Image
Foto: ulianna19970 - stock.adobe.com
white puppy lick girl lips close up summer portrait

One Health

Zoonosen und Pandemien: Der Mensch ist Teil des Tierreichs

Professor Thomas Mettenleiter, Präsident des Friedrich-Loeffler-Instituts, hält den Festvortrag zur Eröffnung des digitalen DVG Vet-Congress.

Gäbe es einen Vortragssaal, er wäre gut gefüllt: Über 360 Zuhörer lauschen zum Kongress-Auftakt online dem Vortrag von Thomas Mettenleiter. Das Robert-Koch-Institut hat über 7.000 Neuinfektionen mit SARS-CoV-2 gemeldet, Berlin-Neukölln ist Risikogebiet und der ursprünglich als Hybrid-Event geplante Kongress muss nun komplett digital stattfinden. Mettenleiters Thema könnte aktueller nicht sein: Er spricht über "Pandemien, Panzootien und Disease X - die Bedeutung von One Health".

Seuchen sind Teil der Geschichte

Der Leiter des Friedrich-Loeffler-Instituts (FLI) gibt einen weitgefächerten Überblick über Pandemien und Panzootien, die unsere Geschichte prägen: Von Pest, Pocken und Spanischer Grippe bis zu Schweinegrippe, MERS und SARS. Auch reine Tierseuchen wie die Rinderpest und Vogelgrippe finden Erwähnung, bevor Mettenleiter sich einigen der Seuchen zuwendet, die uns momentan in Atem halten:

  • Geflügelpest (HPAIV H5N8): Eine Einschätzung des FLI von vor zwei Wochen stuft das momentane Risiko aufgrund des Vogelzugs als hoch ein. Biosicherheitsmaßnahmen sollten überprüft werden.
  • Afrikanische Schweinepest: Stand 16. Oktober wurden in Deutschland 69 Fälle registriert. Die Einschleppung erfolgte wahrscheinlich kontinuierlich über Wildschweine, erst kürzlich wurde auch auf polnischer Seite ein Fall in nur 7 Kilometer Entfernung von der Grenze festgestellt. Eine Ausbreitung in größeren, "menschgemachten" Sprüngen ist nicht ausgeschlossen, Mettenleiter mahnt weiterhin zu Wachsamkeit. Biosicherheit müsse in den Schweinebeständen jetzt größte Priorität haben, ob es zu einer Einschleppung in Hausschweinebestände komme, liege im Grunde in der Hand der Halter.
  • Influenza: Untersuchungen in europäischen Schweinebeständen ergaben, dass zahlreiche genetisch reassortierte Viren im Umlauf sind, die präpandemisches Potenzial haben.
  • West-Nil-Virus: Seit 2018 breitet sich das zoonotische Virus bei Vögeln, Pferden und Menschen in Deutschland aus.
  • SARS-CoV-2: Ein Virus, das von Fledermäusen auf den Menschen übersprang - wann, wo und wie bleibt unbekannt. In Deutschland besteht eine Meldepflicht bei Tieren, um die Relevanz dieser Infektionen einschätzen zu können. Bisher ist diese Relevanz hierzulande sehr gering. Aber anthropo-zoonotische Infektionen sind grundsätzlich möglich. Aus Pelzfarmen in den Niederlanden sind auch mindesten zwei Fälle bekannt, in denen sich Tierpfleger durch den Kontakt mit Nerzen infiziert haben.

Top Job:



Top Job:


Tierseuchen scheinen sich mehr denn je auszubreiten, das Zoonoserisiko wächst. Die Tierbestände global nehmen deutlich zu, auch weil wir immer mehr Menschen werden. Wir stellen eine gigantische Population dar, die Platz braucht, Ökosysteme verändert und in neue Regionen vordringt. Für Erreger sind wir eine riesige Wirtspopulation, "ein gefundenes Fressen".

Virchow: "Zwischen Tier- und Menschenarzneikunde sollte keine Scheidegrenze sein"

Der Gedanke, dass die menschliche Gesundheit mit der von Tier und Umwelt eng verbunden ist, ist nicht neu, aber vielleicht aktueller denn je. SARS-CoV-2 illustriert sehr gut, wie wichtig der One-Health-Ansatz ist. Grundsätzlich wächst aktuell in Öffentlichkeit und Politik das Bewusstsein für die Bedeutung von One Health. Doch Mettenleiter vermisst gerade in aktuellen Fragen immer wieder den Blick über den Tellerrand. Das zeigten die Diskussionen um angeblich nicht existierende Impfungen gegen Coronaviren – die es in der Veterinärmedizin ja durchaus gibt. Oder die Frage, ob veterinärmedizinische Labore humane Proben auf SARS-CoV-2 testen sollten. Statt alle zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu nutzen, wurden die Vetmed-Labore im Mai aus dem entsprechenden Gesetzesentwurf wieder herausgestrichen. Inzwischen würden zwar viele Veterinär-Labore testen, es sei aber eben keine Selbstverständlichkeit.

Mettenleiter zieht daraus das Fazit: "Es gibt noch viel zu tun in der Akzeptanz". Veterinärmediziner möchten zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen, ohne sie könne ein One-Health-Ansatz nicht funktionieren. Mit einem Augenzwinkern stellt der Redner fest: "Vielleicht haben wir One Health dann erreicht, wenn den Humanmedizinern klar ist, dass sie eigentlich auch Fachtierärzte für Menschen sind."

Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift

Professor Thomas Mettenleiter und Professor Franz Conraths, Friedrich-Loeffler-Institut, sind Herausgeber unseres Open-Access-Journals Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift. Inhaltlicher Schwerpunkt der renommierten Fachzeitschrift ist Veterinary Public Health, was alle dazugehörigen Fachgebiete wie Epidemiologie, Bakteriologie, Virologie, Pathologie, Immunologie und Mykologie mit einschließt. Publiziert werden Originalstudien, Übersichtsartikel und Fallberichte sowie Short Communications, die sich mit Haus-, Nutz-, Wild- oder Labortieren befassen. Darüber hinaus werden von den Herausgebern in regelmäßigen Abständen auch Sonderpublikationen zu Themen mit besonderer oder aktueller Relevanz zusammengestellt.

Image
Foto: REDPIXEL - stock.adobe.com

Interview

Eine Versicherung gegen Pandemien

Professor Albert Osterhaus, Veterinärmediziner und Virologe, hat schon seit Langem davor gewarnt, dass ein Virus die Speziesbarriere überwinden und eine Pandemie auslösen könnte. Er plädiert für mehr Investitionen in die Forschung.

Image
Foto: glisic_albina - stock.adobe.com

Kongresse und E-Learning

Fortbildung trotz Pandemie: So sammeln Tierärzte 2020/2021 ATF-Punkte

Online-Kongresse, Blended Learning und virtuelle Klassenräume: Neues lernen und Fortbildungspunkte sammeln geht auch in der Corona-Zeit.

Image
Auf dem Land herrscht Tierarztmangel. Das neue TAMG könnte für den Praxen neuen bürokratischen Aufwand bringen.
Foto: Monkey Business - Fotolia.com

Tierarzneimittelgesetz

Tierärzte fordern Wertschätzung ein

Der bpt-Kongress 2022 wird von Präsident Moder mit scharfer Kritik an der Politik der Bundesregierung eröffnet. Insbesondere neue Änderungen an den Plänen für das Tierarzneimittelgesetz sorgen für Empörung.