Idealisierung

Im Kinderbuch ist jeder Tierarzt ein Held

Selbstlose Helfer, die sich im Umgang mit Mensch und Tier bewähren und in der Gesellschaft hoch angesehen sind: Dieses Bild von Veterinärmedizinern dominiert die Kinderliteratur der Gegenwart, zeigt jetzt eine Studie.

Feierabend. Gerade schließt der Tierarzt seine Praxistür ab, da eilt noch ein kleines Mädchen mit seinem Kaninchen herbei und keucht: „Können Sie Hoppel noch untersuchen? Es ist ein Notfall!“ Im 2021 erschienenen Kinderbuch „Geschichten aus der Tierarztpraxis“ von Katja Reider, das diese Situation schildert, nimmt Tierarzt Doktor Katz sich daraufhin Zeit für eine Allgemeinuntersuchung und findet mit psychologischem Geschick sogar heraus, welche Sorge Hanna, die junge Patientenbesitzerin, ihm verschweigt. Später am Abend darf Hanna den Tierarzt noch einmal anrufen und ihm anvertrauen, dass alles nur „falscher Alarm“ war.

„Der Tierarzt ist der Schützer der Tiere, verhält sich immer liebevoll und gerecht, ist sozial und fachlich kompetent und genießt in der Gesellschaft hohes Ansehen“, fasst Katrin Borgsen zusammen, was sie in einer Studie über die Darstellung von Tierärztinnen und Tierärzten in aktuellen Kinderbüchern herausgefunden hat. Das Buch „Geschichten aus der Tierarztpraxis“ (Loewe Verlag) ist neben anderen erzählenden Werken wie „Tierklinik Pfötchen“ (Loewe, 2020) oder „Die kleine Tierärztin“ (Edition XXL, 2016) sowie mehreren Kindersachbüchern Gegenstand von Borgsens Studie. In die Untersuchung eingebunden wurden zwischen 2015 und 2021 erschienene Kinderbücher, die Tierärzte als zentrales, oft im Titel erwähntes Thema behandeln. Die insgesamt acht untersuchten Werke aus diesem Zeitraum richten sich vorwiegend an Kinder im Vor- und Grundschulalter.

Neueste Kinderbücher spiegeln den hohen Frauenanteil

Mit ihrer Studie, die auf dem DVG-Vet-Congress in Berlin vorgestellt wurde, aktualisiert Borgsen die Ergebnisse ihrer von Johann Schäffer an der Tierärztlichen Hochschule Hannover betreuten Dissertation aus dem Jahr 2015. Für die Doktorarbeit hatte Borgsen untersucht, wie Tierärzte in 31 Kinder- und Jugendbüchern – Erscheinungsjahr vorwiegend zwischen 1983 und 2014 – dargestellt wurden. Schon hier zeigte sich die Idealisierung der Berufsangehörigen als sozial und fachlich hochkompetente, selbstlose Helfer. Zudem zeichnete sich ein Trend ab, dessen Fortsetzung Borgsen nun auch in den neueren Werken feststellen konnte: „Der steigende Frauenanteil im Tierarztberuf wird etwa seit den 1990er Jahren zunehmend auch in Kinderbüchern abgebildet; diese Entwicklung hat sich jetzt noch einmal verstärkt.“ Während Borgsen in den Kinderbüchern des 20. Jahrhunderts noch manchen fachlichen Fehler fand, konstatiert sie für die allerneuesten Werke: „Vorgänge in der tierärztlichen Praxis werden oft vereinfacht, aber korrekt dargestellt.“

Hier kamen den Autorinnen und Autoren möglicherweise auch die neuen Recherchemöglichkeiten des Internets zugute. Die Kinderbuchautorin Katja Reider, jahrelang Pressesprecherin bei „Jugend forscht“ und zudem Autorin des 2021 erschienenen Werks „Geschichten aus der Tierarztpraxis“, erklärt, dass sie jeden schwierigeren Vorgang durch eine Online-Recherche überprüft und sich im Zweifelsfall auch bei Experten rückversichert. Dass die von ihr geschilderten Tierärzte so selbstlos, fürsorglich und sozial kompetent handeln, liege an ihren Erfahrungen mit eigenen Tieren und deren Tierärzten. „Außerdem denke ich, dass Kinder in die Lage versetzt werden sollten, zu Menschen in bestimmten Positionen in der Gesellschaft ein Vertrauensverhältnis aufzubauen “, sagt Reider. Dazu gehörten eben auch Tierärztin und Tierarzt. Das heiße aber natürlich nicht, dass Kinder ihnen gegenüber generell kritiklos sein sollen.

Auch Stress und Nervosität sollten gezeigt werden

Katrin Borgsens Ansicht nach sollte die stark idealisierte Darstellung von Tierärzten überdacht werden, wenn es um Werke für Kinder ab etwa zwölf geht. „Ich würde mir wünschen, dass Tierärzte in der Kinderliteratur auch als Menschen mit Schwächen gezeigt werden, die durchaus mal nervös oder gestresst sein dürfen“, sagt die Veterinärmedizinerin. „Tierärzte als Personen zu porträtieren, die nie an Grenzen stoßen – das finde ich schwierig, gerade in Werken für ältere Kinder und Jugendliche, die ja die Inhalte möglicherweise auch für ihre Berufswahl abspeichern und dann unrealistische Vorstellungen entwickeln.“ (Christina Hucklenbroich)

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