28 Stationsplätze der Klinik für Heimtiere, Vögel und Reptilien der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover (TiHo) werden im Durchschnitt eines Jahres von Wildtieren belegt. Die Statistik der Stationstage führen Igel, Stadttauben und Ringeltauben an. Tendenz der Einlieferung von Wildtieren? Steigend. Daten wie diese illustrieren eine gesellschaftliche Problematik, die wachsende Aufmerksamkeit erhält: Wildtiere rücken den Menschen in urbanen Gegenden immer näher und treffen auf eine hilfswillige, aber oft auch überforderte Bevölkerung.
Um in der Debatte über heimische Wildtiere Problemfelder benennen und Lösungen finden zu können, startete 2022 das Projekt „Wildtierdiskurs“ der TiHo, das mehr als ein Jahr lang die gegenwärtige Situation beleuchtete – durch Forschung, Podiumsdiskussionen oder Vorträge. Die Leitung des Projektes übernahmen Prof. Dr. Ursula Siebert, Leiterin des Instituts für Terrestrische und Aquatische Wildtierforschung, und Prof. Dr. Michael Pees, Leiter der Klinik für Heimtiere, Reptilien und Vögel der TiHo. Im Juni präsentierten die Organisatoren und Mitarbeitenden des Diskurses bei einer Online-Abschlussveranstaltung Handlungsempfehlungen in vier Bereichen: Verwaltungsbelange, Versorgung von Wildtieren, Bildung, Wissenschaft und Aufklärung sowie Einstellung zur Natur und Umwelt.
Emotional aufgeladene Debatte
Zusammengefasst sind diese Empfehlungen in einem online verfügbaren Kurzfilm, dessen einzelne Aspekte während der Abschlussveranstaltung von zugeschalteten Experten reflektiert wurden. Dr. Johanna Painer-Gigler, Wildtierärztin am Forschungsinstitut für Wildtierkunde und Ökologie der Vetmeduni Wien, thematisierte beispielsweise das emotional aufgeladene Problem der Triageentscheidungen. Natürlich werde eine Tierärztin oder ein Tierarzt, dem ein Wildtier vorgestellt wird, eine Situation anders beurteilen als die Person, die das Tier zur Behandlung bringe, so Painer-Gigler. Wenn man das Tier wieder auswildere, müsse es aber wieder zur Flucht oder zur Jagd – je nach Tierart – und zur Fortpflanzung fähig sein und auch insgesamt in der Natur zurechtkommen können. Während der Veranstaltungen des Diskurses war mehrfach thematisiert worden, dass der vermenschlichende Blick auf Wildtiere vielfach unrealistische Wünsche an Tierärzte und Auffangstationen mit sich bringe.
Spannende Erkenntnisse über die Beziehung von Menschen zu Wildtieren steuerte die Diplom-Psychologin Dr. Uta Maria Jürgens bei, Gastwissenschaftlerin an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft in Birmensdorf in der Schweiz. Sie konnte in einer Studie zeigen, dass Wildtieren von Menschen sogar Intentionen unterstellt werden, etwa eine bewusste Schädigungsabsicht oder auch eine Beziehungsabsicht. „Am ehesten hilft Bildung aus meiner Sicht da, wo die authentische Perspektive von Tieren verständlich gemacht wird“, so Jürgens. Sie mahnte zudem, die Vielfalt an Positionen gegenüber Wildtieren wahr- und ernst zu nehmen sowie dann auch mit dieser Komplexität umzugehen.
Hier finden Sie die Aufzeichnung der Abschlussveranstaltung mit Kurzfilm zu Handlungsempfehlungen.