Interview

Notdienstkrise in der Tiermedizin: Bereitschaftspraxen

Tiere in Notsituationen sollten rund um die Uhr medizinische Hilfe bekommen können. Ein Netz von Bereitschaftspraxen könnte die Lösung sein, meint Dr. Alexander Pack von der Tierklinik Elversberg.

Kliniksterben und Tierärztemangel gefährden den tierärztlichen Notdienst. Diskutiert werden zahlreiche Lösungsansätze: Nachtkliniken, zentrale Notrufnummern, ein Ausbau der Notdienstringe und vieles mehr. Wir berichten in loser Folge über Lösungsansätze und sprechen mit den Kolleginnen und Kollegen, die momentan den Notdienst stemmen.

Dr. Alexander Pack ist einer der Inhaber der Tierklinik Elversberg im Saarland. Die Notfall- und Unfallklinik bietet einen 24-Stunden-Notdienst an 365 Tagen im Jahr. Pack glaubt, dass in der Veterinärmedizin Bereitschaftspraxen nach dem Vorbild der Humanmedizin gebraucht werden.

Die Tierklinik Elversberg positioniert sich als Notfall- und Unfallklinik – und das in Zeiten, in denen andere den Klinikstatus abgeben, um nicht mehr zu einem 24-Stunden-Dienst verpflichtet zu sein.

Pack: Das war schon immer unser Fokus. Aber dass der Notdienst jetzt immer mehr nachgefragt wird, stand nicht auf unserer Agenda! Wir sitzen im Saarland – die nächste Klinik in westlicher Richtung ist Trier, die nächste mit 24-Stunden-Dienstbereitschaft in östlicher Richtung ist in Frankfurt. Das Einzugsgebiet ist gigantisch. Das kann eigentlich keiner mehr abdecken, selbst wenn er den Anspruch hat, eine Notfall- und Unfallklinik zu sein.

Wie haben Sie die Entwicklung in den letzten Jahren wahrgenommen?

Pack: Die Anzahl der großen Einheiten hat deutlich abgenommen. Als wir 2003 im Saarland gegründet haben – noch als Praxis mit 24-Stunden-Notdienst – gab es hier sechs Kliniken. Wir haben die siebte Klinik aufgemacht und sind jetzt die einzigen, die im Saarland übriggeblieben sind. Die Problematik ist, dass man in Einheiten mit acht bis zehn Tierärzten einfach keinen Notdienst stemmen kann.

Wir sind überfordert von der Menge der Patienten. Teilweise müssen wir tagsüber im Notdienst unsere Station wegen Überfüllung abmelden und kranke Patienten woanders hin verweisen. Auch nachts können wir manchmal keine Patienten mehr annehmen, weil wir einfach ausgelastet sind. Wir haben schon länger keine Kapazitäten mehr, um am Wochenende telefonisch für Nachfragen da zu sein. Unsere Kräfte müssen wir auf die kranken Tiere fokussieren.

Aber Sie haben noch genug Personal für den Nacht- und Wochenenddienst?

Pack: Personell sind wir aktuell noch in einer guten Situation. Das liegt, denke ich, zum einen am Recruiting, zum anderen an unserer Mitarbeitereinsatzplanung. Ich glaube, das haben wir gut hingekriegt und frühzeitig die Weichen anders gestellt als andere.

An der Front steht auch bei uns aber immer nur eine Tierärztin oder ein Tierarzt, natürlich mit Helfern und Hintergrund. Mehr ist nicht möglich, obwohl wir personell ganz gut aufgestellt sind. Auch so brauchen wir 25 Leute als Minimum, damit wir den Notdienst vernünftig aufrechterhalten können, mit Vorder- und Hintergründen und den Ausgleichstagen und -wochen, die wir bieten.

Wir bieten viel Ausgleich. Wer bei uns eine Woche Nachtdienst gemacht hat, hat die darauffolgende Woche frei. Samstag und Sonntag gleichen wir mit zwei Tagen aus, versuchen generell gerecht auszugleichen, was gearbeitet wurde. Unser Konzept entwickeln wir ständig weiter. Der Schlüssel ist die interne Kommunikation: Wir haben die Mitarbeiter mit ins Boot genommen, gefragt, was ihre Wünsche sind. Das führt dazu, dass wir Mitarbeiter viele Jahre halten können. Dazu kommt eine entsprechende Vergütung …

Aber wenn ich das mit anderen Berufen vergleiche, die so etwas leisten, ist das alles immer noch zu schlecht. Es tut mir schon manchmal ein bisschen weh, dass wir als Tierärzte im Vergleich zu anderen akademischen bzw. medizinischen Berufen noch immer so wenig verdienen.

Nur wenn es meinen Mitarbeitern gut geht, können sie auch gute Tiermedizin machen. Das ist elementar wichtig, auch für die Zukunft und die neue GOT: Wir müssen genug Einkommen generieren können, um Tierärzte besser zu bezahlen. Der Beruf sollte auch unter dem Aspekt attraktiv werden, dass man vielleicht ein bisschen besser verdienen kann – in anderen medizinischen Berufen ist der gute Verdienst ja für viele ein Grund für die Berufswahl. Tierärzte, die bereit sind, in der Klinik am Wochenende, in der Nacht, am Abend zu arbeiten, unter wirklich stressigen Bedingungen, brauchen gute Ausgleiche und eine deutlich bessere Bezahlung.

Welche Lösungsansätze sehen Sie für die Notdienstkrise?

Pack: Ich bin im Vorstand der Tierärztekammer des Saarlandes und bin gemeinsam mit unserem Kammerpräsidenten zur Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Saarland gegangen. Wir wollten uns ansehen, wie die das Problem angegangen sind. Irgendwie ist es ja bei allen Entwicklungen in der Veterinärmedizin so, dass die Humanmediziner sagen: Wir hatten das vor 20 Jahren auch schon.

Das Notdienst-Problem wurde laut dem KV-Präsidenten erst durch Bereitschaftspraxen gelöst. Ich glaube, dass es darauf auch in der Tiermedizin hinauslaufen wird: organisierte Bereitschaftspraxen, die z.B. ab 18 Uhr bis um 8 Uhr am nächsten Morgen besetzt sind. Der freiwillige Dienst oder die Notdienstringe werden auf Dauer nicht mehr funktionieren.

So eine Bereitschaftspraxis wäre eine Kammergründung: Die Kammer mietet eine passende Immobilie an und stattet sie mit allem Notwendigen aus. Die praktizierenden Tierärzte würden dann jeweils mit ihrer eigenen Fachangestellten dort anrücken. Ich stelle mir vor, dass die Dienste unter den Tierärzten eingeteilt werden, in Acht- oder Sechs-Stunden-Schichten. Die Abrechnung könnte über eine Verrechnungsstelle laufen, damit kein Bargeld vor Ort ist. Man könnte sogar noch ein Sicherheitsunternehmen beauftragen. Wir haben ja viele junge Frauen, die den Beruf ausüben und nachts hat man Angst, alleine zu arbeiten. Das ganze müsste natürlich zum vierfachen Satz abgerechnet werden. Ziel wäre, dass die tierärztlichen Kliniken nur auf Überweisung durch die Bereitschaftsdienstpraxis tätig werden.

Durchsetzen konnte ich mich mit dieser Idee noch nicht: Im Saarland kümmert sich die Kammer nur um den Notdienst an Feiertagen und von Freitagabend bis Montagmorgen. In der Woche ist der Notdienst überhaupt nicht geregelt. Als Vorstandsmitglied der Kammer wollte ich die Notdienstsituation verbessern, weil ich weiß, wie unsere Mitarbeiter nachts und am Wochenende gefordert und teilweise überfordert werden. Es gab einen gut besuchten Notdienstgipfel, ein Notdienstausschuss wurde gegründet. Das Verrückte: Die Vertreterversammlung hat dann beschlossen, die Berufsordnung so abzuändern, dass der Notdienst am Wochenende nicht mehr in der Nacht stattfindet, sondern um 22 Uhr endet. Danach fängt alles die einzige Klinik auf.  Es wurde nichts von dem aufgenommen, was auch deutschlandweit notwendig wäre, um einen flächendeckenden Notdienst aufrechtzuerhalten, der nicht von Kliniken abhängig ist. Ich war ziemlich frustriert.

Wie geht es jetzt weiter? Kann Elversberg den Notdienst weiter anbieten?

Pack: Die Kammer hat ihre Entscheidung damit begründet, dass im gesamten Saarland nachts nur im Schnitt sieben Fälle den Nachtdienst außerhalb der Klinik in Anspruch genommen haben. Das hört sich wenig an, aber unser Notdienst ist ja in der Nacht schon ausgelastet. Wenn von diesen sieben Patienten nur drei oder vier eine intensive Betreuung benötigen, die ja immer mindestens eine Stunde dauert, dann weiß ich nicht, wie das werden soll. Wir können nicht alle Tiere der Welt behandeln. Dennoch möchte ich solange wie möglich den Notdienst aufrechterhalten.

Im Endeffekt hat doch jeder Tierarzt einmal das Studium angefangen, weil er Tieren helfen wollte. Deshalb finde ich es wichtig, dass es Einheiten gibt, die 24 Stunden Dienst haben und auch zu Zeiten, zu denen andere Leute Feierabend haben, für die Tiere da sind. Ich finde das gehört zur DNA unseres Berufes. Wenn das nicht mehr für notwendig erachtet wird, sehe ich auch den guten Ruf gefährdet, den wir als Tierärzte in der Gesellschaft haben.

Hier sehe ich eine Verantwortung der Kammern, die momentan nur bruchstückhaft wahrgenommen wird. Manche machen Notdienstringe, manche verlassen sich auf Kliniken, andere machen gar nichts. Es ist ein Stückwerk. Die Tierhalter sind völlig verunsichert, wo sie überhaupt noch hingehen können.

Wir sitzen da wirklich in der Falle. Einer müsste den gordischen Knoten durchschlagen und sagen: Wir bauen jetzt gemeinsam ein Netz an Bereitschaftsdienstpraxen auf. Wir definieren die Einwohnerzahl oder die maximale Fahrzeit und legen so fest, wo jede Kammer eine Bereitschaftsdienstpraxis organisieren muss.

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