Zucht

Brachycephalen-Syndrom: Fitnesstest für Möpse

Mithilfe eines neuen, standardisierten und evaluierten Fitnesstests können Möpse ohne Brachycephalen-Syndrom sicher identifiziert und für die Zucht ausgewählt werden.

Von Barbara Welsch

  • Das sogenannte Brachycephalen-Syndrom (Brachycephalic Obstructive Airway Syndrome [BOAS]) ist die schwerwiegendste Erkrankung bei kurzköpfigen Hunderassen wie dem Mops. Die resultierende Atemnot ist eine Qual für die Tiere.
  • Die Ursache des Problems liegt in der Zucht mit Elterntieren, die ausschließlich nach äußeren Rassemerkmalen, aber nicht nach funktionellen und gesundheitlichen Aspekten ausgesucht werden.
  • Ein an der TiHo Hannover entwickelter Fitnesstest kann Gesundheit, Kondition und Atmung potenzieller Elterntiere überprüfen und so die Auswahl von Zuchttieren ohne BOAS erleichtern.
  • Unter Qualzuchtmerkmalen versteht man ererbte Rasseeigenschaften, die das Potential haben, Leiden bei den betroffenen Tieren zu verursachen. Diese Leiden können Funktionseinschränkungen, Organschäden, Krankheiten, Schmerzen und auch Verhaltensstörungen (wie z. B. Hyperaggressivität) beinhalten.  Qualzuchtmerkmale beeinträchtigen die Lebensqualität der Tiere erheblich und sind daher in § 11b des Tierschutzgesetzes verboten. Bei der Entstehung von Qualzuchten ist dabei nicht von einem absichtlichen Handeln auszugehen „Das Zuchtziel Qual gab es sicher nie,“ meinte Prof. Dr. Ingo Nolte in seinem gemeinsam mit Dr. Helga Eichelberg gehaltenen Vortrag „Qualzuchtmerkmale – sind Missstände reparabel?“ auf dem DGK-DVG Vet-Congress 2021 (Nolte und Eichelberg 2021). Er erklärte das Phänomen der Qualzucht so: „Qualzuchtmerkmale entstehen durch die züchterische Übertreibung zunächst unspektakulärer Rassemerkmale.“

    Brachycephalie als Qualzuchtmerkmal

    Die Brachycephalie ist solch eine züchterische Übertreibung, die zu Qualen beim Tier führen kann. Zu den Erkrankungen, die infolge einer Brachycephalie auftreten können, gehören:

  • Atemwegserkrankungen (BOAS, BAS, u.a.)
  • Augenleiden (z.B. Hornhautulkus)
  • Geburtsstörungen (Dystokie)
  •  Wirbelsäulenmissbildungen (z.B. Keilwirbel)
  • Hitzeempfindlichkeit
  • Magen-Darm-Beschwerden (z.B. Schluckstörungen, häufiges Erbrechen)
  • Trotz der engagierten Aufklärungsarbeit von tierärztlicher Seite oder durch Tierschutzorganisationen scheint die Beliebtheit der brachycephalen Rassen ungebrochen zu sein und zum Teil sogar zu wachsen. Als Gründe für diese Beliebtheit werden das sympathische, zugewandte Wesen der brachycephalen Hunde und die Attraktivität des großen runden Kopfes mit den großen Augen (Kindchenschema) genannt.

    Doch wie können die Besitzer brachycephaler Hunde akzeptieren, dass ihre geliebten Tiere von Geburt an mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zu lebenslangem Leid verdammt sind? Wahrscheinlich liegt das unter anderem an einem Gewöhnungseffekt. Packer et al. (2012) stellten fest, dass etwa 50 Prozent der Besitzer Beeinträchtigungen der Atmung bei ihren Hunden nicht als krankhaft, sondern als rassetypisch wahrnehmen. Tatsächlich treten Qualzuchtmerkmale anders als Erbkrankheiten in einer Rasse nicht plötzlich auf. Sie entwickeln sich schleichend durch die züchterische Verstärkung bestimmter Rassemerkmale (Übertypisierung) von Generation zu Generation. Dabei gewöhnt sich die Gesellschaft an progrediente tierschutzrelevante Veränderungen, wie beispielsweise das auf Atemwegstenosen hinweisende schnarchende Atemgeräusch von Möpsen, und akzeptiert diese als normal und rassespezifisch. Viele Besitzer brachycephaler Hunde entscheiden sich sogar trotz hoher Tierarztkosten bei den Vorgängertieren wieder für die gleiche Rasse.

    Brachycephalen-Syndrom

    Das sogenannte Brachycephalen-Syndrom (Brachycephalic Obstructive Airway Syndrome [BOAS]) wird allgemein als die schwerwiegendste Erkrankung bei Kurzköpfigkeit betrachtet. Bei BOAS führt die Verkürzung des Gesichtsschädels ohne angepasste Verkürzung der Weichteile im oberen Respirationstrakt zu einer Beeinträchtigung der Atmung. Hunde mit BOAS zeigen verschiedene Symptome einer beeinträchtigten Atemfunktion in unterschiedlichen Schweregraden. Hierzu gehören: Atemgeräusche, Belastungs- und Hitzeintoleranz, Dyspnoe oder gar Zyanose und Synkopen. In schweren Fällen kann nur ein chirurgischer Eingriff die Atmung der Tiere erleichtern.

    Ständige Atemnot ist mit einer Erstickungs-(Todes-)angst verbunden und damit eindeutig eine Qual für das Tier. Die Ursache des Problems liegt hier in der Zucht mit Elterntieren, die ausschließlich nach äußeren Rassemerkmalen, aber nicht nach funktionellen und gesundheitlichen Aspekten ausgesucht werden. Grundsätzlich gibt es zwei Ansätze, dieser züchterischen Fehlentwicklung entgegenzuwirken. Die Einkreuzung von anderen Rassen, wie z. B. des Parson Russel Terrier in die Rasse Mops (Rassmo), dabei wird jedoch die Ursprungsrasse aufgegeben, oder die Änderung der Zuchtrichtung innerhalb der Rasse. Hierbei besteht das Problem in der richtigen Wahl der Zuchttiere, bzw. darin, ob es noch genügend Vertreter der Rasse gibt, die frei von BOAS sind.

    Foto: Rebekka Mach und Pia Wiegel Die Verkürzung des Gesichtsschädels führt beim Mops zu einer Beeinträchtigung der Atmung.

    Geeignete Kriterien für die Zuchtwahl

    Die anatomischen Veränderungen sind zweifellos die Grundlage für die Qualzuchtmerkmale bei brachycephalen Rassen. Das bedeutet aber nicht, dass der Grad der äußerlichen anatomischen Veränderungen alleine Rückschlüsse auf den Grad der gesundheitlichen Störungen und das damit verbundene Tierleid zulässt. „Wissenschaftliche Untersuchungen unter anderem der Universität Cambridge zeigten auf, dass es Zusammenhänge zwischen der Ausprägung der äußeren Merkmale einer Brachycephalie und dem BOAS-Risiko der entsprechenden Rassen gibt. Dabei handelt es sich jedoch um Tendenzen und keine eindeutigen Korrelationen (Liu et al. 2017). So gibt es Möpse mit sehr kurzen Nasen, die frei atmen können. Aus diesem Grund hilft die reine Betrachtung äußerer Merkmale nicht dabei, Zuchttiere auszuwählen, die frei von BOAS sind. Bei einem gut geplanten Fitnesstest hingegen können Kondition, Gesundheit und Atmung ganz konkret geprüft werden. Aus diesem Grund haben wir einen Fitnesstest für Möpse entwickelt“, erklärte Prof. Ingo Nolte in einem Interview (Nolte 2022).

    Foto: Dmitry - stock.adobe.com Die Verkürzung des Gesichtsschädels kann zu Atemnot führen.

    Neuer Fitnesstest als Lösungsansatz für das BOAS-Problem

    Bereits 2009 hatte der Verband für das Deutsche Hundewesen (VDH) einen Fitnesstest für die Rasse Mops entwickelt. Dieser Test war jedoch weder standardisiert noch evaluiert worden. Daher waren die Ergebnisse der Tiere im Test nicht vergleichbar. An der TiHo Hannover wurde ein Fitnesstest entwickelt, der unter standardisierten Bedingungen stattfindet und abläuft. Nach einer Eingewöhnung traben die Tiere in gleichmäßigem Tempo auf einem Laufband. Die Geschwindigkeit des Laufbands wird dabei individuell auf das Tier eingestellt. Während des Trabens soll sich die Herzfrequenz der Tiere um mindestens 40 Prozent ihres individuellen Ruhewertes erhöhen. Die submaximale Belastung wurde gewählt, um Leistung zu fordern, aber das Risiko einer Überforderung und eines Kollapses gering zu halten.  Der Laufbandtest dauert insgesamt 15 Minuten. Die Herzfrequenz wird in dieser Zeit kontinuierlich überwacht. Nach 5 und 10 Minuten wird eine Pause von je einer Minute eingelegt, um die Körperinnentemperatur und die Atemfrequenz zu messen, darüber hinaus werden die Tiere auskultiert. Während des gesamten Fitnesstests werden die Tiere beobachtet und Atemgeräusche dokumentiert.

    Foto: Rebekka Mach und Pia Wiegel Fitnesstest: Nach einer Eingewöhnung traben die Tiere auf dem Laufband.

    Evaluierung des Tests

    Der neue Fitnesstest wurde an der TiHo Hannover, der Justus-Liebig-Universität Gießen und der Ludwig-Maximilians-Universität München im Rahmen von Evaluierungsstudien geprüft. Das Ziel der Studien war es, festzustellen, ob sich der neue Fitnesstest dazu eignet, Hunde mit BOAS und Tiere ohne Beschwerden sicher zu identifizieren. Dieses Ziel wurde an allen drei Studienorten erreicht. In einem zweiten Evaluierungsschritt konnten die Wissenschaftler in vier parallelen und unabhängigen Untersuchungen zeigen, dass ein und dasselbe Tier im Fitnesstest von verschiedenen Untersuchern gleich bewertet wird, der Test also eine nicht untersucherabhängige, objektive Bewertung ermöglicht.

    Aus den Ergebnissen der Fitnesstests wurde ein Schema entwickelt, welches unter Einbeziehung wichtiger klinischer Parameter eine Einteilung der Hunde in Kategorien ermöglicht. Dies soll die Entscheidungsfindung bei der Zuchtzulassung erleichtern. So stellten sich die Parameter „Erholungszeit“, „Abbruch des Fitnesstests“, „Atemgeräusch“ und „Atemaufwand“ in Kombination als geeignete Kriterien heraus, um die Einschränkung der Fitness und der Atmung des individuellen Hundes zu ermitteln. Die Einteilung in Kategorien soll nicht nur bei der Zuchtbeurteilung helfen, sie macht Hundekäufer auch auf die Thematik aufmerksam und könnte dabei helfen, sich für einen Hund von gesunden Eltern zu entscheiden.

    Ergebnisse der Fitnesstest-Evaluierungs-Studie in Hannover in Zahlen

  • Teilnehmer gesamt: 62 Hunde der Rasse Mops und 10 mesocephale Hunde (Kontrollgruppe).
  • Keine Gewöhnung ans Laufband möglich: 8 Hunde der Rasse Mops und 2 mesocephale Hunde.
  • Hunde im Laufbandtest: 54 Hunde der Rasse Mops und 8 mesocephale Hunde.
  • Abbruch des Tests: bei 2 Hunden der Rasse Mops aufgrund Tachykardie und gravierenden respiratorischen Problemen.
  • Ergebnis des BOAS-Gradings bei 56 Möpsen: 39 (70 Prozent) Hunde wurden als BOAS-positiv und somit als funktionell beeinträchtigt eingestuft.
  • Erholungszeit: 10 Hunde der Rasse Mops und 2 Tiere aus der Kontrollgruppe benötigten mehr als 15 Minuten, um ihre Ruhewerte wieder zu erreichen.
  • In der Studie konnten keine definitiven Einflussfaktoren äußerer anatomischer Merkmale, wie z.B. Augenweite, Nasen- und Kopflänge, auf das Vorhandensein von BOAS-Symptomen in der untersuchten Studienpopulation festgestellt werden.
  • Ausblick und Fazit

    In Zukunft sollten die Fitnesstests idealerweise von entsprechend geschulten und zertifizierten Tierärzten durchgeführt werden. Die praktische Umsetzung des Fitnesstests ist einfach: an Geräten und Instrumenten benötigt man lediglich ein einfaches Laufband, einen Brustgurt zur Messung der Herzfrequenz und ein Stethoskop. Da der Ablauf des Tests standardisiert ist, kann er überall korrekt durchgeführt werden. Im Zweifel kann der standardisierte Test auch wiederholt werden, um die Ergebnisse zu überprüfen. Zurzeit wird der Fitnesstest noch nicht angeboten, weil nicht klar ist, ob die entsprechenden Zuchtvereine und Züchter den Fitnesstest nutzen möchten. Der VDH unterstützt das Projekt von Anfang an. Allerdings stammen in Deutschland nur etwa zwölf Prozent der Hunde der Rasse Mops aus VDH-Zuchten, und die Entscheidung über Auswahlkriterien für Zuchttiere liegt alleine bei den jeweiligen Zuchtvereinen.

    Prof. Dr. Nolte zieht folgendes Fazit aus den Evaluierungsstudien: „Mit der Entwicklung und der Evaluierung des standardisierten Fitnesstests haben wir die wissenschaftlichen Grundlagen dafür geschaffen, wie man gesunde Möpse ohne BOAS für die Zucht identifizieren kann und damit dieser über 2000 Jahre alten und liebenswerten Rasse eine Zukunft sichert. Das Beispiel anderer Rassen zeigt, dass man durch die gezielte Auswahl und Verpaarung von Zuchttieren erbliche Krankheiten und Gesundheitsprobleme aus einer Rasse herauszüchten kann. Nur einige Beispiele: Beim Hovawart konnte die Hüftgelenksdysplasie, die der Rasse lange große Probleme machte, durch konsequente Zuchtwahl zum Verschwinden gebracht werden. Die Rasse Deutsche Dogge wurde von der erblichen Form der Kardiomyopathie durch gezielte Verpaarungen befreit. Und viele Gesundheitsprobleme des Bernhardiners verschwanden wieder, nachdem man züchterisch wieder normale Körpermaße statt eines grenzenlosen Riesenwuchses unterstützte.“

    Mehr zum Thema

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  • Literatur

    Liu NC, Troconis EL, Kalmar L, Price DJ, Wright HE, Adams Vj, Sargan Dr, Ladlow JF (2017): Conformational risk factors of brachycephalic obstructive airway syndrome (BOAS) in pugs, French bulldogs, and bulldogs. PLOS ONE 12(8): e0181928.

    Nolte I (2021): Evaluierung eines laufbandgestützten, submaximalen Fitnesstests für die Rasse Mops. Abschlussbericht des Hochschulstandortes Hannover für die Gesellschaft zur Förderung der kynologischen Forschung.

    Nolte I (2022): Qualzuchtmerkmale Mops – Evaluierung eines neuen standardisierten Fitnesstests. UR 2/2022 im Druck.

    Nolte I, Eichelberg H (2021): Qualzuchtmerkmale – sind Missstände reparabel? Vortrag DGK-DVG Vet-Congress digital 18.-20.11.2021 Abstractband S. 39

    Packer RMA, Hendricks A, Burn CC (2012): Do dog owners perceive the clinical signs related to conformational inherited disorders as 'normal' for the breed? A potential constraint to improving canine welfare. Animal Welfare. 21, 81-93.

    Zum vollständigen Artikel: hier