Haustierboom

Kurz vor dem Notdienst-Kollaps?

Derzeit scheint sich die ohnehin schwierige Situation in der Tiermedizin zuzuspitzen: Ein deutlich gestiegenes Patientenaufkommen trifft auf chronisch knappes Personal.

Tierkliniken haben insbesondere nachts und am Wochenende zunehmend Probleme, eine Flut an Patienten mit zu wenig Personal zu versorgen. Die Tierklinik Asterlagen in Duisburg fand Ende Juli auf Facebook deutliche Worte: „Wie bei vielen anderen großen Kleintierzentren und Kliniken im Umkreis sind auch unsere tierärztlichen Kapazitäten nahezu erschöpft“. Das Anicura-Kleintierzentrum bat um Verständnis für lange Wartezeiten und zeitlich begrenzte Aufnahmestopps. Die Mitarbeiter arbeiteten schon seit Wochen „am absoluten Limit“. Notfälle würden aber auf keinen Fall abgewiesen.

Einige andere Kliniken werben ebenfalls für Verständnis für eine Triage und lange Wartezeiten im Notdienst. Dr. Dirk Remien, Leiter der Tierklinik Lüneburg und Präsident des Verbund Unabhängiger Kleintierkliniken (VUK), schätzt die Lage ähnlich ein: „Wir stehen in Deutschland kurz vor dem Notdienst-Kollaps“. Auch bei Kliniken im VUK sei es schon vorgekommen, dass Kapazitätsgrenzen erreicht wurden und Neuaufnahmen für kurze Zeit ausgesetzt werden mussten, weil einfach keine Box mehr frei war.

Hinter dem Notdienst-Problem stecken Schwierigkeiten, die seit Jahren diskutiert werden: zum Beispiel das Kliniksterben, der Fachkräftemangel und das unflexible Arbeitszeitgesetz mit Regeln zu Maximalarbeitszeit und Ruhezeiten. Bei den Tierbesitzern sei aber noch nicht angekommen, wie schwierig die Situation ist, meint Remien. Wenig dringliche Erkrankungen werden nach wie vor zu häufig im Notdienst vorgestellt. Die Ansprüche der Kunden wachsen stetig und Verständnis für höhere Preise im Notdienst gibt es oft nicht.

Die Folgen der Pandemie werden spürbar

Potenziert wird all dies durch die schiere Anzahl der Patienten: Im Corona-Jahr 2020 wuchs die Zahl der Heimtiere um etwa eine Million auf knapp 35 Millionen. Auch 2021 scheint man an allen Ecken auf frischgebackene Tierbesitzer mit Hunde- und Katzenwelpen zu stoßen. Die tierärztliche Versorgung der vielen neuen Patienten wird zur Kraftprobe. Schon tagsüber laufen die Sprechstunden voll. Der Notdienst wird durch besorgte Halter, die zum ersten Mal ein Tier besitzen, noch stärker beansprucht.Zudem hätten sich während der Pandemie einige Praxen ganz oder teilweise aus dem Notdienst zurückgezogen. In einem kleinen Team ist im Notdienst oder am Tag danach unter Umständen kein Personal da, um Tiere zu halten. Das wurde zum Problem, als die Besitzer pandemiebedingt die Praxen nicht betreten sollten. Zudem leisten nicht selten die selbstständigen Praxisinhaber Notdienste alleine. Bleibt schon tagsüber kaum Zeit für eine Pause, geht die Beteiligung am Notdienst-Ring in einer solchen Konstellation irgendwann über alle Kräfte.

Tierärztliche Versorgung sichern

Remien möchte eine Frontenbildung vermeiden zwischen Praxen, die nicht mehr wissen, wohin sie überweisen können, und Kliniken, die aus allen Nähten platzen. Er wünscht sich eine breite Kampagne pro Notdienst: “Es geht nur gemeinsam, wenn Kliniken und Praxen Hand in Hand arbeiten”. Weiterhin sei – mit Ausnahme weniger Bundesländer – grundsätzlich jede Praxis zum Notdienst verpflichtet. Dem VUK-Präsident schwebt ein Zwei-Stufen-Notdienst vor: Vor allem Bagatell- und einfache Akutfälle sollten an der Basis abgefangen werden, um die Kapazitäten der Maximalversorger freizuhalten. Tierärzte, die Notdienste leisten, müssten aber auch entsprechend entlohnt werden: über Gehaltszulagen zum Beispiel oder eine Umsatzbeteiligung. 

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