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Tierärztinnen und Tierärzte müssen ihre Dienstleistung in Zukunft gut verkaufen, damit sie langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein können.
Foto: Marion Weerda
Tierärztinnen und Tierärzte müssen ihre Dienstleistung in Zukunft gut verkaufen, damit sie langfristig wirtschaftlich erfolgreich sein können.

Zukunft der Veterinärmedizin

Tiermedizin wirtschaftlich attraktiver gestalten

Die tiermedizinische Branche im Wandel: Erkenntnisse aus der Wirtschaftswissenschaft und Lösungsideen aus der tierärztlichen Praxis.

Carlotta Hassenbürger

Das Berufsbild von Tierärztinnen und Tierärzten in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten grundlegend gewandelt: Der traditionelle Hoftierarzt hat seine Tätigkeiten von der Behandlung einzelner Tiere zum Bestandsbetreuer gewechselt. Die Kleintiermedizin expandiert, da vermehrt Hunde und Katzen gehalten werden und diese zunehmend die Stellung von Familienmitgliedern einnehmen. Tierarztpraxen und Tierkliniken werden von Ketten übernommen. Die Gesellschaft achtet vermehrt auf Tierwohl und sieht die Nutztierhaltung kritisch, was sich auf die Haltungsbedingungen der Nutztiere auswirkt. Des Weiteren führt die Feminisierung des Berufsstandes zu veränderten Arbeitsmodellen.

Tierärztinnen und Tierärzte stehen im Spannungsfeld zwischen der Sicherstellung der tierischen Patien­tenversorgung, den rechtlichen Rahmenbedingungen, dem Tierschutz und der Wirtschaftlichkeit ihrer Arbeit. Ziel der vom Bundesverband Praktizierender Tierärzte (bpt) unterstützten Studie von Carlotta Hassenbürger unter der Leitung von Tierarzt Prof. Jan Ehlers sowie Wirtschaftswissenschaftler Prof. André Schmidt der Universität Witten/Herdecke ist es, ein Bewusstsein für die Vielzahl an Herausforderungen des tiermedizinischen Berufsbildes zu schaffen und Lösungsansätze zu etablieren, damit der Beruf der Tiermedizin langfristig attraktiv bleibt.

Mehr Tierärztinnen, mehr Tierarztpraxen, weniger Kliniken


Top Job:



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Die aktuelle Markteinschätzung zeigt, dass in den letzten 20 Jahren die Zahl der Tierärztinnen und Tierärzte von 30.897 auf 43.461 gestiegen ist (Quelle: Bundestierärztekammer 2021). Zeitgleich hat sich der Frauenanteil von 58 % auf 73 % erhöht.

Blickt man auf die Altersstruktur, so wird deutlich, dass bei den bis zu 40 Jahre alten Tierärzten 80 % weiblich sind. Ab einem Alter von 70 Jahren sind mehr als 70 % der Tierärzteschaft männlich.

Die Anzahl der Tierkliniken in Deutschland ist von 297 im Jahr 2009 auf 181 im Jahr 2020 zurückgegangen. Das entspricht einem Verlust von 35 %. Der Prozentsatz der Anzahl tierärztlicher Praxen erhöhte sich in diesem Zeitraum dagegen leicht um knapp 4 %.

Der Gesamtumsatz in der Tiermedizin hat sich von 2,8 Milliarden im Jahr 2012 auf geschätzte 4,25 Milliarden im Jahr 2022 deutlich gesteigert. Das entspricht einem Plus von knapp 50 %. Zwei Drittel des Umsatzes werden durch die Kleintiermedizin generiert.

Gehälter vergleichsweise gering

Der durchschnittliche Bruttoverdienst von Tierärztinnen und Tierärzten ist zwischen dem Jahr 2007 und 2017 um 25 % auf 40.365 € gestiegen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2019). Vergleicht man die Daten mit anderen Berufen des Gesundheitswesens, so weist der durchschnittliche Bruttojahresverdienst im Gesundheitswesen ebenfalls eine steigende Tendenz auf und liegt deutlich über dem durchschnittlichen Bruttojahresverdienst im Veterinärwesen.

Ökonomisches Wissen fehlt

Auf Grundlage der aktuellen Markteinschätzung wurde im ersten Halbjahr 2021 eine Online-­Befragung von Tierärztinnen und Tierärzten durchgeführt. Die Umfrage zeigt ein Stimmungsbild der beruflichen und wirtschaftlichen Situation. Insgesamt 260 Tierärzte (160 weiblich, 100 männlich) nahmen an der Studie teil.

Hier die zusammengefassten Ergebnisse:

  • Mehr als die Hälfte der Studienteilnehmer (65 %) verbringt keine bis weniger als 20 % ihrer wöchentlichen Arbeitszeit mit betriebswirtschaftlichen Managementaufgaben.
  • 71 % der Studienteilnehmer nutzen eine Steuerberatung als betriebswirtschaftliche Beratung und 28 % wenden sich dafür an die Tierärztekammern oder Fachverbände.
  • 95 % der Befragten haben im Studium kein betriebswirtschaftliches Grundwissen erworben. 54 % der Umfrageteilnehmer nutzen Weiterbildungsmöglichkeiten in diesem Bereich.
  • Über 90 % der Befragten betrachten die Ökonomie in der Tiermedizin als wichtiges Entwicklungsinstrument.

Wachsende Markt- und Wettbewerbs­situation

Die Markt- und Wettbewerbssituation werden von der Mehrheit der Befragten (67 %) positiv eingeschätzt. Nach Ansicht der Studienteilnehmer hat sich die Kollegialität untereinander verbessert. Positiv beurteilen die Befragten die Zunahme der Kleintiermedizin insgesamt. Auch ist ein Großteil der Tierhalterinnen und Tierhalter bereit, höhere Tierarztkosten zu tragen. Insgesamt führen die zunehmenden Spezialisierungen der Tierarztpraxen zu einer Steigerung der Qualität der tierärztlichen Dienstleistungen.

Mehr Gehalt, weniger Arbeitszeit

Zwar hat sich die Einkommenssituation der Tiermedizin nach Meinung der Studienteilnehmer grundsätzlich verbessert, dennoch sind die Unterschiede zu ähnlich oder gleich qualifizierten Akademikern deutlich zu erkennen. Als Gründe für die Einkommensunterschiede geben die Befragten Folgendes an:

  • unzureichende Rechnungsstellung für erbrachte Leistungen (z. B.: „Gratis-Beratung“) (75 %)
  • mangelndes betriebswirtschaftliches Verständnis der Tierärztinnen und Tierärzte (69 %)
  • geringe Anzahl an krankenversicherten Tieren (49 %)

Die Studienteilnehmer wünschen sich ein ansprechendes Gehalt in Verbindung mit einer ausgewogenen Work-Life-Balance. Die ständige Erreichbarkeit im Notdienst und lange Arbeitstage fördern den dramatischen Nachwuchsmangel, vor allem in der Nutztiermedizin.

Familienplanungen und Teilzeitarbeit erschweren nach Meinung der Umfrageteilnehmer das ohnehin schon belastete Berufsbild. Für die universitäre Ausbildung wünschen sich die Studienteilnehmer Änderungen der Zulassungsvoraussetzungen, mehr Praxiskompetenzen und die Vermittlung von betriebswirtschaftlichem Basiswissen.

Wahrgenommen wird auch, dass sich der Berufsstand und seine Organisationsstrukturen verändern: eine höhere Anzahl von Spezialisierungen, Übernahmen von Tierarztpraxen und Tierkliniken durch Ketten, Feminisierung und Telemedizin.

Zusammenfassend lassen sich anhand der Online-Befragungen folgende Thesen ableiten:

  • Ökonomisches Arbeiten in der Tiermedizin wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Schon in der Universität sollte betriebswirtschaftliches Wissen vermittelt werden.
  • Die Einkommenslücke in der Tiermedizin, nicht nur zwischen den Geschlechtern, sondern auch zu anderen Berufsgruppen im Gesundheitswesen, ist sehr groß.
  • Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber sind zunehmend als Unternehmer tätig. Moderne technische Methoden werden in Zukunft eine größere Rolle einnehmen.
  • Ungünstige Studienzulassungsvoraussetzungen und Arbeitsbedingungen verstärken den Nachwuchsmangel.

Lösungsideen aus der Praxis

Anschließend an die Online-Umfrage wurden insgesamt 15 Interviews (2021) durchgeführt. Voraussetzung zur Teilnahme am Interview war, dass mindestens zehn Jahre die Inhaberschaft einer tiermedizinischen Praxis bzw. Klinik vorliegt. In diesen Interviews wurden die erarbeiteten Lösungsansätze diskutiert, die das tiermedizinische Berufsbild wieder attraktiver gestalten sollen. Die Ergebnisse der Interviews unterstreichen die folgenden konkreten Handlungsempfehlungen des tiermedizinischen Berufsstandes:

  • stärkere Ökonomisierung, höhere Gehälter
  • attraktivere (flexible) Arbeitsbedingungen
  • Abschaffung des NCs, verpflichtendes Praktikum vor Studienbeginn
  • Digitalisierungsstrategie, Bürokratieabbau
  • freiwillige Tierkrankenversicherungen
  • Gemeinschaftspraxen und -kliniken zur Nutzung von Synergieeffekten

Für mehr Wirtschaftlichkeit in der Tiermedizin ist eine korrekte Abrechnung ein wichtiger Ansatz. Dazu zählt die ständige Aktualisierung der GOT als Grundlage für die korrekte Rechnungsstellung tierärztlicher Leistungen. Höhere Einnahmen ermöglichen Investitionen in Digitalisierung. Neuartige technologische Entwicklungen können das Praxis- bzw. Klinikmanagement durch effizientere Lösungen wie beispielsweise Telemedizin ausweiten. Auch Flexibilität ist ein mögliches Ergebnis von verbesserten Arbeitsbedingungen und optimiertem Management.

Aktuell ist das Pensum, das Tierärztinnen und Tierärzte mit Managementaufgaben verbringen, gering. Doch die Tierärztinnen und Tierärzte beginnen zunehmend ökonomisch zu agieren, somit gibt es einen Ausbau des Unternehmertums in der tiermedizinischen Branche. Wirtschaftliches Arbeiten in der Tiermedizin ist, wie in der gesamten Gesundheitsbranche, immer eine Chance und Herausforderung zugleich. Damit die Tiermedizin auch in Zukunft eine attraktive Tätigkeit bleibt, müssen die Rahmenbedingungen dringend verbessert werden.

Mehr zum Thema

Dissertation zum Download: Die Zukunft der Tiermedizin

Anregungen und weiterer Austausch: carlotta.hassenbuerger@uni-wh.de