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Foto: Helena Nageler

Ethikerin in der Tiermedizin

Kerstin Weich: „Ich fühle mich privilegiert“

Die Veterinärin und Ethikerin an der Vetmeduni Wien zeigt, dass sich Tiermedizin und Philosophie nicht ausschließen.

Unzählige Male schon hat mein Weg mich an die Vetmeduni Wien geführt. In die Kleintierklinik, in den Schweinestall, zu Alpakas und Ziegen. Doch das Messerli Forschungsinstitut musste ich erst suchen. Am äußersten Rand des Uniareals in einem gelben Bürogebäude angrenzend an die Donaufelderstraße befindet sich das 2010 mit der Unterstützung der Schweizer Messerli-Stiftung und unter der Federführung der Vetmeduni Wien in Kooperation mit der Medizinischen Universität Wien und der Universität Wien gegründete Institut. „Wir widmen uns der Erforschung der Mensch-Tier-Beziehung und ihrer Grundlagen in den Bereichen Kognition und Verhalten von Tieren, Komparative Medizin und Ethik“, heißt es auf der Uni-Webseite. Hier treffe ich Kerstin Weich, die seit 2012 in der Abteilung Ethik der Mensch-Tier Beziehung tätig ist. Sie hat einen Lehrauftrag für Angewandte Ethik in der Tiermedizin an der Vetmeduni Wien und ist wissenschaftliche Koordinatorin des Forschungsprojekts „VETHICS FOR VETS - Ethik in der amtstierärztlichen Praxis“.

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Flucht vom Land

„Zuerst habe ich ja Neuere Deutsche Literaturwissenschaften, Philosophie und Publizistik studiert und dann erst Veterinärmedizin“, verrät die gebürtige Deutsche schmunzelnd. Nicht weil das Interesse an der Veterinärmedizin nicht da gewesen wäre, sondern weil sie sich das Studium nicht richtig zugetraut hat, wie die 41-Jährige verrät. Und dann fehlte auch noch die nötige emotionale Unterstützung, so Kerstin Weich, die im ländlichen Schwaben aufgewachsen ist. „Wir hatten immer Haustiere und schon damals haben mich die Tierärztinnen beeindruckt. Das waren für mich großartige Persönlichkeiten und zudem haben mich Krankheiten sehr interessiert. Das Landleben allerdings fand ich nicht so toll“, so die Tierärztin. Mit 18 hat sie endgültig genug vom Landidyll und geht zum Studieren zunächst nach Dresden, dann nach Berlin. „Da hat sich mir eine ganz neue Welt eröffnet. Ich habe die Großstadt vom ersten Moment an geliebt, die Atmosphäre und ich wurde politisch aktiv“, verrät Kerstin Weich, die durchaus bei der einen oder anderen Hausbesetzung in Berlin dabei war. Das Politische ist ihr geblieben. Heute geht sie mit ihrem dreijährigen Sohn auf den Heldenplatz, wenn es ihr wichtig ist.


Top Job:


Der Traum wird wahr

Während ihres ersten Studiums lernt Kerstin Weich dann Freunde kennen, die sie ermutigten, den Traum des Veterinärmedizinstudiums zu verwirklichen. „Sie gaben mir Mut. Ich habe mich für einen Studienplatz beworben und ihn bekommen. Ich war ab der ersten Vorlesung begeistert“, schwärmt sie noch heute. Zwei Semester studiert sie parallel, dann hat sie ihr erstes Studium abgeschlossen. Eine anstrengende Zeit. Auch weil gerade in dieser Zeit viele ihre Entscheidung nicht verstehen. „Die einen stellten es so dar, dass ich in den Geisteswissenschaften gescheitert wäre. Die anderen sahen mich nicht als echte Veterinärin, da ich ursprünglich etwas anderes gemacht habe“, verrät sie. Heute ist sie mehr als glücklich mit der Basis, die ihr beide Studien gegeben haben. Damals sieht sie sich gezwungen, ihre Entscheidung zu legitimieren. Denn warum tut man sich ein zweites Studium an? Und sollte man nicht endlich einmal Geld verdienen?

Kerstin Weich finanziert sich ihr Studium auf ihre Art. Als Türsteherin im Berliner Club SO36. „Ich habe damals geboxt und habe mich dadurch für diesen Job qualifiziert gefühlt“, erklärt sie lachend. Sie wohnt in einem linken Kollektiv in Kreuzberg. Eine schöne, aber auch harte Zeit. Schließlich muss sie tagsüber studieren und nachts arbeiten. Später arbeitet sie auch in einer Kleintierpraxis. „Natürlich habe ich mich manchmal selbst gefragt, warum ich mir das antue. Aber es hat unglaublich viel Spaß gemacht und ich wollte unbedingt Tierärztin werden.“ Doch so sehr sie das Vet-Studium liebt, ihren Geisteswissenschaften-Blick, wie sie lächelnd erklärt, hat sie doch nicht aufgegeben. „In der Veterinärmedizin werden hauptsächlich klar strukturierte Inhalte eins zu eins auswendig gelernt. Es bleibt wenig Raum fürs Denken, warum man etwas lernt.“ Kerstin Weich jedoch will hinterfragen.

Verschiedene Berufswelten

Nach dem Studium arbeitet sie weiter in der Kleintierpraxis sowie auch in einer Milchviehpraxis, was, wie sie sagt, im Berliner Umland keine schöne Arbeit sei. Schon während des Studiums war sie Ethikerin in der Tierversuchskommission in Berlin und als dort eine halbe Stelle frei wird, übernimmt sie diese. Sie prüft und genehmigt Tierversuchsvorhaben. Eine inhaltlich interessante Aufgabe. Gerade der Vergleich Nutztier- und Versuchstierkunde sei ein spannender. „Aktuell wurde gerade eine These formuliert. Es wurde ja immer gesagt, dass es in der Versuchstierkunde keinen Tierschutz gibt. Wenn man nun umgekehrt den Versuchstierschutz auf Nutztiere umlegen würde – was würde das bedeuten?“, sagt Kerstin Weich und gibt auch gleich einen kleinen Einblick in weitere Fragestellungen, die die Tiermedizinethik aufwirft. „Dass ich verschiedene Bereiche kennenlernen durfte, hilft mir auch heute in der Lehre. Ich weiß, wie es sich anfühlt in verschiedene Berufswelten einzutauchen“, so die Dozentin.

Von Berlin nach Wien

2012 kommt dann der Ruf nach Wien. Es ist für Kerstin Weich nicht leicht, ihr geliebtes Berlin zu verlassen. Doch eine freie Stelle an einer Einrichtung, die Philosophie und Veterinärmedizin vereint, sei mit Blick auf ihr Doppelstudium ein zu deutlicher Wink des Universums. Bereut hat sie den Schritt nicht. „Vor meinem Studium war ich sicher, dass ich nur in der Praxis arbeiten werde. Ich habe nicht verstanden, wie man als Tierärztin etwas anderes machen kann“, erzählt sie schmunzelnd. Doch die ethischen Fragestellungen lassen sie nicht los. „Ich denke, ein wichtiger Punkt, warum Tierärztinnen und Tierärzte sich heutzutage mit Ethik auseinandersetzen sollten, sind die starken Widersprüche und Spannungen – etwa zwischen Schoß- und Schlachttier – von denen die Mensch-Tier-Beziehungen in unserer westlichen Gesellschaft gekennzeichnet sind“, so Kerstin Weich. Wie Veterinärinnen und Veterinäre in moralisch herausfordernden Situationen eine ethisch gut begründete Entscheidung treffen können, ist eine der Aufgaben der Tiermedizinethik. Kerstin Weich geht diesen Fragestellungen nicht nur mit den Studierenden nach, sie betreut auch Projekte mit praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzten. „Wir haben etwa mit Amtstierärztinnen und -ärzten zusammengearbeitet, um eine Art Kartographie der Probleme, Konflikte und Lösungen ihres Arbeitsalltags zu erstellen.

Ein wichtiger Aspekt dieses Projekts war, dass bisher unausgesprochene Probleme diskutiert wurden und die Beteiligten gesehen haben, dass sie damit nicht alleine sind“, erklärt Kerstin Weich. Drastische Maßnahmen wie etwa Seuchenbekämpfung, bei der unter Umständen die Keulung eines ganzen Betriebes angeordnet werden muss, sind eine große Herausforderung – auch emotional. „Wir können die Spannungen nicht aus der Welt schaffen, aber wir können eine größere Kompetenz im Umgang vermitteln“, so die Expertin.

Freude am Arbeiten

„Ich fühle mich unglaublich privilegiert, so arbeiten zu dürfen. Ich mag die Lehre, die Studierenden sehr gerne“, so Kerstin Weich, die sich auch vorstellen kann, zusätzlich zur universitären Arbeit in der tiermedizinischen Praxis zu arbeiten. Doch einstweilen bietet ihr die Stelle am Messerli Forschungsinstitut die richtige Struktur, um genügend Zeit mit ihrem dreijährigen Sohn zu verbringen. Denn auch die Liebe fand Kerstin Weich in Wien. Ihr Partner ist Philosoph und freischaffender Lektor. Mit ihm verbindet die Ethikerin auch eine intellektuelle Freundschaft, wie sie sagt. Gemeinsam genießen die beiden auch das „absolut überfordernde Kulturangebot in Wien“. Egal ob Impulstanzfestival, Oper oder Kino – Kerstin Weich lässt sich gerne auf alles ein. „Natürlich ist das mit Kind ein bisschen schwieriger, aber nicht unmöglich“, verrät sie lachend.Ihrem Sohn gibt sie gerne den Respekt vor und die Liebe zu Tieren mit. „Er ist fasziniert von Tieren und widmet ihnen viel Zeit. In einem Fensterzwischenrahmen in unserer Wohnung etwa hat er eine Spinne entdeckt und sie zum Haustier auserkoren. Er füttert sie sogar“, erzählt Kerstin Weich lachend. Und immer wieder reist sie nach Berlin, die Stadt, die ihr die Welt geöffnet hat.

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