband, die FVE, stärken. Auch deshalb ist es gut, dass bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder jetzt zum FVE-Präsidenten gewählt wurde. Wichtig ist aber auch, dass wir unser Ehrenamt – einen ganz großen Teil unserer berufspolitischen Arbeit leisten ja die Ehrenamtlichen – auch stärker auf diese europäische Dimension ausrichten und sie dafür qualifizieren müssen.

Ein wichtiges Debattenthema ist ja der Tierarztmangel. Den gibt es, obwohl die Zahl der praktizierenden Tierärzte stetig steigt – konkret seit 2010 um 5.000 auf jetzt 22.700. Warum?

Heiko Färber: Weil sich die Struktur verändert. Wir haben immer mehr Frauen und immer mehr Angestellte. Wir haben weniger Selbstständige. Und wir haben eine steigende Nachfrage, besonders in der Kleintiermedizin. In Summe bedeutet das, wir haben deutlich weniger Arbeitsstunden pro Tierarzt im System. Also müssen wir Strukturen ändern, um diese Arbeitszeit so aufzuteilen, dass sie, wo immer möglich, direkt der Versorgung der Tiere zugutekommt. Immer neue Bürokratieauflagen durch den Gesetzgeber sind da zum Beispiel absolut kontraproduktiv. Wir werden auch andere Technologien einsetzen und dafür das Regelwerk anpassen müssen. Was darf zum Beispiel Telemedizin?

Und wir werden die Arbeitsbedingungen für Angestellte verbessern. Wir müssen die vorhandenen Tierärztinnen im Beruf halten und motivieren, auch in der Familienphase weiterzuarbeiten und danach wieder voll einzusteigen. Das braucht Flexibilität, Wertschätzung, bessere Bezahlung. Da passiert gerade sehr viel. Ich persönlich bin überzeugt: Wir werden in fünf Jahren in puncto Arbeitsbedingungen eine ganz andere Praxislandschaft und Tierärzteschaft haben als heute.

Der Tierarztmangel zeigt sich momentan besonders in der Notdienstkrise. Was kann der bpt dagegen tun?

Heiko Färber: Zusammen mit den Kammern einiges. Berufsträger in einem Heilberuf sind nicht nur die Praxisinhaber, sondern auch die angestellten Tierärzte. Notdienst müssen alle leisten. Das muss Grundkonsens und im Berufsrecht verankert sein.

Und dann schon wieder: An den rechtlichen Rahmenbedingungen arbeiten. Sie sehen, es braucht überall Lobbyismus. Im Notdienst müssen wir die knappe verfügbare Arbeitszeit flexibler nutzen können. Entweder über einen Tarifvertrag, wie in der Humanmedizin. Aber als bpt sind wir da nicht im Lead, weil wir nicht ‚gegnerfrei‘ sind und deshalb nicht Arbeitgeberverband für die angestellten Tierärztinnen und Tierärzte sein können. Weil dieser Tarifvertrag aber leider nicht in Sicht ist, setzen wir uns für eine Änderung im Arbeitszeitgesetz ein. Arbeitszeitflexibilisierung – bei gleicher Wochenstundenzahl(!) – ist für den Notdienst zwingend nötig. Das muss jetzt gelöst werden.

Die Sorge, dass die Arbeitszeitflexibilität zulasten der Angestellten geht, verstehen Sie nicht?

Heiko Färber: Nicht wirklich. Erstens haben wir eine Arbeitsmarktsituation, in der sich fast jeder Tierarzt die Konditionen, zu denen er arbeiten möchte, aussuchen kann. Zweitens wird die zulässige Wochenhöchstarbeitszeit nicht angetastet. Was spricht dagegen, dass eine Tierärztin in der Familienphase ihre 32 Wochenstunden in zwei Nacht- (12 h) und einem Tagdienst (8 h) leistet, dabei vier Tage frei hat und nahezu ein Vollzeitgehalt verdient? Gerade als freier Beruf müssen wir doch den Menschen mehr Selbstständigkeit zutrauen, zumindest ihnen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden.

Das könnte kurzfristig helfen. Perspektivisch kommt aber noch die demografische Entwicklung dazu. Stichwort Renteneintritt der Babyboomer. Dann suchen über 4.000 Praxen eine Nachfolge. Werden sie die finden?

Heiko Färber: Wahrscheinlich nicht alle. Die Zahl der Praxisinhaber wird sinken, das sieht man auch schon in der Tierärztestatistik. Ich glaube trotzdem: Das Leitbild der Tiermedizin bleibt die Selbstständigkeit. In anderen Ländern gehen wieder mehr Tierärzte diesen Weg.

Was uns aber klar sein muss: Wir haben keine Bedarfsplanung wie die Humanmedizin – und selbst dort hakt es. Wir haben ein marktwirtschaftliches System. Also können wir – als Branche, aber auch die Politik – nur steuern, indem wir die Rahmenbedingungen verbessern. Wir müssen ganz besonders für Tierärztinnen auch Selbstständigkeit attraktiv gestalten. Warum zum Beispiel gibt es für Inhaberinnen keinen Mutterschutz? Die wichtigste Rahmenbedingung ist übrigens die angepasste und erhöhte GOT. Die Praxen können jetzt mehr in Mitarbeiter investieren. Und man kann auch als Mutter mit eigener Praxis gutes Geld verdienen und zugleich seine Arbeitszeit flexibel gestalten. Da gibt es auch jetzt schon gute Beispiele.

Eine andere strukturelle Veränderung begleitet Sie auch schon fast zehn Jahre: Investoren kaufen große Praxen und Tierkliniken. Die Zahl ist noch überschaubar dreistellig. Aber der Anteil am Branchenumsatz bewegt sich Richtung 15 Prozent. Wie verändert das die Branche?

Heiko Färber: Wie Sie wissen, halte ich nichts davon, diese Entwicklung in das Schema Gut/Böse einzuordnen, vielmehr geht es um Chancen und Risiken. Corporate-Strukturen gibt es auch in anderen Berufen und in anderen Ländern. Wenn sich demnächst die Mehrheit der praktizierenden Tierärzte und Tierärztinnen auch langfristig als Angestellte sieht, dann muss es für sie Arbeitgeber geben. Dazu muss jemand große Praxen und Kliniken betreiben – idealerweise die Tierärzte selbst. Aber wir müssen aufpassen – denn auch das gehört zum Heilberuf –, dass es zum Schluss nicht primär um wirtschaftliche Gesichtspunkte geht, sondern immer medizinische Aspekte Vorrang haben. Da wird mir in letzter Zeit auch immer wieder über Entwicklungen berichtet, die mir so nicht gefallen. Im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern haben wir in Deutschland aber keine Flut von Corporates erlebt. Das liegt an Sozialgesetzgebung, Heilberufegesetzen, Kammerregeln, Gebührenordnung, Tierarzneimittelrecht etc. – alles Regulierungen, die es so in anderen Ländern nicht gibt und die in Summe ein wirksames Markteintrittshindernis sind. Sonst wäre deren Zahl wohl größer. In anderen Ländern gibt es übrigens auch schon Gegenbewegungen: In Großbritannien machen sich wieder mehr Tierärzte selbstständig, in Frankreich hat sich gerade das höchste Gericht kritisch positioniert und in Deutschland nimmt die Diskussion über die Humanmedizin gerade auch Fahrt auf.

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