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Trauma ohne Unfall? An häusliche Gewalt denken

Ein Fallbericht möchte Tierärzte sensibilisieren, kritisch zu bleiben: Bei Tieren mit diversen Verletzungen ohne plausible Unfallursache können auch die Tierbesitzer dahinter stecken.

Ein einjähriger Shih Tzu wird beim Tierarzt auf drei Beinen stehend und mit Augenverletzung vorgestellt. Der Besitzer berichtet, dass das Tier laut seinem Mitbewohner vom Bett gefallen sei, als er selbst weg war. Bei der klinischen Untersuchung zeigte das Tier bei Palpation der Hinterhand Schmerzen. Im Röntgenbild wird eine aseptische Nekrose mit Fraktur des rechten Femurhalses festgestellt sowie bei Examination des Auges ein Hornhautulkus diagnostiziert. Mit der Verdachtsdiagnose Calvé-Legg-Perthes-Erkrankung wird absolute Ruhighaltung angewiesen und der Hund unter Schmerz- und Augenmedikation entlassen, da dem Besitzer das Geld für die nötige Operation noch fehlt. Im Folgenden wird der Hund zwei weitere Male mit weiteren Symptomen vorstellig: Zu Auge und Lahmheit rechts kamen trotz absoluter Ruhighaltung eine Läsion der Zunge sowie eine Lahmheit des linken Beins hinzu. Auffällig war, dass neue Verletzungen immer auftraten, nachdem der Besitzer von einer Nachtschicht kam und das Tier mit dem Mitbewohner alleine blieb. Weitere Röntgenaufnahmen offenbarten eine alte, heilende Fraktur des Jochbogens sowie eine Salter-Harris-Fraktur des linken distalen Femurs. Die Tierärzte äußerten den Verdacht, dass die Zusammenstellung dieser Verletzungen darauf hindeutet, dass der Hund Gewalt ausgesetzt war. Der Tierbesitzer bestätigte daraufhin, dass der Mitbewohner frisch getrennt und auch schon ihm gegenüber aggressiv geworden sei. Mithilfe von Familie, Tierärzten und Polizei wurde Anzeige erstattet. Der Besitzer zog mit seinem Hund aus und das Tier wurde chirurgisch versorgt.

Gewalt in Betracht ziehen
Rohheit gegen Tiere − sie ist nicht selten. So berichten in einer britischen Studie von 1000 befragten Kleintierärzten 90 Prozent von Fällen verletzter Patienten, deren Verletzungsursache nicht auf einen Unfall zurückgeführt werden konnte. 48 Prozent äußerten den Verdacht, dass Brutalität durch Besitzer die Ursache sei. Der Fallbericht soll dafür sensibilisieren, dass häusliche Gewalt eine Ursache von Verletzungen sein kann und dass Tierärzte Besitzer unter Umständen eingehend befragen sowie die Tiere ausgiebig untersuchen müssen. In Verdachtsfällen wird angeraten, im Röntgenbild nach weiteren Läsionen zu suchen und den Besitzer damit zu konfrontieren. Tierärzte sollten ohne Angst von diesen Fällen berichten.


Originalpublikation:
Roth I, Martin J (2018): A Case of Animal and Domestic abuse initially diagnosed as Legg-Calve- Perthes-Diesease. J Am Anim Hosp Assoc 54(6): e54603. DOI 10.5326/JAAHA-MS-6611.

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