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Warum manchen manche Kaninchen Handstand? Carneiro et al. von der Universität Porto sind dem Rätsel auf die Spur gekommen.
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Warum machen manche Kaninchen Handstand? Carneiro et al. von der Universität Porto sind dem Rätsel auf die Spur gekommen.

Interview

Wenn Kaninchen Handstand machen …

Auch auf der diesjährigen DVG-Kleinsäuger-Tagung in Augsburg war dieses Thema vertreten. Die Redaktion der Kleintierpraxis hat bei der Vortragenden PD Dr. Kerstin Müller nachgefragt.

Wollen sich Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen schnell fortbewegen, laufen sie im Handstand – Schuld daran ist ein Gendefekt. Carneiro et al. (2021) kreuzten für ihre Studie Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen mit Kaninchen, die sich normal bewegen können. Die Ergebnisse zeigen, dass die Nachkommen, die sich nicht arttypisch bewegen können, eine Mutation im Gen RORB aufweisen. Wir haben bei PD Dr. Kerstin Müller, Leiterin der Abteilung Heimtiere der Freien Universität Berlin, nachgefragt.

In Ihrem Vortrag berichteten Sie von dieser ungewöhnlichen Gangart der Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen. Wann ist dieses Krankheitsbild zum ersten Mal erkannt worden?

PD Dr. Kerstin Müller: Anfang des 20. Jahrhunderts fielen in England, Italien und Frankreich Hauskaninchen auf, die sich nicht durch Hoppeln fortbewegten, sondern insbesondere bei einer schnelleren Gangart in den Handstand übergingen. Durch Zuchtversuche wurde frühzeitig klar, dass es sich dabei um einen autosomal-rezessiven Gendefekt handeln musste. In Frankreich wurde seit 1935 bis heute die Zucht solcher Kaninchen für Forschungszwecke aufrechterhalten und diese Kaninchen wurden aufgrund der Fortbewegung und ihres geografischen Ursprungs Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen genannt.

Carneiro et al. (2021) deckten auf, dass es sich um einen Gendefekt handelt – was hat es genau damit auf sich?


Top Job:


PD Dr. Kerstin Müller: Das RAR related orphan receptor B(RORB)-Gen ist für die physiologische (hoppelnde) Fortbewegung von Kaninchen verantwortlich. Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen haben eine Mutation, die dazu führt, dass Neurone des Rückenmarks weniger RORB-Rezeptoren aufweisen. Zudem weisen sie Defekte im Bereich der spinalen Interneuronen auf. Veränderungen dieses Gens können dazu führen, dass sich Tiere im Handstand fortbewegen.

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Wie viele Fälle haben Sie schon in der Klinik gesehen bzw. wie weit ist diese Problematik verbreitet?

PD Dr. Kerstin Müller: Wie weit die Mutation unter Heimtierkaninchen verbreitet ist, wissen wir nicht. Wir hatten die Gelegenheit, zwei Kaninchen zu untersuchen, die sich wie Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen fortbewegten und vergleichbare Augenveränderungen aufwiesen. Ob sie wirklich den Gendefekt hatten, können wir nicht sagen. Wir hoffen sehr, dass wir die Möglichkeit haben, dies zu klären. Wir sind dazu gerade in Kontakt mit Dr. Carneiro aus Portugal, der den Gendefekt der Sauteur-d‘Alfort-Kaninchen nachgewiesen hat.

Haben diese Kaninchen durch den Gendefekt weitere Probleme?

PD Dr. Kerstin Müller: Ja, und zwar erhebliche. Diese Tiere werden oft blind geboren, entwickeln Retinaveränderungen, Katarakte, Linsenluxationen, Glaukome, Entropium und Ektropium sowie bilaterale papillare Kolobome. Zudem ist bekannt, dass RORB-Rezeptoren auch in vielen Bereichen des Gehirns exprimiert werden, unter anderem im primären somatosensorischen, auditorischen, visuellen und motorischen Cortex sowie im Thalamus, den hypothalamischen Nuclei und der Hypophyse. Somit sind weitere Störungen vorstellbar. Bei einem unserer Tiere fielen Ausfälle einzelner Gehirnnerven sowie Verhaltensveränderungen auf, die nicht nur auf die Blindheit zurückzuführen waren.

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Leiden diese Tiere unter Schmerzen bzw. handelt es sich hierbei um eine Qualzucht?

PD Dr. Kerstin Müller: Nach meiner Einschätzung sind die Art der Fortbewegung sowie die Augenveränderungen eindeutig Zustände, die mit Leiden und Schmerzen einhergehen. Aus diesem Grund muss unbedingt verhindert werden, dass solche Tiere gezielt gezüchtet werden. Dass diese Mutation auch bei Heimtierkaninchen spontan auftreten kann, ist nicht nur durch unsere beiden Kaninchen belegt, sondern wird auch durch Recherchen auf YouTube untermauert.

Wenn Fälle in der Praxis auftreten, sollten diese gemeldet werden – wenn ja, wo?

PD Dr. Kerstin Müller: Um etwas über die Häufigkeit des Auftretens der Erkrankung zu erfahren, würden wir uns sehr freuen, wenn uns Fälle gemeldet werden. Meldungen, am besten mit Videomaterial und ein paar Daten zum Tier sowie Kontaktdaten der meldenden Person, können an Kerstin.Mueller@fu-berlin.de geschickt werden.

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