Bedrohliche Flammen, giftiger Rauch und Einsturzgefahr: Brennt der Stall, müssen die Tiere im Inneren so schnell wie möglich evakuiert werden. Doch Feuerwehrleute haben meist keine Erfahrung mit Großvieh und Landwirte sind bei einem Brand oft panisch und überfordert. Dann lässt sich die Rinderherde nur sehr zögerlich ins Freie treiben, querstehende Tiere blockieren alles, die Herde weicht in Sackgassen aus. Endlich aus der Gefahrenzone gebracht, drehen nicht selten einzelne Kühe um und rennen zurück ins Feuer. Sterben Tiere in den Flammen, gesellen sich zu dem dramatischen Verlust von Tierleben für den Landwirt häufig wirtschaftliche Schwierigkeiten. Die Versicherungen decken bei einem Stallbrand zwar die Gebäudeschäden ab, meist aber nicht den Verlust von Tieren oder die Kosten einer tierärztlichen Behandlung.
Forschung zu Stallbränden und der Evakuierung von Tieren gab es bisher kaum und auch viele Landwirte scheinen sich mit diesem Schreckensszenario lieber gar nicht erst beschäftigen zu wollen. Dabei kann es im Notfall ungemein helfen, auf ein durchdachtes, im Idealfall mit der Feuerwehr abgestimmtes Rettungskonzept zurückgreifen zu können.
Strategien für die Evakuierung von Milchvieh
Florian Diel, Promovend an der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf, und seine Kolleginnen und Kollegen im Verbundprojekt „Rettung von Großvieh bei Brandereignissen landwirtschaftlicher Gebäude in Holzbauweise“ (REGROBRA ) möchten ein übergreifendes Konzept zur Tierrettung im Brandfall entwickeln. Dabei konzentrieren sich die Forscher zunächst bewusst auf Milchvieh, denn hier scheint eine erfolgreiche Rettung noch am ehesten umsetzbar: Die Tiere sind das Handling gewohnt und die Ställe nicht in Einzelbuchten unterteilt. Gleichzeitig ist für Milcherzeuger die Gefahr großer Tierverluste gestiegen, denn neu gebaut werden oft sehr große Laufställe ohne Unterteilungen zum Brandschutz. Während andere REGROBRA-Teilprojekte sich mit brandschutztechnischen und stallbaulichen Maßnahmen wie gesicherten Fluchtkorridoren mit geringer Brandlast beschäftigen, wird in Weihenstephan-Triesdorf das Verhalten von Rindern bei Brandfällen erforscht – um daraus Strategien für eine schnelle und sichere Evakuierung abzuleiten.
Diel hat im Frühjahr 2021 zunächst eine Umfrage unter Landwirten, Feuerwehrleuten und Tierärzten gemacht, um zu erfahren, wie genau Stallbrände in der Praxis ablaufen. Im September folgte ein Evakuierungsversuch, in dem die Kühe unter Berücksichtigung nutztierethologischer Erkenntnisse zur Sinneswahrnehmung von Rindern ausgetrieben wurden – bei Nacht, im Beisein der lokalen Feuerwehr, die mit Blaulicht und Sirenen anrückte. Auf zusätzliche Stressoren wie kontrolliertes Feuer oder Rauch verzichteten die Forschenden. „Wir konnten überhaupt nicht absehen, wie panisch die Tiere werden und wollten zunächst vorsichtig sein“, erklärt Diel. Den Stresslevel der Tiere vor und nach dem simulierten Stallbrand wurde über Fäkale Cortisol-Metaboliten sowie über die Milchleistung erfasst.
Die Kühe im Versuch wurden in einem Laufstall des Staatsgutes Achselschwang, einem Versuchs- und Bildungszentrum für Rinderfütterung, ohne Weidegang im Laufstall gehalten. Diels Hypothese war, dass eine Gruppe von 23 Kühen, die er vor dem nachgestellten Stallbrand zehn Tage lang an den Austrieb auf die Weide gewöhnte, auch beim Austrieb in der simulierten Notsituation einen entscheidenden Vorteil haben würde. Tatsächlich verließen die an die Weide habituierten Kühen den Stall in deutlich kürzerer Zeit, als die anderen beiden Gruppen, die zuvor noch nie im Freien waren. „Unser Fazit ist, dass Betriebe mit Weide bei der Evakuierung einen Vorteil haben“, fasst Diel zusammen. „Die für mich wichtigere Erkenntnis aus unserem Versuch ist aber, dass auch die nicht habituierten Tiere mithilfe recht einfacher Maßnahmen zügig ausgetrieben werden konnten.“ Für eine der beiden Gruppen mit je 25 Kühen wurde zudem ein Treibgang verwendet, der sich jedoch weder auf den Stresslevel der Tiere noch auf die Geschwindigkeit der Evakuierung signifikant auswirkte.
Sicherer Austrieb bei einem Stallbrand
Diel griff bei der Gestaltung des Austriebs zum einen auf die wenigen Hinweise zurück, die es beispielsweise in einer Guideline der Confederation of Fire Protection Associations Europe (CFPA-Europe) zur Evakuierung von Tieren gibt. Zum anderen berücksichtigte er Erkenntnisse zur Sensorik der Kühe und die Arbeiten von Temple Grandin, die sich ausführlich und unter Tierwohl-Aspekten mit dem Handling und dem Treiben von Rindern in Schlachthöfen befasste. Zusammenfassend sollten bei der Evakuierung von Milchvieh folgende Aspekte berücksichtigt werden:
- Es reicht nicht aus, nur die Stalltüren zu öffnen und auf eine Selbstrettung der Tiere zu hoffen. Kühe ziehen grundsätzlich sogar unangenehme Situationen dem Unbekannten vor. Ein aktiver Austrieb ist nötig, damit sie den vertrauten Stall verlassen. Dabei muss die Sicherheit der Menschen natürlich immer oberste Priorität haben.
- Im Notfall sollte ein gerader Austrieb durch einen oder mehrere Ausgänge möglich sein, idealerweise an unterschiedlichen Seiten des Stallgebäudes. Substanzen mit erhöhter Feuer- oder Explosionsgefahr wie Futter, Einstreu oder Dünger sollten nicht in der Nähe dieser Ausgänge gelagert werden. Türen sollten sich nach außen oder zur Seite öffnen lassen und für Kühe laut CFPA eine Mindestbreite von 1,6 m haben. Seitengänge oder Sackgassen müssen vor dem Austrieb abgesperrt werden.
- Damit die Kühe schnell den Schritt ins Unbekannte wagen, sollte der Gang rutschfest sein und die Tiere müssen freie Sicht aufs Ziel haben. Rinderaugen adaptieren deutlich langsamer an veränderte Lichtverhältnisse als unsere Augen, die Tiere sollten also keinesfalls durch direktes Anleuchten geblendet werden. „Der erste Impuls der Feuerwehr ist es, das Brandobjekt auszuleuchten“, erklärt Diel. „Beim Austrieb sollte aber stattdessen das Ziel beleuchtet werden, zum Beispiel die Weide, wo die Kühe hingehen sollen.“ Die Strecke sollte gerade und frei einsehbar sein.
- Der Weg muss für die Tiere frei von Hindernissen sein. Diel nennt insbesondere die Gülleabwurfgitter, die in sehr vielen Ställen an den Ausgängen liegen. Sie sind für Kühe nicht passierbar. Eine einfache Abdeckung, die stets leicht erreichbar gelagert wird, kann hier unkompliziert Abhilfe schaffen.
- Vorab muss geklärt sein, wo sichere Flächen für die Tiere zur Verfügung stehen. Das kann außer einer Weide bzw. Wiese beispielsweise auch ein Fußballplatz sein. Um die Kühe in die richtige Richtung zu lenken und eine Flucht zurück in den vertrauten Stall zu verhindern, können Menschenketten mit Seilen oder Feuerwehrschläuchen optische Barrieren bilden. Die Schläuche sollten dabei hinter dem Körper gehalten werden, damit sie im Fall eines durchbrechenden Tieres schnell losgelassen werden können.
Diel und seine Kolleginnen und Kollegen haben im Laufe der Arbeit festgestellt, dass viele Landwirte sich nicht gerne mit der Thematik Stallbrand beschäftigen und entsprechend nicht gut auf den Notfall vorbereitet sind . „Ihnen möchte ich sagen: Verlieren Sie die Scheu, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Sie wecken keine schlafenden Hunde“, so Diel. Er empfiehlt unbedingt, sich über ein individuelles Rettungskonzept für den eigenen Betrieb Gedanken zu machen und hat dafür eine Checkliste entwickelt, die im Rahmen der Dissertation 2023 veröffentlicht wird. Auch die Feuerwehr sollte einbezogen werden und macht sich am besten bei einem Ortsbesuch ein Bild der Lage. Feuerwehrleute beklagten gegenüber den Forschenden häufig ihren Mangel an Erfahrung mit Großvieh, sodass im Rahmen von REGROBRA in Zukunft vermehrt Fortbildungen für die Feuerwehr angeboten werden sollen.
Stallbrände verhindern und frühzeitig erkennen
Angesichts der großen Tierverluste, über die im Zusammenhang mit Stallbränden immer wieder berichtet wird, und angesichts der Tatsache, dass sich eine Evakuierung bei Nutztieren häufig sehr schwierig gestaltet, kommt neben der Vorbereitung auf den Ernstfall vor allem der Brandprävention besondere Bedeutung zu. Welche Brandschutzmaßnahmen beim Stallbau vorgeschrieben sind, wird von der lokalen Behörde im Rahmen der Baugenehmigung festgelegt. Tierschutzorganisationen fordern strengere Vorschriften, Diel setzt eher auf Forschung und Aufklärung.
Im Rahmen seiner Umfrage fragte der Großtierpraktiker Landwirte auch nach Brandschutzmaßnahmen auf dem Betrieb. Wenig überraschend: In fast jedem Stall hängt ein Feuerlöscher, über kostspieliger Sprinkleranlagen verfügt fast kein Milchviehbetrieb. Verbesserungsbedarf gibt es bei Blitzableitern: Nur etwa die Hälfte aller Betriebe hat einen Blitzableiter am Stall, obwohl Gewitter wahrscheinlich verhältnismäßig häufig Brände auslösen. Brandmelder funktionieren im Stall nicht, sollten wegen der erhöhten Brandgefahr aber zum Beispiel im Technikraum hängen. Ein spannendes Thema für die zukünftige Forschung wäre das Verhalten von Kühen, wenn ein Brand gerade erst entsteht – da das Feuer meist erst später entdeckt wird, ist hierzu wenig bekannt. Denkbar wäre, dass eine zunehmende Unruhe der Kühe von Sensoren am Tier erfasst werden und als Alarmsignal dienen könnte.
Originalpublikation
Diel F, Rauch E, Palme R, Sauter-Louis C, Zeiler E (2022): Exploring the Evacuation of Dairy Cattle at Night in Collaboration with the Fire Brigade: How to Prepare Openings for Swift Rescue in Case of Barn Fire. Animals 2022, 1344. doi.org/10.3390/ani12111344