Mindset

Sind Tierärzte kranke Perfektionisten?

Auf dem Kongress der British Small Animal Veterinary Association (BSAVA) lieferten Experten spannende Einblicke in das Mindset von Studierenden und praktizierenden Tierärzten.

  • Auf dem BSAVA-Kongress gibt es spannende Einblicke ins Mindset von Tierärzten und Tierärztinnen.
  • Ein typisches Problem des Berufsstandes: der eigene Anspruch, alles perfekt zu machen.
  • Für deutsche Tierärzte ist es interessant, wie es anderen europäischen Kollegen ergeht. Wer den britischen Veterinären auf dem BSAVA (Online)-Kongress zugehört hat, könnte folgendes Fazit ziehen: Ähnlich (schlecht). Trotz (oder wegen?) der Leidenschaft für ihren Beruf kämpfen sie mit ähnlichen Herausforderungen wie die deutschen Praktiker: Überarbeitung und Personalmangel, anspruchsvollen, aber zum Teil zahlungsunwilligen Besitzern, die immer häufiger emotional erpressen, sowie einem perfektionistischen Mindset, mit dem sie sich mitunter selbst boykottieren.

    Erschreckende Zahlen auch bei Studierenden der Tiermedizin

    Wie früh sich die Berufsgruppe unter Druck zu setzen beginnt, zeigte die Rednerin und Tierärztin Liz Walker auf, die als Coachin viel mit Führungskräften arbeitet. Mit Schrecken reagierten die Zuhörer auf die Ergebnisse einer aktuellen Studie, denen zufolge 38,8 Prozent der Veterinärmedizinstudierenden in England im Laufe ihres Studiums Suizidgedanken hegen sollen. Als ein Grund für die frühe Verzweiflung wurde neben Lernlast und Prüfungsstress die zu Perfektionismus neigende Persönlichkeit vieler Tierärzte angeführt. 

    Unter Druck: Neige ich zu Perfektionismus?

    „Wenn ich noch diese und jene Weiterbildung gemacht habe, DANN biete ich meine Dienstleistung an!“ Kommt Ihnen dieser Gedankengang bekannt vor? Dann könnte ein kleiner Perfektionist in Ihnen stecken. Perfektionisten feilen nicht nur ewig an den eigenen Fähigkeiten, sie machen sich auch oft übermäßig für ihre  Fehler fertig. „Ich hätte es anders machen müssen!“, denken sie wieder und immer wieder, wenn eine Behandlung nicht das gewünschte Ergebnis bringt.

    Dahinter steckt oft die Angst zu scheitern bzw. nicht genug zu sein und abgelehnt zu werden – z. B. von den Kollegen oder vom Patientenbesitzer. Das Problem ist nur, dass Perfektionisten mit ihrer Einstellung entweder gar nicht erst ins Handeln kommen oder sich laufend herunterputzen. Keines von beidem fördert die Produktivität oder die (Arbeits)-zufriedenheit.

    (Tier)mediziner scheinen sich wegen ihrer Persönlichkeitsstruktur, ihrer Liebe zum Tier, dem Wunsch zu helfen und wegen ihres verantwortungsvollen Berufes häufig enorm unter Druck zu setzen. Liz Walker erinnerte ihre perfektionistischen Kolleginnen und Kollegen aus diesem Grunde daran, dass gerade in der Medizin niemals der Zeitpunkt kommen wird, an dem sie alles wissen.

    Stattdessen gelte es zu akzeptieren, dass der Praxisalltag ein lebenslanges Lernen mit sich bringt, an dem nie alles nach Plan laufen wird. „Haben Sie keine Angst vor schwierigen Fällen“, so Walker. Und denken Sie immer daran: „Alle sitzen im gleichen Boot!“ Nobody is perfect. Fehler hätten nichts mit scheitern zu tun. Stattdessen ermutigte die Coachin die Tierärzte dazu, den Mut zu haben, Fehltritte mit Kollegen zu teilen und sich generell mehr über die eigenen Unsicherheiten auszutauschen. 

    (Mehr zu einer guten Fehlerkultur in der Tierarztpraxis lesen Sie hier)

    BSAVA-Kongress: Noch bis Ende Mai online reinhören

    Das vielfältig Programm des BSAVA-Kongresses ist noch bis zum 27. Mai 2022 „on demand“ verfügbar. Zahlreiche spannende Vorträge (auf Englisch) und versierte Referentinnen und Referenten  sorgen für interessante Einblicke und neue Erkenntnisse. 

    Zum vollständigen Artikel: hier