Berufspolitik

Deutscher Tierärztetag 2022: Gemeinsam etwas bewirken

Mitte September trat in Berlin das wichtigste berufspolitische Gremium der deutschen Tierärzteschaft zusammen. Der 29. Deutsche Tierärztetag formulierte zahlreiche Forderungen an die Politik, die Gesellschaft und die Tierärzteschaft selbst.

„One Health – gemeinsam für die Gesundheit von Tier und Mensch?!“ So lautete das Motto, unter dem sich über 300 Tierärztinnen und Tierärzte zum 29. Deutschen Tierärztetag in Berlin versammelten. In vier Arbeitskreisen diskutierten sie lebhaft über die Themen, die die Tierärzteschaft momentan besonders bewegen. Im Ergebnis wurden Forderungen, aber auch Selbstverpflichtungen formuliert und von den Delegierten der Landes-/Tierärztekammern und weiterer beteiligter Organisationen beschlossen.

Infektionsschutz für Tier und Mensch

One Health: Zahlreiche drängende Themen unserer Zeit wie die Bekämpfung von Zoonosen und vektorübertragenen Infektionskrankheiten oder der Umgang mit antimikrobiellen Resistenzen berühren sowohl die Umweltwissenschaften als auch die Human- und Veterinärmedizin: „Mittelpunkt ist nicht der Mensch, sondern der Planet“, hieß es auf dem Podium. Nur gemeinsam lässt sich die Gesundheit von Mensch, Tier und Ökosystemen nachhaltig in Balance bringen. Die im Arbeitskreis 1 erarbeiteten Forderungen des Deutschen Tierärztetages zielen daher in erster Linie auf eine bessere Abstimmung und Zusammenarbeit. Das betrifft sowohl Bundesministerien und Ressorts, als auch Behörden und berufspolitische Gremien, aber auch die Lehrpläne von Schulen und Universitäten.

Impfen in der tierärztlichen Praxis: Im Fokus des Arbeitskreises stand auch das Impfen als Erfolgskonzept zur Bekämpfung von Infektionskrankheiten, auch im Hinblick auf die Antibiotikareduktion. Der Tierärztetag fordert eine Abkehr von einer „Nicht-Impf-Politik“, eine Förderung der Entwicklung und schnellen Aktualisierung von Impfstoffen sowie flexiblere Zulassungsverfahren. Das Impfen und Freitesten von Tieren soll als Alternative zum Sperren von Beständen und Töten von Tieren stärker gefördert und berücksichtigt werden. „Die Zeiten, in denen wir gesunde Tiere töten, sollten eigentlich vorbei sein“, befand der Arbeitskreis.

Gesunde Tiere für sichere Lebensmittel

Der Arbeitskreis 2 sieht die Nutztierhaltung in einem Spannungsfeld aus drastisch gestiegenen gesellschaftlichen Ansprüchen und ökonomischen Zwängen. Von der Gesellschaft fordert der Deutsche Tierärztetag daher Wertschätzung und faire Preise für hochwertige Nahrungsmittel von gesunden Tieren. Auch für den eigenen Berufsstand fordert der Tierärztetag Wertschätzung ein: Tierärzte seien integraler Bestandteil der Gesundheitsversorgung, es sei an der Zeit, dass die tierärztliche Expertise gehört wird. An die Politik gehen Forderungen nach

  • einer Erweiterung und Ergänzung der Rechtsvorschriften zur Tierhaltung,
  • einer zentralen Tiergesundheitsdatenbank, in der auf Basis einer rechtlichen Grundlage datenschutzkonform alle Daten zur Tierhaltung zusammengeführt werden,
  • der rechtlich verbindlichen Einführung der Integrierten Tierärztlichen Bestandsbetreuung.
  • Tierschutz für Nutztiere: Einzeltier im Fokus

    Der Arbeitskreis 3 beklagt, dass insbesondere der Umgang mit schwer verletzten und erkrankten Einzeltieren deutlicher Verbesserungen bedarf. Landwirte müssen kranke Tiere frühzeitig erkennen und behandeln – das geht nur in Zusammenarbeit mit den bestandsbetreuenden Tierärzten. Der Deutsche Tierärztetag fordert daher unter anderem

  • die Erlaubnispflicht für gewerbsmäßige Tierhaltungen nach §11 TierSchG auf landwirtschaftliche Nutztiere auszudehnen,
  • eine zentrale Tiergesundheitsdatenbank ist auch mit Blick auf den Tierschutz ein dringliches Anliegen,
  • eine Allgemeine Verwaltungsvorschrift Tierschutzüberwachung, die konkrete Risikobeurteilungen und daraus resultierend Kontrollfrequenzen festlegt,
  • eine Rechtsgrundlage für Kontrollen in Verarbeitungsbetrieben für Tierische Nebenprodukte (VTN) mit Rückverfolgung,
  • eine hohe Priorität für Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sowie Schwerpunktstaatsanwaltschaften für den Tierschutz.
  • Nutztierpraktikern und -praktikerinnen sollten auch die praktischen Fähigkeiten für Nottötungen vermittelt werden, damit sie Tierhalter und Tierhalterinnen unterstützen und beraten können.

    Die Tierärzteschaft verpflichtet sich zudem, die Verträge für Bestandsbetreuungen so anzupassen, dass die Zuständigkeit für die Behandlung und Pflege oder Erlösung erkrankter Einzeltiere eindeutig geregelt ist. Die Nottötung von Rindern sollten aus Tierschutzgründen nur Tierärzte durchführen. Die Tierärzteschaft verpflichtet sich, ein grundlegendes Konzept zur Kooperation von bestandsbetreuenden und amtlichen Tierärzten und Tierärztinnen zu erarbeiten, um den Umgang mit einzelnen kranken Nutztieren zu verbessern.

    Quo vadis Tierärzte und Tierärztinnen?

    Die Frage nach der Zukunft der Profession wird momentan geprägt durch die große Sorge um den Tierärztemangel, der Tier- und Gesundheitsschutz gefährdet. Der Arbeitskreis 4 forderte daher Maßnahmen in Studium und Berufsausübung, die dabei helfen sollen, neue Kolleginnen und Kollegen zu gewinnen und langfristig im Beruf zu halten. Darüber hinaus wird eine Öffentlichkeitsarbeit gefordert, die das Image der Tierärzte und Tierärztinnen schärft und das Berufsbild in all seinen Facetten realitätsnah und wertschätzend darstellt. 

    Nur gemeinsam sind wir stark

    Durch alle Arbeitskreise zog sich die Erkenntnis, dass man nur gemeinsam etwas bewirken kann. Das gilt nicht nur für das Zusammenspiel zwischen Tierarzt und Landwirt, sondern auch für die Tierärzteschaft selbst, die ja in sehr unterschiedlichen Berufsfeldern tätig ist. Einigkeit herrschte darüber, wie wichtig es ist, mit einer Stimme zu sprechen, sichtbarer zu werden und das Bild des Tierarztes in der Gesellschaft, der Realität anzupassen. 

    In der November-Ausgabe von Der Praktische Tierarzt lesen Sie einen ausführlichen Beitrag zu der Diskussion um Tierärztemangel und Zukunftsperspektiven.

    Zum vollständigen Artikel: hier