Von Ellen Preussing
Wirst du gerne manipuliert? Ich denke nicht, dass jemand mit „Ja“ antwortet. Den meisten geht es eher darum, Manipulationen frühzeitig zu erkennen und zu wissen, wie man sie abwehrt. Viele verbinden mit dem Begriff der Manipulation, dass jemand von außen auf eine andere Person Einfluss nimmt. Diese wird dann, wie eine Marionette, ohne freien Willen bewegt.
Ist das wirklich so? Oder was bedeutet Manipulation für dich? Es gibt verschiedene Arten und Kategorien. Konzentrieren wir uns auf einige ausgewählte, von denen ich denke, dass sie häufiger in der tierärztlichen Groß- oder Kleintierpraxis auftreten. Und selbstverständlich erhältst du auch einige Tipps, was du konkret tun kannst, wenn du den Eindruck hast, manipuliert zu werden.
1. Scheinargumente
Top Job:
Diese kann man auch als Seifenblasen beschreiben. Die erste Frage, die du dir stellen solltest, ist, ob das genannte Argument wirklich fundiert ist und du es nicht gleich zum Platzen bringen kannst.
Scheinargumente werden nämlich als die Argumente definiert, die einer genaueren Prüfung nicht standhalten. Das heißt, sie entbehren einer wirklich sachlichen Grundlage. Vielleicht denkst du jetzt, dass man das doch direkt erkennen sollte? Schließlich sind wir, als Tierärztinnen und Tierärzte, wissenschaftlich gebildet. Wenn es nur so einfach wäre. Psychologisch sind wir nämlich oft dazu bereit, auf die Manipulation einzugehen. Somit erkennen wir sie nicht so leicht, wie man annehmen könnte. Vor allem wehren wir sie folglich nicht ab. Es gibt einen psychologischen Effekt, durch den es uns Menschen meist schon reicht, das Gefühl zu haben, eine Erklärung zu erhalten, auch wenn sie nicht unbedingt stichhaltig ist. Die Mehrheit hinterfragt dann nicht weiter.
1.1 Tränendrüsen-Alarm
Eine Unterkategorie der Scheinargumente ist die Mitleidtechnik, welche wir häufiger im tiermedizinischen Alltag antreffen, vor allem, wenn es ums Bezahlen geht. Der Name ist hier Programm.
Oft fängt es damit an, dass das Tier der Familie sehr wichtig ist, aber aufgrund verschiedener Umstände kein Geld für die Behandlung da ist. Vielleicht kommen sogar Tränen mit ins Spiel und die traurigen Kinder oder die arme Großmutter unterstützen den emotionalen Druck. Aber warum funktioniert die Mitleidtechnik eigentlich so gut?
Sie funktioniert deshalb so gut, weil uns unsere Eltern und die Gesellschaft zu guten Menschen erzogen haben. Da wir uns mit als gute Menschen und verantwortungsvolle Tierärzte positionieren möchten, kommt unser automatisiertes Programm zum Einsatz und versucht alles, um Menschen in Not zu helfen. Dieser Mechanismus ist in vielen Situationen sicherlich auch genau richtig und zeichnet uns Menschen als soziale Lebewesen aus. Leider gibt es aber immer wieder Menschen, welche diesen Effekt für sich ausnutzen, bewusst oder unbewusst.
1.2 Die halbe Wahrheit
Wie der Name schon sagt, wird dadurch manipuliert, dass der Gesprächspartner nicht die ganze Information erhält, sondern ihm oft die entscheidende Hälfte vorenthalten wird. Diese Methode wird vor allem von Menschen eingesetzt, die vermeiden wollen, zu lügen. Auch Kinder setzen sie ein, wenn sie beschwören, die Keksdose nicht geöffnet zu haben. Das war nämlich der Bruder. Der Verdächtige hat die Kekse nur aus der bereits offenen Dose genommen. Wie kommst du aber an die fehlende Hälfte der Information?
Allgemein lohnt es sich bei Scheinargumenten, genauer auf den eigentlichen Grund zu hören und ihn möglichst direkt zu hinterfragen. Auch bei besonderen Angeboten, die auf den ersten Blick perfekt erscheinen, werden meist die Nachteile einfach nicht angesprochen.
1.3 Die Fait-accomplit-Technik
Diese Technik kommt aus dem Bereich der Verhandlungen. Hierbei wird ein Verhandlungspartner vor vollendete Tatsachen gestellt, ohne auf dessen Interessen Rücksicht zu nehmen. Wenn jemand die Technik sehr gut beherrscht, kann er etwas so erscheinen lassen, als könnte nichts mehr am Status quo geändert werden. Umso wichtiger ist es, dass du die Anwendung der Technik überhaupt bemerkst. „Das ist nicht mehr zu ändern“, wäre zum Beispiel ein typischer Satz. Diese Technik hat viel mit dem Ausdruck von Macht zu tun.
Praktisches Beispiel
Sagt dir eine Kollegin, dass nur dieser einzige Termin für ihre Ferien infrage kommt, dann könntest du höflich fragen, ob es denn auch einen sachlichen Grund gibt, warum du deshalb deine Ferien umplanen sollst. Du gibst der Kollegin, die du im Verdacht hast, zu manipulieren, die Möglichkeit, Stellung zu nehmen.
Hinterfrage, bis du eine sachliche Erklärung erhältst! Sie wird dich dafür nicht lieben, aber du gibst damit der Aufklärung eine faire Chance. Handelt es sich um eine klare und auch wiederkehrende Manipulation, kannst du dies auch direkt ansprechen unter Nennung der Technik und des vermeintlichen Ziels. Es geht grundsätzlich darum, Druck aufzubauen. Es werden auch gerne sehr schnelle Entscheidungen in dieser Situation gefordert.
2. Ausnutzen deiner Werte
Sind dir Fairness und Gerechtigkeit wichtig? Dann könntest du einer Manipulation mit der Reziprozitäts-Technik zum Opfer fallen. Der Gefälligkeitsfalle, wie sie auch genannt wird, liegt das Prinzip der Gefälligkeit zugrunde: Es wird einem etwas Gutes getan, um nachher, zu gegebenem Anlass, ein bestimmtes Verhalten zurückzufordern.
Im persönlichen Umfeld kommt oft bei der Nachfrage, was als Gegenleistung erwartet wird, die Antwort: „Nein, das mache ich doch gerne.“ Bedenke, ein Manipulant lügt auch bewusst, um später ein schlechtes Gewissen zu erzeugen.
3. Software-Fehler unseres Gehirns
Als solche könnte man die kognitiven Verzerrungen bezeichnen. Irgendwo ist die Evolution falsch abgebogen, da sie vor allem darauf Wert legt, uns erfolgreich und energiesparend durch den Alltag zu bringen. Wir müssen also mit bestimmten Denkmustern in unserem Kopf leben, die wir nicht verändern können. So lieben wir es beispielsweise, das zu glauben, was wir schon immer geglaubt haben.
Lösungsansätze
Kommen wir jetzt zu den versprochenen Rezepten zur Selbstverteidigung.
Technik benennen
Wichtig im Umgang mit Scheinargumenten im Allgemeinen ist es, dass du geistig erst einmal einen Schritt zurück machst. Lasse dich nicht beeinflussen von den eingefärbten Argumenten, sondern beleuchte so objektiv wie möglich deine Optionen. Hierzu eignen sich hervorragend Fragetechniken, um etwa herauszufinden, inwiefern denn wirklich schon alles komplett in trockenen Tüchern ist. Die meisten Dinge im Leben sind reversibel. Darin liegt deine Chance, dich gegen die Fait-accomplit-Technik zu erwehren. Denn deckst du dies auf, verliert die Manipulation an Wirkung. Die halbe Wahrheit verliert in dem Moment ihre Macht, wenn du beginnst, nach der fehlenden Hälfte zu forschen. Falls jemand deinen Wert Gerechtigkeit ausnutzen möchte, kannst du dies früh ansprechen und gegebenenfalls den angebotenen Gefallen lieber nicht annehmen.
Umgang mit Druck (als Manipulation)
- Höre genau zu!
- Wie fühlst du dich? (schuldig, wütend)
- Werde aufmerksam und höre auf deinen inneren Alarm.
- Nimm dir Zeit und berate dich gegebenenfalls mit einer dritten Person.
- Sag klar, was du willst!
- Gib dem anderen zu verstehen, dass du ihn verstehst. (Cave: Verstehen heißt nicht, einverstanden zu sein.)
Manipulationen können sowohl bewusst als auch unbewusst eingesetzt werden. Unterstelle daher nicht gleich eine Absicht, sondern versuche, deine Vermutung erst einmal im Gespräch zu klären. Mit etwas Abstand lösen sich viele Situationen, die als Druck empfunden werden, viel leichter.
Führe dir den unbewussten, meist emotional beeinflussten Anteil der Manipulation ins Bewusstsein und agiere proaktiv, anstatt, wie auf Schienen, nur zu reagieren. Damit du möglichst gar nicht erst aufs Glatteis geführt wirst, überlege dir bereits im Vorfeld Fragen, die du in wiederkehrenden Situationen stellen magst, wenn du vermutest, manipuliert zu werden. Dann funktioniert das Ganze auch unter Stress und Zeitdruck im Alltag.
Kleine Übung für den Alltag
Übung macht bekanntlich den Meister und hilft dir, deine Selbstverteidigung zu verbessern. Mache an einem (Arbeits-)Tag in der kommenden Woche eine „Mitleids-Recherche“. Konzentriere dich darauf, zu bemerken, wie häufig Menschen dich oder dein Umfeld versuchen, mit Mitleid zu manipulieren.
Du kannst auch darauf achten, wie oft dir das Thema der Fairness im Alltag begegnet, wie du darauf reagierst und zu welchen Handlungen es dich bewegt. Schärfe deine Wahrnehmung. Dann kannst du nach Belieben die Seifenblasen der Scheinargumente zum Platzen bringen..
Kontakt zur Autorin: ellenpreussing.com Ellen Preussing ist Tierärztin und psychologisch ausgebildeter Coach und Trainerin.