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Podiumsdiskussion auf dem bpt-Kongress.
v.l.n.r.: PD Dr. A. Palzer (bpt), Dr. I. Emmerich (BTK), Dr. W. Jansen (FVE), PD Dr. S. Sander (BVL), H. Färber (Moderator)
Foto: bpt
Podiumsdiskussion auf dem bpt-Kongress.
v.l.n.r.: PD Dr. A. Palzer (bpt), Dr. I. Emmerich (BTK), Dr. W. Jansen (FVE), PD Dr. S. Sander (BVL), H. Färber (Moderator)

bpt | neues TAMG

Ampel-Politik lässt Tierärzte rot sehen

Ein kurzfristiger parlamentarischer Änderungsantrag brachte kurz vor dem bpt-Kongress weitere Neuerungen für das Tierarzneimittelgesetz ins Spiel. So wurden die Ergebnisse detaillierter Beratungen mit Fachleuten zu Fall gebracht: Die Tierärzteschaft fühlt sich wenig ernstgenommen.

Mit der rot-grün-gelben Bundesregierung, gerne „Ampel“ genannt, die nun seit rund einem Jahr im Amt ist, scheinen zunehmend Guerilla-Taktiken in die Politik Einzug gehalten zu haben: feuern und wegducken. Denn just zwei Tage vor Kongressbeginn wurde bekannt, dass die bisher diskutierten Neuerungen im Tierarzneimittelgesetz (TAMG), die vier Wochen zuvor auch mit einer Anhörung unter Einbeziehung der Tierärzte verhandelt worden waren, nun durch einen erneuten parlamentarischen Änderungsantrag überholt sein sollen.

Mit diesem Schock vom Wochenbeginn erhielt die Berufspolitische Veranstaltung beim bpt-Kongress zusätzliche Aktualität. Eigentlich hätte es in der Veranstaltung, deren Thema anlässlich der „Europäischen Antibiotikawoche 2022“ gesetzt worden war, um die erfolgreiche massive Reduktion im tierärztlichen Antibiotikaeinsatz gehen sollen und wie man im Sinne des One-Health-Gedankens auch die Humanmedizin zu mehr Einsparungen in der Antibiotika-anwendung bewegen kann. Doch im Laufe der einstündigen Podiumsdiskussion wurde immer deutlicher, wie wenig ernstgenommen sich die Tierärzteschaft fühlt, wenn Regierungsparteien nach langwierig ausgehandeltem Konsens für neue Gesetzgebung mit kurzfristigen Änderungsanträgen reingrätschen. Damit werden die Ergebnisse detaillierter Beratungen mit Fachleuten zu Fall gebracht – aus ideologischen Motiven, wie man vermuten darf. So geschehen bei der Neufassung des Tierarzneimittelgesetzes, die am 1. Januar 2023 in Kraft treten soll.

Wieder Musterschüler in Europa?

Eine typisch deutsche Unart scheint es, den europäischen Nachbarn regelmäßig besserwisserisch zu zeigen, wie man die Umsetzung von EU-Vorgaben noch kleinkarierter und perfektionistischer gestalten kann. Konkret beim Erfassen des Antibiotikaverbrauchs: Die EU verlange nur eine jährliche Meldung je Präparat und Tierart, erläuterte Dr. Ilka Emmerich von der Bundes-tierärztekammer (BTK), dagegen verpflichte hierzulande das neue Tierarzneimittelgesetz die Tierärzte, jede singuläre Antibiotika-Anwendung an jedem einzelnen Nutztier zu melden. Ohne Bestandsuntergrenze für die Meldung: „Jedes Huhn zählt!“ Auf die Frage von Moderator Heiko Färber, wieviele andere europäische Länder ihre Gesetze schon angepasst hätten, antwortete Dr. Wiebke Jansen vom Europäischen Tierärzteverband FVE, Deutschland sei eines der wenigen, das sei lediglich noch in Belgien und Frankreich geschehen.


Top Job:


Nutzlose Daten

Die Datensammelwut der deutschen Bürokratie erzürnt viele Bürger, besonders wenn nebulös bleibt, ob jemals und zu welchem guten Zweck die aufwendig gesammelten Daten aufbereitet und veröffentlicht werden. Tierärztliche Praktiker leiden ohnehin an exzessiver Bürokratie, die die Arbeit am Tier erheblich einschränkt. Doch das sinnlose Datensammeln schrecke erst recht den Nachwuchs ab, hob ein Teilnehmer im Auditorium hervor, der seit Jahren die Datenerhebung fürs QS-System verfolgt. Dem Tierärztemangel in der Nutztierpraxis wird mit mehr Bürokratie kaum zu begegnen sein. PD Dr. Svenja Sander vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) hob zur Rechtfertigung des ausufernden deutschen Datensammelns den Unterschied zwischen Verkaufsmengen und Anwendungsdaten am Tier hervor. Bei Vorratskauf und Lagerung könne man nicht Verkauf mit Verbrauch gleichsetzen, stimmte Emmerich ihr zu.

Neues TAMG – neue Haftungsrisiken

Ein weiteres Ärgernis aus dem Änderungsantrag zur Neufassung des Tierarzneimittelgesetzes ist, dass der Tierarzt in Zukunft für den Landwirt haften soll, denn die Meldepflichten gehen vom Landwirt auf den Tierarzt über, die Anwendungsdaten kommen vom Landwirt. Informiere dieser den Tierarzt falsch, hafte letzterer, so Dr. Emmerich. Zudem werde für die Meldung nach viel mehr Nutzungsarten differenziert werden. Wer nicht korrekt melde, begehe einen Ordnungswidrigkeits-Tatbestand, erläuterte sie.

Dr. Sander hob hervor, dass zwar die Pflicht zum Datensammeln ab 1.1.2023 gelten werde, dass aber die Pflicht zur Meldung dieser Daten spätere Fristen habe. Das BVL arbeite nun an einer Übergangslösung, da auf die Schnelle kaum eine Praxissoftware dem neuen Gesetz angepasst sein könne, das zum Zeitpunkt des Kongresses noch nicht verabschiedet war.

Weitreichende Verbotsermächtigung

Dr. Palzer räumte ein, derzeit wisse man noch nicht, was genau im Gesetzestext stehen werde. In dem neuen Änderungsantrag seien auch Strafen für Tierärzte vorgesehen, die die neuen bürokratischen Auflagen nicht erfüllten. Das bpt-Präsidiumsmitglied monierte, bis heute seien keine Meldewege etabliert. Dr. Sander bekräftigte, sie sei zuversichtlich, dass dies bis zum Jahreswechsel gelöst sei.

Aus dem Online-Publikum kam die Frage, welche Verbote im neuen Änderungsantrag vorgesehen seien. Palzer sieht darin eine sehr weitreichende Ermächtigung der Regierung, ohne Einbeziehung des Bundestags einzelne Arzneimittel zu verbieten. Vor dem Hintergrund wiederholter Entscheidungen von EU-Institutionen, die vielfach den Sinn einzelner Wirkstoffverbote verneint haben, vermisst Palzer die Wissenschaftlichkeit bei dem neuerlichen deutschen Alleingang des jüngsten Änderungsantrags.

Änderung des TAMG geplant

Der Bundestag hat den Entwurf zur Änderung des Tierarzneimittelgesetzes (TAMG) am 02. Dezember verabschiedet.  Diese neuen Regelungen sollen ab Januar 2023 insbesondere für die Antibiotikagabe in der Nutztierpraxis gelten.
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„Fachkräftemangel in der Politik“

Im Agrarausschuss des Bundestages sei man mit einer Mischung aus Ignoranz und Inkompetenz konfrontiert, klagte Palzer. Er bemängelt auch die fortwährende Simplifizierung in den Denkweisen wissenschaftlicher Laien, mit denen man es im Bundestag zu tun habe. Ökologische Haltungsbedingungen bedeuten nun einmal nicht automatisch gesündere Tiere, die Gleichung „viel Bio gleich viel Tierschutz“ geht leider oft nicht auf. Und extensive Haltungsformen bringen nicht zwingend weniger Erkrankungen mit sich, nur andere. Dass viele Praktiker mit ihrer Geduld am Ende sind, zeigte die bisweilen drastische Wortwahl bei Podiumsrednern und Stimmen aus dem Publikum. Es klang schon fast unironisch, als Palzer eine Expertin zitierte, die am Vortag über den „Fachkräftemangel in der Politik“ lamentiert hatte.

Das Ende der Geduld

Auch bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder zeigte deutlichen Unmut: Die Politik liefere ein Zeichen kompletter Unfähigkeit. Kein Regierungsvertreter habe sich bereitgefunden, zum Kongress zu kommen und zu diskutieren: „Die verweigern sich einfach alle.“ Moder kritisierte den nationalen Alleingang, die geplante Strafbewehrung bei den Meldepflichten und das halbseidene Prozedere, quasi „unter dem Tisch“ noch den kurzfristigen Änderungsantrag einzubringen. „Das Maß ist voll!“, so Moder. Dem konnte Dr. Iris Fuchs, Erste Vizepräsidentin der BTK, nur beipflichten. Sie forderte die Zuhörer auf, das öffentlich zugängliche Video der Expertenanhörung zum Tierarzneimittelgesetz im Bundestag vom 17.10.2022 anzusehen. Mehrere tierärztliche Standesvertreter seien nach Berlin gefahren, inhaltlich einig in der Kritik am Gesetzentwurf. „Das Gremium hat uns nicht ernstgenommen“, sagte Fuchs. Sie habe das Verhalten der Ausschussmitglieder als beschämend empfunden. Die Tierärzte hätten dort mit ideologischen Volksvertretern zu tun gehabt.

Deutschland im Mittelfeld

Und wie sieht es aktuell mit dem tiermedizinischen Antibiotikaverbrauch aus? bpt-Geschäftsführer Heiko Färber bat als Moderators um eine Einordnung der Leistungen Deutschlands in Richtung Antibiotika-Reduktion. Bei den Antibiotika-Verkaufszahlen liege Deutschland im europäischen Vergleich im Mittelfeld, beschrieb Dr. Jansen die derzeitige Situation. Die relativ höchsten Zahlen zeigten diesbezüglich Portugal und Ungarn, während die niedrigsten in den skandinavischen Ländern zu verzeichnen seien. Allerdings habe Deutschland den stärksten Rückgang zu vermelden gehabt: 60 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 2011.

Weniger Antibiotika = weniger Resistenzen?

Färber wollte außerdem den Effekt der drastischen Antibiotika-Mengenreduktion auf die Entwicklung neuer Resistenzen wissen. Das stellte PD Dr. Sander vom BVL als schwer quantifizierbar dar. Ihr Institut ist Mitherausgeber des Antibiotika-Resistenzatlasses GERMAP. PD Dr. Palzer, der auch als Arzneimittelexperte für die Weltgesundheitsorganisation WHO fungiert, erläuterte es gebe zwar eine internationale wissenschaftliche Überblicksarbeit, die bei Mengenreduzierung vorteilhafte Auswirkungen auf die Resistenzsituation belege. Dies gelinge laut Studie aber nicht durch das Verbot einzelner Wirkstoffe. Es gehe um die Gesamtmenge.

Und was leistet die Humanmedizin?

Dr. Sander berichtete, viele humanmedizinische Kliniken nähmen freiwillig an „Antimicrobial Stewardship“-Programmen teil. Nach wie vor sind aber in der Schwes-terdisziplin nur vereinzelte Erfolge nachweisbar, das Gros an Aktivitäten scheint sich im Raum von Freiwilligkeit und Modell zu bewegen. Das ist auch für die Tiermedizin bedauerlich, denn immer wieder trüben Medienberichte das Gesamtbild ein, indem eilfertig und entgegen vielfacher Forschungsergebnisse die unpopuläre Massentierhaltung zum Sündenbock für Resistenzen beim Menschen gemacht wird. Einsichtige Humanmediziner und gute Ansätze in Kliniken gibt es sicherlich mittlerweile zuhauf, doch man wird den Eindruck nicht los, dass humanmedizinische Erfolgsberichte eher anekdotischen Charakter haben – an den nationalen Verbrauchszahlen sind sie kaum abzulesen, zumal es bislang keine umfassende Datenerfassung für die Humanmedizin gibt.

Zähe Interessenvertretung

Ob die Neufassung des Tierarzneimittelgesetzes zu weiteren Erfolgen bei den tiermedizinischen Reduktionsbemühungen führt, wird sich zeigen. Die Delegiertenversammlung des bpt beim Kongress hat am 17. November 2022 eine Resolution gegen den kurzfristigen Änderungsantrag zum neuen TAMG verabschiedet (s. Seite 12). Der bpt stellt sich für die kommenden Jahre auf eine zähe politische Interessenvertretungsarbeit ein. bpt-Präsident Moder kündigte an, man werde gegen das neue Gesetz alle Hebel bedienen. Mit Gesprächsverweigerung und Inkompetenz auf Regierungsseite möchte sich Moder nicht abfinden: „Wir sind nicht die Deppen der Nation.“ (Dr. Ulrike Schimmel, bpt.schimmel@tieraerzteverband.de)