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Podiumsdiskussion bei der bpt-INTENSIV Kleintierfortbildung.
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Podiumsdiskussion bei der bpt-INTENSIV Kleintierfortbildung.

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Berufspolitische Diskussion: Notfallpatient Notdienst?

Auf der bpt-INTENSIV Kleintierfortbildung wurde über die durch den Tierärztemangel verursachten Probleme mit dem Notdienst diskutiert.

Viele Teilnehmer/innen der bpt-INTENSIV Kleintierfortbildung vom 27. bis 30. April waren geblieben, um sich nach den Fallbeispielen am Samstagabend die Diskussion über den Notdienst und seine Probleme anzuhören und sich zu beteiligen.

Das Podium war besetzt mit

  • Dr. Eva Rasch aus Warendorf, die den dortigen Notdienstring mitorganisiert
  • TÄ Sara Pfeifer aus Leipzig, die dort nach der Aufgabe der Notdienstversorgung durch die Kleintierklinik der Veterinärmedizinischen Fakultät eine reine Notdienstpraxis gegründet hat
  • Dr. Maren Püschel aus Wasbek, Teilhaberin der dortigen Kleintierklinik und im Land Schleswig-Holstein an der Organisation der Notdienstversorgung beteiligt, und Mitglied des Junges Netzwerks
  • Dr. Carsten Grußendorf aus Bramsche, Inhaber des Tiergesundheitszentrums Bramsche
  • Dr. Bodo Kröll aus Erfurt, Inhaber eines Kleintiergesundheitszentrums und u.a. Vorsitzender der BTK-Arbeitsgruppe für Berufs- und Standesrecht und Mitglied im bpt-Präsidium.

Moderator des Abends und bpt-Geschäftsführer Heiko Färber startete die Diskussion mit einer Bestandsaufnahme. Fazit: Noch geht es halbwegs, aber die durch den Tierärztemangel verursachten Probleme werden mehr. Auch die Neu-Organisation von Notdienstringen wird auf lange Sicht nicht dafür sorgen, dass der Notdienst flächendeckend sichergestellt werden kann. Wenn dann sogar die Tierkliniken der Universitäten den Notdienst einstellen, ist das ein sehr schlechtes Signal: Sie nehmen damit ihren Studierenden die Möglichkeit, diesen Aspekt des Berufslebens in der Ausbildung vor Ort zu erleben und nähren falsche Vorstellungen vom Berufsalltag. Aber auch für die Kolleginnen und Kollegen in den nicht-universitären Praxen und Kliniken kommt die Frage auf, warum sie in die Pflicht genommen werden, während andere sich ausklinken.


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Alle in die Pflicht nehmen – mit Augenmaß

Letztlich sind wir als Tierärztinnen und Tierärzte aufgrund der Berufsordnung und aus Tierschutzgründen alle verpflichtet, Notfälle zu behandeln. Ein solidarisches Verhalten aller Beteiligten würde, so einige Diskussionteilnehmer, dabei helfen, Lücken zu schließen und die Last des Notdienstes auf viele Schultern zu verteilen. Funktioniert das nicht aus sich heraus, wären die Kammern gefragt einzugreifen. Wir brauchen neue Arbeitszeit- und Praxis-Modelle und erhalten dadurch die Chance, unseren Berufsstand modern aufzustellen. Die Neu-Organisation von Notdienstringen sorgt mitunter dafür, dass die Praxen im entsprechenden Gebiet enger zusammenrücken und auch die Zusammenarbeit mit Kliniken in der Nähe besser wird, weil diese entlastet werden und so Kapazitäten für die klinikpflichtigen Notfälle freiwerden. Problematisch ist nämlich, so klang es in der Diskussion mehrfach an, dass viele vom Besitzer als solche empfundenen „Notdienst-Fälle“ keine sind. Vorgeschaltete und kostenpflichtige zentrale Telefondienste, die solche Fälle herausfiltern, könnten hilfreich sein, um das Patientenaufkommen in einem erträglichen Rahmen zu halten. Aus dem Publikum wurde angemerkt, dass unter der Woche nachts häufig wenig Patienten kommen und der Nachtdienst damit finanziell wenig lukrativ ist. Zusätzlich kann eine angestellte Arbeitskraft am kommenden Tag nicht wie üblich in der Praxis sein, da sie vorgeschriebene Ruhezeiten einhalten muss. Ein Problem für viele Praxisinhaber/-innen, die dann, wie zu hören war, lieber 24 oder mehr Stunden arbeiten, bzw. in Rufbereitschaft sind, damit ihre Angestellten tagsüber den Praxisbetrieb mittragen können. Diese Selbstausbeutung sei nicht zielführend. Viele Notdienstringe bieten daher eine Betreuung nur bis 23 Uhr an. Eine Flexibilisierung des Arbeitszeitgesetzes könnte dabei helfen, die Dienste gleichmäßiger auf angestellte und selbstständige Tierärztinnen und Tierärzte zu verteilen und neue Arbeitszeitmodelle zu entwickeln - weg vom alten 24/7-Schema. Im Idealfall so, dass alle auf ihre Kosten kommen und die Bedürfnisse von Arbeitgeber/-innen UND Angestellten berücksichtigt werden. Dass aktuell viele Stellen ohne Not- und Wochenenddienste ausgeschrieben werden, stieß im Saal auf Unverständnis, sind diese Dienste doch integraler Teil unseres Berufsbilds und bieten gerade für Berufseinsteiger viele wichtige Lektionen.

Mentale Belastungen im Notdienst adressieren

In der Diskussion klang an, dass Notdienst nicht nur körperliche Belastungen wie Schlafmangel und hohes Arbeitsaufkommen bedeutet. Vielmehr ist es auch nötig, die einhergehende psychische Belastung zu beachten. Regelmäßige (Team-)Gespräche über Stresssituationen und auch die Diskussion von Sicherheitsaspekten wären wichtig. Überfälle, verbal oder sogar körperlich übergriffige (zahlungsunwillige) Tierbesitzer/-innen und der oft sehr hohe Anspruch an sich selbst könnten sonst zu Problemen und in der Konsequenz zu Krankheit führen. Als besonders wichtig wurde hier der wertschätzende Umgang unter Kolleginnen und Kollegen, aber auch durch die Tierhalter/innen genannt. Auch die angemessene Bezahlung der geleisteten Arbeit war ein Anliegen der Diskutanten. Immer wieder kam zur Sprache, dass eine Freiwilligkeit der Notdienstteilnahme wünschenswert wäre. Zwänge sorgen psychologisch oft für eine Abwehrhaltung, die unproduktiv ist. Besser ist es, als Tierärzteschaft gemeinsam die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken.

Der einzige Mist, auf dem nichts wächst, ist der Pessimist!

So zitierte Carsten Grußendorf seinen Vater Heinrich und erfasste damit gut den Grundtenor der Diskussion. Es geht darum gemeinsam kreative Lösungen für den Ist-Zustand zu finden und das politische Umfeld für die Zukunft aktiv mitzugestalten. Die Forderungen des bpt nach einer Anpassung des Arbeitszeitgesetzes und Änderung der Zulassungsbedingungen zum Studium, um geeignetere Menschen für den Beruf auszubilden, wurden in der Diskussion mehrfach genannt. Tierärztinnen und Tierärzte erfüllen eine gesamtgesellschaftlich essenzielle Aufgabe. Dass diese Tatsache in Thüringen bereits erkannt wurde und in der Konsequenz finanziell gefördert wird, ist vorbildlich und für andere Bundesländer ebenfalls denkbar. Bestehende neue Modelle, wie die reine Notdienstpraxis in Leipzig, können auch in anderen Regionen interessant sein und für die dortigen Bedürfnisse angepasst werden. Kommunikation aller Beteiligten auf Augenhöhe und ein verstärktes Miteinander in Regionen, die das Notdienstthema aktuell angegangen sind, machen Hoffnung für die Zukunft. Dr. Ursula von Einem, bpt