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Hündin mit Cushing-Syndrom
Foto: Jennifer von Luckner
Hündin mit Cushing-Syndrom

Endokrinologie

FAQs zum Cushing-Syndrom – Teil 1

In diesem ersten Teil zum Cushing-Syndrom geht es um die neue Nomenklatur und Fragen rund um die ersten Schritte der Diagnostik.

Von Jennifer von Luckner, Sandra Lapsina, Florian Zeugswetter

Das Cushing-Syndrom ist eine der häufigsten Endokrinopathien beim Hund und somit keine unbekannte Erkrankung. Dennoch oder gerade deshalb treten regelmäßig Fragen im Praxisalltag auf.

Wie heißt die Erkrankung korrekt?

Klinische Symptome und Laborveränderungen des Cushing-Syndroms werden durch ein Überangebot von Glukokortikoiden ausgelöst. Dabei ist es irrelevant, ob diese endogen produziert oder exogen zugeführt werden. Zudem können neben Cortisol diverse andere Steroide zu gleichen Veränderungen führen. Daher haben sich Endokrinologen in einem als ALIVE (Agreeing Language in Veterinary Endocrinology) bezeichneten Projekt auf die Formulierung Cushing-Syndrom geeinigt.


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Die ehemaligen Formulierungen Morbus Cushing, Cushing-Erkrankung oder Hyperadrenokortizismus sollten nicht mehr verwendet werden. Der Begriff Hypercortisolismus kann genutzt werden, wenn nachgewiesen wird, dass die pathologischen Veränderungen durch Cortisol (und kein anderes Steroid) entstanden sind.

Wie häufig wird ein Cushing-Syndrom durch andere Steroide ausgelöst?

Die meisten iatrogenen Fälle werden durch andere Steroide hervorgerufen. Bis auf Hydrokortison handelt es sich bei exogen zugeführten Glukokortikoiden nicht um Cortisol, auch wenn die Wirkung auf den Körper ähnlich ist.

Bei den meisten Patienten mit endogen entstandenem Cushing-Syndrom wird es sich um einen Hypercortisolismus handeln. Am häufigsten (80–85 % der Fälle) führt eine Überproduktion von ACTH (in der Regel durch einen Tumor oder eine Hyperplasie in der Hypophyse) zur vermehrten Produktion von Cortisol in den Nebennieren (= hypophysäres Cushing-Syndrom). Bei ca. 20–25 % der Patienten ist die autonome Sekretion von Cortisol in einem Nebennierentumor die Ursache (= adrenales Cushing-Syndrom). Allerdings werden in der Nebenniere auch andere Steroidhormone produziert: zum einen Corticosteron, welches funktional dem Cortisol gleich ist, zum anderen 17-OH-Progesteron, Progesteron, Androstendion und Östradiol. Die vermehrte Produktion solcher Hormone erfolgt durch Tumoren der Nebenniere. Es ist unklar, wie häufig diese dem Hypercortisolismus ähnliche oder sogar identische Symptome auslösen. Veröffentlichungen beschränken sich auf Fallberichte und -serien.

Was genau ist ein atypisches Cushing-Syndrom?

Das atypische Cushing-Syndrom heißt nach den neuen ALIVE-Kriterien subdiagnostisches Cushing- Syndrom. Dieser neue Name ist nahezu selbsterklärend: Es handelt sich um ein Cushing-Syndrom mit typischen klinischen, labordiagnostischen und in der Bildgebung sichtbaren Folgen, aber es gibt Probleme bei der Diagnostik (= subdiagnostisch). Insbesondere die dynamischen Funktionstests (Low-Dose-Dexamethason-Test und ACTH-Test) sind negativ.

Negative Testergebnisse bei einem ansonsten auf ein Cushing-Syndrom hinweisendes klinisches Bild (korrekte Testdurchführung vorausgesetzt) können mehrere Ursachen haben:

  • Keiner der zur Diagnostik des Cushing-Syndroms zur Verfügung stehenden Tests besitzt eine 100%ige Sensitivität. Falsch negative Ergebnisse sind immer möglich.
  • Cortisol-Sensitivität. Es erscheint möglich, dass bei individuellen Patienten eine erhöhte Glukokortikoid-Sensitivität besteht. Trotz nur geringgradiger Überproduktion an Steroiden werden Symptome sichtbar. Insbesondere für diese Patienten wird diskutiert, dass die aktuell genutzten Referenzintervalle für Cortisol nicht ausreichend sensitiv sind.
  • Produktion von anderen Glukokortikoid-wirksamen Hormonen in einem Nebennierentumor.
  • Die Nebennieren reagieren auf andere Hormone als ACTH mit einer Cortisol-Produktion. Dies fällt allerdings nicht in die Kategorie subdiagnostisches Cushing-Syndrom, sondern wird als gesonderte Form geführt: aberrante adrenale Rezeptor-Expression. Diese Form ist extrem selten und in der Tiermedizin nur einmal als fütterungsabhängiger Hypercortisolismus beschrieben.
  • Exogene Glukokortikoid-Zufuhr und damit Suppression der körpereigenen Produktion. Hier spricht man allerdings von einem iatrogenen und nicht von einem subdiagnostischen Cushing-Syndrom.

Was sind die wichtigsten Anzeichen im Vorbericht?

Das Cushing-Syndrom ist eine Erkrankung des älteren Hundes, das Vorkommen bei jüngeren Hunden ist eher selten, aber nicht unmöglich. Oft betrifft es Rassen wie Dackel, Pudel, verschiedene Terrier, Schnauzer und Boxer.

Klassische Anzeichen sind Polyurie/Polydipsie, Polyphagie, Gewichtszunahme, Bewegungsunlust/Lethargie, Hecheln, ausbleibende Läufigkeit und Fell-/Hautveränderungen.

Worauf sollte in der klinischen Untersuchung besonders geachtet werden?

Besonders hervorzuheben ist der oft voluminöse Bauch bei eher dünnen, wenig bemuskelten Beinen. Die Ursachen für das auffällig runde Abdomen sind vielfältig. Die wichtigsten sind reduzierte Muskelspannung, Hepatomegalie und Stammfettsucht. Letzteres führt auch zu charakteristischen Fettpolstern vor den Hüfthöckern („Love Handles“) bei ansonsten nicht unbedingt übermäßig adipösem Erscheinungsbild. Bei Palpation ist das Abdomen aufgrund der fehlenden Muskulatur weich, auch bei ängstlichen Hunden, die ansonsten ein angespanntes Abdomen vermuten ließen.

Lesen Sie auch Teil 3: https://www.vetline.de/faqs-zum-cushing-syndrom-teil-3

Flankenalopezie und vermehrte Komedonenbildung sind häufig, werden allerdings auch bei anderen Erkrankungen, wie der Hypothyreose, angetroffen. Ein Merkmal, das das Cushing-Syndrom von anderen, ähnlich erscheinenden Erkrankungen unterscheidet, ist die auffällig dünne Haut. Am ventralen Abdomen ist dadurch oft der durchschimmernde Venenverlauf sichtbar. Verdickt erscheint die Haut beim Cushing-Syndrom nur dann, wenn sich eine Calcinosis cutis ausgebildet hat. Hierbei kommt es zu Mineralisationen innerhalb der Dermis. Oft entsteht eine sekundäre Entzündung, die gern als primäre Pyodermie miss­interpretiert wird. Die Calcinosis cutis bildet sich besonders häufig im Bereich des dorsalen Nackens.

Können bestimmte Veränderungen im Blutprofil explizit gegen ein Cushing-Syndrom sprechen?

Das Vorliegen einer Anämie passt nicht zum Cushing-Syndrom. Cortisol führt zu einer vermehrten Produktion von roten Blutzellen. Dies spiegelt sich in der Hämatologie wider: Die Erythrozytenwerte liegen beim Cushing-Syndrom in der Regel am oberen Referenzbereich oder sogar etwas darüber. Ist eine Anämie vorhanden, sollte die Verdachtsdiagnose Cushing-Syndrom überdacht werden.

Glukokortikoide lösen zudem ein sogenanntes Stressleukogramm (Neutrophilie, Lymphopenie, Monozytose, Eosinopenie) aus. Ist das Stressleukogramm abwesend, schließt dies ein Cushing-Syndrom zwar nicht aus, ist aber doch sehr untypisch.

Dass die Leberwerte bei Hunden mit Cushing-Syndrom meist erhöht sind, ist bekannt. In der Regel ist die alkalische Phosphatase häufiger und deutlicher erhöht als die ALT oder AST. Bilirubin hingegen, als weiterer Parameter des Leberprofils, steigt beim Cushing-Syndrom nicht an.

Gibt es Blutbildveränderungen, die weniger bekannt sind, aber ebenfalls Hinweise liefern können?

Glukokortikoide sind an der Regulierung des Blutzuckers beteiligt, somit kann es bei Patienten mit Cushing-Syndrom zu einer (oft leichten) Hyperglykämie kommen. Bei Diabetikern kann das Cushing-Syndrom zu Problemen bei der Einstellung mit entsprechend hohen Blutglukose- und Fruktos­amin-Konzentrationen führen.

Bei vielen Hunden mit Cushing-Syndrom wird ein Anstieg der Lipase-Konzentration im Blut beobachtet. Bisher konnte dies nicht mit dem Vorhandensein einer Pankreatitis in Verbindung gebracht werden. Somit geht man momentan davon aus, dass es eine Glukokortikoid-induzierte Erhöhung ist.

Eine Hypokaliämie kann Ausdruck des vermehrten renalen Kaliumverlustes infolge der Poly­urie sein.

Im Gegensatz zum Bilirubin kann es bei Hunden mit Cushing-Syndrom zu einer erhöhten Konzentration von Gallensäuren im Blut kommen. Der Anstieg ist in der Regel prä- und postprandial mild und hat keine klinisch erkennbare Konsequenz für die Leberfunktion.

Hilft die Harnuntersuchung bei der Diagnostik?

Insbesondere die Untersuchung des Urinspezifischen Gewichts (USG) kann eine wertvolle Hilfe darstellen. Ein großer Teil der Patienten mit Cushing-Syndrom hat ein USG < 1030. Glukokortikoide führen durch die Interaktion am ADH-­Rezeptor der Niere zur Polyurie. Sie blockieren den ADH-Rezeptor. Dieser soll eigentlich durch ADH (= antidiuretisches Hormon) das Signal zum Öffnen der Aquaporine (= Wasserporen) des Sammelrohrs weiterleiten. Bleiben diese Aquaporine geschlossen, wird im Sammelrohr kein Wasser rückresorbiert und es geht mit dem Urin verloren. Zudem besteht in vielen Fällen vermutlich zusätzlich ein gewisser ADH-Mangel durch den negativen Feedbackmechanismus von Cortisol an der Hypophyse. Die Folge ist ein reduziertes Urinspezifisches Gewicht. Dieses liegt sogar oft im hyposthen­urischen Bereich (USG < 1008).

Ein weiteres Anzeichen kann eine Proteinurie sein. Selbstverständlich muss überprüft werden, ob es eine andere Ursache für die Proteinurie gibt. Wird sie jedoch durch das Cushing-Syndrom selbst ausgelöst, ist dies meist kein Grund zur Sorge. Der genaue Pathomechanismus, der zur Protein­urie bei Patienten mit Cushing-Syndrom führt, ist unbekannt.

Worauf sollte ich beim Ultraschall des Abdomens achten?

Sonografisch werden insbesondere die Nebennieren untersucht. Beidseits deutlich verbreiterte (> 0,6 cm), plumpe und hypoechogene Nebennieren sind typisch für das hypophysäre Cushing-Syndrom. Nebennierentumoren liegen in der Regel einseitig vor. Die betroffene Nebenniere ist meist breiter als 1 cm, während die kontralaterale sehr schmal ist.

Weitere mögliche sonografische Befunde

  • Leber: vergrößert, stumpfe Ränder, hyper­echogenes Parenchym z. T. durchsetzt mit hypoechogenen Flecken
  • Gallenblase: vermehrter Schlick, aufgeraut erscheinende lumenseitige Gallenblasenwand
  • Milz und Niere: miliare parenchymale Hyperechogenitäten (stipchenartige Mineralisierungen)
  • Pankreas: kann leicht verbreitert und geringgradig hypoechogen sein
  • Harnblase: leichte Irregularitäten der luminalen Harnblasenwand möglich

Insbesondere bei unklaren Fällen und/oder Zweifeln an der (Verdachts-)Diagnose sollten neben den Nebennieren selbst auch diese Veränderungen im Fokus der Ultraschalluntersuchung stehen.

Literaturauswahl

ALIVE Projekt: www.esve.org/alive/search.aspx
Behrend EN, Kooistra HS, Nelson R, Reusch CE, Scott-Moncrieff JC (2013): Diagnosis of spontaneous canine hyperadrenocorticism: 2012 ACVIM consensus statement (small animal). J Vet Intern Med 27(6): 1292–1304.
Bennaim M, Shiel RE, Mooney CT (2019): Diagnosis of spontaneous hyperadrenocorticism in dogs. Part 1: Pathophysiology, aetiology, clinical and clinicopathological features. Vet J 252: 105342.
Bugbee A, Rucinsky R, Cazabon S, Kvitko-White H, Lathan P, Nichelason A, Rudolph L (2023): AAHA selected endocrinopathies of dogs and cats guidelines. J Am Anim Hosp Assoc 59(3): 113–135.
Carotenuto G, Malerba E, Dolfini C, Brugnoli F, Giannuzzi P, Semprini G, Tosolini  P, Fracassi F (2019): Cushing`s syndrome – an epidemiological study based on a canine population of 21,281 dogs. Open Vet J 9(1): 27–32.
O`Neill DG, Scudder C, Faire JM, Church DB, McGreevy PD, Thomson PC, Brodbelt DC (2016): Epidemiology of hyperadrenocorticism among 210,824 dogs attending primary-care veterinary practices in the UK from 2009 to 2014. J Small Anim Pract. DOI 10.1111/jsap.12523.
Pérez-Alenza D, Melián C (2017): Hyperadrenocorticism in dogs. In: Ettinger SJ, Feldman EC, Côté E (eds.), Textbook of Veterinary Internal Medicine. Elsevier, St. Louis.
Stritzel S, Distl O (2010): Literaturübersicht über die Rassedisposition und das familiäre Vorkommen des sekundären Cushing-Syndroms bei Hunden. Kleintierpraxis 55(3): 117–128.

Über die Autorin

Jennifer von Luckner, Dipl. ECVIM-CA (Innere Medizin), FTA für Kleintiere und Innere Medizin, ist in der Tierklinik Ahlen tätig und bei Laboklin für die interne und externe Ausbildung zuständig.

Kontakt zur Autorin: luckner@laboklin.com

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