Pferdemedizin

Zukunft für die Pferdepraxis

Pferdepraktiker eint die verzweifelte Suche nach Mitarbeitern und der Wunsch nach Work-Life-Balance. Digitalisierung, Prozessoptimierung und neue Lernformen könnten diese Probleme lösbar machen – ein Workshop in Dortmund wies den Weg ins nächste Jahrzehnt.

Digitalisierung, Work-Life-Balance, neue Formen des Lernens – geht es um die Zukunft der Tiermedizin, dann fallen diese Schlagworte immer wieder. Sie mit Inhalt und Leben zu füllen und aufzuzeigen, wo die Zukunft schon jetzt begonnen hat, ist die große Herausforderung. Interessierte Pferdepraktiker konnten sich in diesem Herbst auf dem Nordrhein-Westfälischen Tierärztetag in Dortmund von einer Expertenrunde ins nächste Jahrzehnt lotsen lassen – anschauliche Beispiele inklusive. „Pferdemedizin 2030“ hieß der Workshop, bei dem zunächst einmal ein Äußern ganz aktueller Sorgen per Online-Abfrage erlaubt war. „Was ist Ihre größte Herausforderung?“, fragte Moderator Dr. Rolf Nathaus die anwesenden selbständigen und angestellten Pferdepraktikerinnen und -praktiker. Auf Platz eins landeten exakt gleichauf „Tierärzte rekrutieren“ und „Work-Life-Balance“. „Das eine ergibt das andere“, so Nathaus‘ treffender Kommentar.

Zukunftsstrategien, die sich auf diese beiden größten Sorgen der Pferdetierärzte auswirken werden und Lösungsansätze in größere Nähe rücken lassen, stellte ein Team aus fünf Referenten im Anschluss mit Impulsvorträgen vor. Als Vertreter des Dessauer Zukunftskreises präsentierte Hubertus Keimer zunächst eine Möglichkeit für Pferdepraxen, zukünftige digitale Geschäftsmodelle zu gestalten, die Chancen für den effektiven Einsatz von Personalressourcen und für Kosteneinsparungen mit sich bringen. Schritt für Schritt solle man die Arbeit digital neu denken: „Ich empfehle ein Team-Brainstorming in den Praxen, in dem man sich zunächst fragt: Was kann und muss verändert werden in Bezug auf meine individuelle Praxissituation für die kommenden Kunden- und Praxisbedürfnisse?“

Zeitsparende Tools

Überlegen solle man dabei etwa, auf welchen Plattformen die Praxis sichtbar sein muss, wie eine digitale Kundengewinnung aussehen könnte, ob man den Kunden einen digitalen Terminkalender zum Eintrag von Behandlungs-und Untersuchungsterminen zur Verfügung stellt  oder auch, wer zu den berufsfremden, aber wichtigen Kolleginnen und Kollegen der Tierärzte gehört und in das neue Geschäftsmodell mit einbezogen werden sollte. Sind es Sattler, Osteopathen, Schmiede, Trainer – oder auch Pferde-Influencer?

 Für die Zukunft prognostizierte Keimer zeitsparende Tools wie etwa ein Livetracking der draußen aktiven Fahrpraktiker, flexible Terminbuchungen, Packungsanweisungen, die per QR-Code an die Pferdehalter gesendet werden können, oder die Möglichkeit, Befunde in der Cloud abzulegen und über die Lebensspanne eines Pferdes hinweg abrufen zu können.  Auch dem Personalproblem der Pferdemedizin könne digital begegnet werden: „Digitale Tourenplanung, die etwa Urlaub, Familienzeiten und Krankzeiten einbezieht, wird innerhalb der Pferdepraxis beispielsweise die Familienvereinbarkeit verbessern“, so Keimer.

Entscheidend: das Onboarding neuer Mitarbeiter

Immer wieder kamen die einzelnen Referenten auch auf die Vorschläge ihres Kollegen Dr. Julius Krawczyk von der Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH zurück, der in Dortmund beispielhaft die optimal verlaufende „Customer Journey“ einer Ponybesitzerin schilderte, die sich mit Hilfe digitaler Tools von ihrem Tierarzt in der Therapie und in ihrem Fortbildungswillen unterstützt fühlt. Das Prinzip „Customer Journey“, so die einhellige Meinung der Experten, lasse sich auch auf Strategien zur Mitarbeitergewinnung anwenden, bei denen es schließlich auch darum gehe, eine Art von Bindung und Zufriedenheit herbeizuführen.

Referent Stephan-Günther Dolle, Coach und Berater, sah als einen kurzfristigen ersten Schritt, um dem Fachkräftemangel in der Pferdemedizin zu begegnen, ein gut gestaltetes „Onboarding“ an – die Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden. „Der erste Eindruck zählt, der erste Tag ist ganz wichtig“, so Dolle. „Es muss eine vernünftige Zuordnung zu einem Mentor geben, gerade in mittelgroßen Praxen.“ Für Dolle geht es dabei zum einen um menschliche Wertschätzung von Anfang an, zum anderen darum, dass neue Mitarbeitende so schnell wie möglich effektive und effiziente Arbeit leisten können. Auch Praktikanten müssten ein gutes Onboarding bei Tätigkeitsbeginn durchlaufen, schließlich trügen sie den Ruf der Praxis zurück in die Universitäten. Ein Gespräch mit der Praxisleitung zu Beginn sei hier ein wichtiges Signal.

Prozesse optimieren

Dolle traf damit einen Nerv bei den Workshopteilnehmern. „Ein Thema, das den Pferdetierärzten unter den Nägeln brennt, ist die Mitarbeiterführung und hier besonders Mitarbeitergespräche“, zieht Dr. Jutta Sielhorst nach den Diskussionen der Veranstaltung Bilanz. Sielhorsts Anliegen in Dortmund war es, den Blick zu schärfen für eine zukünftig nachhaltigere Gestaltung von tierärztlicher Fortbildung: „Fortbildungsinhalte werden nur langfristig gespeichert, wenn man sie mit dem Praxisalltag verknüpft“, sagt die Gründerin des Fortbildungsnetzwerks ReproTraining. Sogenannte „Learning Nuggets“ – kurze Lerninhalte in Form von Kurzvideos, kurzen Texten oder Podcasts – lassen sich Sielhorst zufolge ideal in den Praxisalltag integrieren und werden in Zukunft eine größere Rolle spielen. So könnten etwa Pferdefahrpraktiker noch im Auto einen zum aktuellen Fall passenden Podcastbeitrag hören. Aber auch Blended Learning wird eine Rolle spielen – gemeint ist damit die didaktisch sinnvolle Verzahnung digitaler Formate und analoger Seminare mit hohem Praxisanteil. Größer angelegte Blended Learning-Programme sollten an die Stelle der bisher noch häufigen Fortbildung „nach dem Gießkannenprinzip“ treten, wünscht sich Sielhorst.

Die Fort- und Weiterbildung wird auch angesichts veränderter Kundenerwartungen wichtiger. „Man muss im Prinzip immer eine Fachtierärztin für Pferde losschicken“, schilderte Referent Dr. Daniel Meister, Mitinhaber des Medizinischen Pferdezentrums Stephansmühle, seine Eindrücke. Zum einen könnte hier die Digitalisierung – etwa die Begutachtung von Befunden durch Spezialisten via Telemedizin – eine Lücke füllen. Zum anderen empfahl Meister in Dortmund mehr prozessuales Denken in der Pferdepraxis der Zukunft. Für Meister muss der Weg wegführen von „Jeden Tag wird den Angestellten aufs Neue gesagt, was sie zu tun haben“ und hin zu „Man klärt es ein für allemal und passt es bei Bedarf an“. Mit Standard Operation Procedures, SOPs, die in einem Handbuch zusammengefasst werden, könne man Berufsanfängern und neuen Teammitgliedern viel Sicherheit geben. „Man erreicht so eine mentale Entlastung und erwirbt auch Sicherheit nach außen“, so Meister. Die Erarbeitung eines Handbuchs für viele Prozesse – von der digital unterstützten Organisation der Apotheke bis zur Abrechnung direkt nach der Behandlung – sei eine hochdynamische, kontinuierliche Aufgabe. Erst etwa zehn Prozent aller Pferdepraxen haben Meisters Einschätzung nach schon konsequent damit begonnen, ihre Arbeit prozessual zu durchdenken. Der Grundstock sei allerdings in vielen Praxen zu finden: in Form der vielen Zettel mit Anweisungen, die an Geräten hängen oder neben Arbeitsflächen liegen. Es gebe aber auch Aufgaben in der Pferdepraxis, für die sich keine SOP ins Handbuch schreiben lasse, erklärte Meister in Dortmund: „Empathische Gespräche können Sie nicht prozessieren.“

Zum vollständigen Artikel: hier