Wirtschaftskrise

Zerreißprobe für die Pferdehaltung

Vor allem die Pferdebranche klagt über die neue GOT. Doch schon zuvor stellten steigende Futter-, Sprit- und Pensionskosten viele Halter vor Herausforderungen. Steht jetzt der Tierschutz auf dem Spiel?

Es war Ende Januar, genau: der 27., als Petra Teegen endgültig klar wurde, dass in diesem Jahr etwas grundsätzlich anders sein würde als in den zehn Jahren zuvor. „Am 27. Januar 2023 haben wir das 27. Pferd seit Jahresbeginn bekommen – das gab es noch nie vorher“, sagt die Gründerin des Vereins Pferdeklappe e. V. im schleswig-holsteinischen Norderbrarup. Teegen und ihre Mitstreiter haben 2013 mit „Deutschlands erster Pferdeklappe“ eine Einrichtung geschaffen, die schnell zum Anlaufpunkt für verzweifelte Pferdehalter aus dem ganzen Bundesgebiet wurde.

Wer finanziell an seine Grenzen kommt oder durch Krankheit, Alter oder Schicksalsschläge mit der Haltung überfordert ist, kann seine Tiere auf Petra Teegens Hof nahe der dänischen Grenze abgeben – und wenn die Scham zu groß ist, darf man sein Pferd sogar anonym auf eine abgelegene Weide stellen, die Teegens Team täglich überprüft.

Überschuldete Halter ziehen die Notbremse

Das mulmige Gefühl, das Petra Teegen Ende Januar beschlich, begleitet sie in diesem Jahr weiter, auch jetzt im Frühling. „Am 22. März haben wir das 64. Pferd bekommen; 2022 kam das 64. Pferd erst am 15. Juni und 2021 erst am 1. Juli“, nennt Teegen ein paar Stichzahlen, die einen deutlichen Trend zeigen. Für Teegen ist klar: Die Wirtschaftskrise ist spätestens jetzt endgültig in der Pferdehaltung angekommen. „Die Menschen, die uns ihre Pferde bringen, sind verschuldet und haben auch durch ihr Pferd kein Geld mehr.“ Häufig werde das Pferd „im letzten Moment“ in der Klappe abgegeben, überschuldete Halter zögen die Notbremse. „Wir haben kürzlich ein Pferd einer Studentin bekommen, die am Anfang ihres Lebens mit 28.000 Euro verschuldet ist – wegen des Pferdes.“ Typisch sei in den vergangenen Wochen: „Wir bekommen mehr schwer kranke, auch todkranke Tiere, deren Halter den Tierarzt nicht mehr bezahlen können.“

Im Krisen- und Inflationsjahr 2022 hatte sich schon angedeutet, dass für die Pferdehaltung härtere Zeiten anbrechen. Die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) geht im Moment beispielsweise davon aus, dass die Bedeckungen bald rückläufig sein werden wegen finanzieller Bedenken der Züchter. Auch hätten die Starterzahlen bei Turnieren das Vor-Corona-Niveau noch nicht wieder erreicht. Aus diesem negativen Trend bei den Starterzahlen lasse sich schließen, dass die Reiter gezielter ihre Turniere auswählen – höchstwahrscheinlich auch aus finanziellen Gründen, heißt es bei der FN.

Kurzer Pferdeboom während der Pandemie

Aber nicht nur die Sport-, insbesondere auch die Freizeitreiterszene ist betroffen. Essen im Ruhrgebiet, Anfang März: In Halle 6 der Equitana, der größten Pferdemesse weltweit, haben Plattformen für den Pferdeverkauf oder für Dienstleistungen rund um das Pferd ihre Stände. Untermalt vom Stimmengemurmel der Messebesucher thematisieren viele Brancheninsider hier im Gespräch den derzeit schnellen Einbruch der Preise für Freizeitpferde. In der von Lockdowns geprägten Zeit legten sich die Deutschen nicht nur andere Haustiere, sondern auch vermehrt Pferde zu. „Die Pferdepreise sind während der Pandemie aufgrund der hohen Nachfrage unglaublich explodiert“, sagt Aylin Hoffmann, Pferdetrainerin und psychologische Beraterin aus dem Rhein-Main-Gebiet, die hier an ihrem Stand ihr Kursangebot für Reiter und Pferde bewirbt. „Pferde, die beispielsweise aufgrund von chronischen Erkrankungen wie COPD oder Verhaltensauffälligkeiten wie Treten oder Steigen vor der Pandemie 1.000 bis 1.200 gekostet hätten, kosteten während der Pandemie schnell 5.000 bis 6.000 Euro.“

Ein Gutteil der heutigen finanziellen Sorgen von Pferdehaltern hat seine Wurzeln in der unbeschwerten Art und Weise, in der die Menschen sich in den vergangenen drei Jahren ein Pferd anschafften. „Viele unerfahrene Halter stehen jetzt mit einem chronisch kranken oder schwierigen Pferd da, das medizinische Behandlungen oder auch zusätzliches Training benötigt“, erklärt Hoffmann, die über verschiedene Social-Media-Kanäle sowie durch ihre Kunden und ein großes Netzwerk mit vielen Pferdehaltern im Austausch ist. Wer den Pferdewunsch so dringend umsetzen wollte wie viele Deutsche in der Pandemie, habe beispielsweise auch lange Anfahrtszeiten zum gewählten Pensionsstall in Kauf genommen, so Hoffmann. „Man hatte viel Freizeit, Benzin war vergleichsweise günstig – deshalb fuhr man auch zu einem Stall, der 30, 40 oder 50 km entfernt war. Aufgrund der gestiegenen Benzinkosten müssen viele Pferdehalter jetzt aber genau überlegen, wie oft sie wirklich dorthin fahren wollen.“

„Pferd zur Verfügung“

Ein Stallwechsel sei nicht einfach, derzeit existierten aufgrund der vielen Neu-Besitzer lange Wartelisten. Hoffmann beobachtet in dieser Gemengelage einen neuen Trend: „Immer mehr Pferde werden ‚zur Verfügung‘ angeboten“, sagt die Pferdetrainerin. Halter, die im Moment keinen Käufer finden, übergeben ihr Pferd bei dieser Regelung für einen bestimmten Zeitraum an eine andere Person, die das Pferd nutzen kann und dafür alle Kosten trägt, es unter Umständen auch in einen anderen Stall stellt. Längst sind kritische Stimmen laut geworden, die den Tierschutzaspekt ins Spiel bringen – in Facebookgruppen entbrennen beispielsweise hitzige Diskussionen zum Thema.

„Das ist eine problematische Entwicklung“, sagt auch Dr. Andreas Franzky, Vorsitzender der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz (TVT) und selbst Warmblutzüchter. „Ein Pferd will feste Bezugspartner haben – sowohl unter Artgenossen als auch unter Menschen. Abgebende Pferdehalter, die selbst kaum Erfahrung und vielleicht gerade erst das erste Pferd haben, können unter Umständen auch nicht genau erkennen, ob das Pferd in einen Stall mit pferdegerechten Lebensbedingungen verliehen wird.“

Langfristiger Abwärtstrend

Für Franzky sind die Veränderungen in der Pferde­szene nicht allein Folgen von Wirtschaftskrise und Inflation, sondern Teil eines langfristigen Trends. „Heute wechseln Interessen von Jugendlichen häufiger, zudem war der Reitsport früher im Fernsehen und anderen Medien präsenter und es gab unter Reitern und Sportpferden Idole, die auch bei Laien bekannt waren.“ Die gesellschaftlichen Veränderungen hätten über Jahrzehnte hinweg und nicht ausschließlich durch den kurzfristigen Effekt von Ukrainekrieg, Inflation oder aktuell auch Erhöhung der Tierärztegebührenordnung (GOT) das Interesse am Reitsport zurückgehen lassen, sagt Franzky. So sieht es auch Dr. Christina Münch, Gründerin des auf die Pferdebranche spezialisierten Marktforschungs- und Beratungsunternehmens HorseFuturePanel. Die Coronavirus-Pandemie, der Ukrainekrieg oder die GOT bezeichnet die Agrarwissenschaftlerin Münch als „Beschleuniger“ – ausschlaggebend seien sie angesichts eines seit Jahren bestehenden Abwärtstrends nicht.

„Wir gehen davon aus, dass der Pferdebestand in Deutschland im Jahr 2030 um etwa 30 Prozent kleiner ausfallen wird als heute“, sagt Münch. Schätzungen zufolge leben derzeit etwa 1,3 Millionen Pferde in Deutschland. Studien des HorseFuturePanel zeigen, dass ein Drittel der Tiere älter als 18 Jahre ist. „Ein Teil der älteren Pferde wird, nachdem sie verstorben sind, nicht mehr ersetzt werden“, erklärt Münch. Auch zugkräftige Trends – etwa neue Reitweisen aus dem Ausland –, die das Interesse am Reiten und am Pferdebesitz wieder steigen lassen könnten, seien in naher Zukunft nicht mehr zu erwarten.

Foto: XtravaganT-stock.adobe.com Auch Pensionsställe werden teurer. Immer mehr Pferdehalter versuchen deshalb, die Haltung selbst zu organisieren.

Weniger soziale Durchlässigkeit

„Wir gehen davon aus, dass der Pferdebestand in Deutschland im Jahr 2030 um etwa 30 Prozent kleiner ausfallen wird als heute“, sagt Münch. Schätzungen zufolge leben derzeit etwa 1,3 Millionen Pferde in Deutschland. Studien des HorseFuturePanel zeigen, dass ein Drittel der Tiere älter als 18 Jahre ist. „Ein Teil der älteren Pferde wird, nachdem sie verstorben sind, nicht mehr ersetzt werden“, erklärt Münch. Auch zugkräftige Trends – etwa neue Reitweisen aus dem Ausland –, die das Interesse am Reiten und am Pferdebesitz wieder steigen lassen könnten, seien in naher Zukunft nicht mehr zu erwarten.

Als großes Problem sieht Münch, dass bei alldem die soziale Durchlässigkeit der Pferdeszene weiter abnehmen wird: „Immer weniger werden teilhaben können. Hier sehen wir auch Effekte durch die Pandemie, während der viele Reitvereine mit Schulbetrieb in Existenznot geraten sind und ihr Schulpferdeangebot eingestellt haben.“ Dadurch gehe die Möglichkeit für weniger wohlhabende Familien verloren, ihren Kindern durch Reitstunden einen Zugang zum Pferd zu bieten.

Steigende Pensionskosten

Aktuell beobachtet Münch, dass angesichts der Inflation vermehrt Pferde – gerade in Stadt-Land-Übergangsgebieten – aus Pensionsställen genommen werden und stattdessen aus Kostengründen eine private, selbst organisierte Haltung aufgebaut wird. Denn: Gerade die Unterbringungspreise steigen. „Die Pensionspferdehalter sind wie alle Unternehmen auch von der wirtschaftlichen Entwicklung, hohen Energiekosten und Inflation betroffen“, bestätigt Renate Höchtl, erste Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft der Pensionspferdehalter im Bayerischen Bauernverband. „Die gestiegenen Kosten müssen auf die Pferdebesitzer umgelegt werden.“

Besonders massiven Kostensteigerungen unterlägen derzeit Energie, etwa Strom und Treibstoff, Einstreu, Futtermittel, Düngemittel oder auch die Löhne für Personal. Schon jetzt liegen die monatlichen Pensionskosten Höchtl zufolge im Freistaat je nach den verbundenen Leistungen zwischen 350 und 800 Euro.

Trotzdem ist es die erhöhte GOT, die in der öffentlichen Debatte um gestiegene Kosten in der Pferdehaltung derzeit oftmals als alles entscheidender Problemfaktor gilt. Die deutschen Pferdetierärzte traf in den vergangenen Wochen massive Kritik, etwa von Pferdesportmedien und der FN. Die Gesellschaft für Pferdemedizin (GPM) hat sich mit einer online abrufbaren Talkrunde eingeschaltet, in der die Position der Pferdetierärzte transparent gemacht wird. In jedem Fall brachten wohl erst die Medienberichte über höhere Tierarztgebühren viele Halter zum Nachdenken – und zum Handeln. Darauf deuten jedenfalls die Daten von Versicherungsgesellschaften hin.

Ansturm auf Versicherungen

„Als 2022 die Inflation einsetzte, stagnierte zunächst die Nachfrage nach Pferde-Krankenversicherungen, die in der Pandemie aufgrund der vielen Pferdekäufe gestiegen war“, sagt der Produkt- und Portfoliomanager Dr. Felix Garlipp von den Uelzener Versicherungen, deren Pferde-Portfolio sich vorrangig an Freizeitpferdebesitzer richtet. „Dann kam im November die GOT-Erhöhung, die ja medial als Thema extrem präsent war. Mit dem Tag der neuen GOT ging die Nachfrage stark nach oben. Die Nachfrage nach einem Rundum-Krankenversicherungsschutz für Pferde stieg um etwa 20 Prozent, nach reinen OP-Versicherungen um etwa 10 Prozent.“

Mit Beiträgen ab etwa 165 Euro monatlich ist die vollumfängliche Pferde-Krankenversicherung allerdings ein weiterer hoher Kostenfaktor für Pferdebesitzer, den längst nicht alle stemmen können. Bei der FN heißt es jetzt schon, man befürchte, dass die GOT-Erhöhung Pferdehalter länger nachdenken lasse, bevor sie den Tierarzt einschalten. Petra Teegen vom Verein Pferdeklappe e. V. sieht inzwischen die Extremfälle: Ein Pony mit gebrochener Schulter wurde vor wenigen Wochen aus Nordrhein-Westfalen zu ihr nach Norderbrarup gefahren; auch der Verein konnte das Tier, dem noch die Schmerzen der Fahrt aufgebürdet worden waren, nur noch einschläfern lassen. Im ersten Quartal 2023 musste der Verein acht schwerstkrank abgegebene Pferde einschläfern lassen – „in anderen Jahren waren es bis Ende März höchstens drei“, sagt Teegen. Der Verein lässt jeden Fall, bei dem es um die Einschläferung geht, zusätzlich von einem Amtstierarzt begutachten. Nach Teegens Beobachtung bekommt die „Klappe“ zunehmend Pferde, bei denen niemand die letzte Entscheidung schlussendlich fällen wollte – manchmal nicht der Besitzer, manchmal nach Angaben der abgebenden Halter auch nicht der behandelnde Tierarzt.

Für die Helfer und Angestellten des Tierschutzvereins sei es schwer, das Schicksal dieser infausten Fälle mitzuerleben. Manche, so Teegen, quittierten den Dienst angesichts des Leids der Tiere, die noch die Reise nach Norderbrarup hinter sich bringen mussten. Aktuell sucht der Verein eine Pferdewirtin oder einen Pferdewirt und schreibt auf seiner Website auch offen, warum Verstärkung so dringend gebraucht wird: „Wir kämpfen am Limit.“

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