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Michael Brackhahn (rechts) und Charly Schlummer (links), das Maskottchen der Kinderanästhesiologie. 
Foto: Lydia van Dyck
Michael Brackhahn (rechts) und Charly Schlummer (links), das Maskottchen der Kinderanästhesiologie. 

Interview

Was macht ein Humanmediziner in der Tiermedizin?

Michael Brackhahn ist Facharzt für Anästhesiologie, aber immer wieder legt er auch Menschenaffen in Narkose.

Seine eigentliche Wirkungsstätte ist das Kinderkrankenhaus auf der Bult in Hannover. Aus einer unverbindlichen Anfrage des Zoo Hannovers und seiner unbefangenen Neugier entstand quasi eine interdisziplinäre Zusammenarbeit. Über seine Erfahrungen mit Primatennarkosen und den Austausch mit Tiermedizinern erzählt Michael Brackhahn in einem Interview.

Wie kam die Kooperation zwischen Ihnen und dem Zoo Hannover zu Stande?

Michael Brackhahn: Ein Mitarbeiter des Zoo Hannovers erinnerte sich, dass in den 70er Jahren ein Orang-Utan im Kinderkrankenhaus auf der Bult für sechs Monate aufgepäppelt und großgezogen wurde. Damals wusste der Zoo sich nicht anders zu helfen, heute sind die Möglichkeiten natürlich andere. Im Jahr 2014 stand dann im Zoo Hannover eine größere Untersuchungsreihe an Orang-Utans an. In diesem Zusammenhang kam eine Anfrage an unsere Station und ich war derjenige, der sagte: „Ja, das mache ich gerne.“ Seitdem bin ich dort in regelmäßigen Abständen bei Primatennarkosen dabei.

Was war ihre ursprüngliche Motivation sich auf die Zusammenarbeit einzulassen?

Brackhahn: Ich finde es wahnsinnig interessant mal etwas anderes zu machen. Aus der Zusammenarbeit mit anderen Fachrichtungen, ob mit kliniksinternen Spezialisten oder Tiermedizinern, lerne ich viel und finde es sehr bereichernd.

Was konnten Sie in der Tiermedizin lernen?

Brackhahn: Es ist das Arbeiten als Team, was in der Tiermedizin noch besser läuft, als es bei uns der Fall ist. Mir ist aufgefallen, dass die Zooveterinäre sehr darauf angewiesen sind, dass die Tierpfleger anwesend sind. Diese haben den meisten Kontakt mit den Tieren und versorgen die Veterinäre mit Informationen. Die Tierärzte gucken sich das Tier an und wissen dann, was gemacht werden muss. Bezüglich der Medikamente finde ich erstaunlich, dass es weitestgehend dieselben Wirkstoffe sind, mit unterschiedlichen Antworten an die Rezeptoren, je nach Tierart. Manchmal wünschte ich mir, dass die in der Tiermedizin verwendeten Konzentrationen an Medikamenten auch in der Humanmedizin freigegeben werden könnten.

Was sind Ihre Aufgaben, wenn ein Affe auf dem Behandlungstisch liegt?

Brackhahn: Wenn ein Tier nur sediert und nicht intubiert beatmet werden muss, bin ich im Fall von akuten Komplikationen die Rückfallebene. Im Vorfeld stehe ich für Fragen von Tiermedizinern des Zoos zur Verfügung. Bei Bronchoskopien und Operationen, wie bei den Orang-Utans, war ich der Humananästhesist neben der Veterinäranästhesistin. Wir haben uns abgesprochen, wie wir die Narkose führen und waren beide verantwortlich.

Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben ist?

Brackhahn: Letztlich die Narkosen mit den Orang-Utans. Ich fand alle drei Tiere waren sehr angenehme Patienten. Die achtstündige Operation war sicherlich am herausforderndsten. Gerade der Hin- und Rücktransport in den Operationssaal der Tierärztlichen Hochschule Hannover (TiHo) war auch logistisch sehr interessant.

Was haben Veterinärmedizin und Pädiatrie gemeinsam?

Brackhahn: Ich glaube, dass die große Gemeinsamkeit das Improvisationsvermögen ist. Ich bin davon überzeugt, dass wir in der Kinderanästhesie die improvisationsfreudigsten Anästhesisten von allen sind. Wir haben häufig nicht die passenden Materialien. Wir müssen uns dann überlegen, was wir benutzen können, was es so aber nicht gibt. Zudem haben auch wir mit unterschiedlichen Größenverhältnissen der Patienten zu tun. Bei den Tieren ist von Pferd bis Hamster alles dabei und in der Kindermedizin ist von sehr leichten (350 g) bis sehr schweren Patienten (198 kg) ebenfalls alles vertreten.

Worin bestehen die Unterschiede?

Brackhahn: Veterinäranästhesisten müssen ein viel größeres Spektrum an Wirkungsweisen von Rezeptoren und Rezeptorantworten abdecken. Sie können eben nicht en détail Bescheid wissen, wie es in der Humanmedizin der Fall ist. Wir haben nur mit einer Spezies zu tun und häufig ein tiefergehendes Detailwissen. Bei den Veterinäranästhesisten fasziniert mich, dass sie ein großes Basiswissen über sehr viele verschiedene Spezies haben. Darin liegt auch der große Unterschied. Wir haben keine Ahnung von den verschiedenen Rezeptorantworten der unterschiedlichen Spezies. Dafür ein sehr profundes Wissen, was die Anästhetika machen.

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Wie bewerten Sie die Zusammenarbeit und den Austausch mit Veterinären?

Brackhahn: Der Anspruch der heutigen Medizin ist der, dass wir unser Wissen bestmöglich anwenden. Durch die Wissenschaft gibt es immer mehr Ergebnisse und neue Methoden, welchen wir uns anpassen. Das ist der Punkt, in welchem ich immer wieder in Kontakt mit den Veterinäranästhesisten der TiHo bin. Ich habe bereits Vorträge auf dem DVG-Vet-Congress zum Thema „Möglichkeiten des Monitorings“ gehalten und ich werde vor allem gefragt, welche Geräte man nutzen kann. Ich denke schon, dass man durch diesen Austausch Ideen in Köpfe setzt. Das kann dazu führen, dass beispielsweise Geräte gekauft werden, von denen man vorher nicht dachte, sie zu benötigen. Wir verkaufen zum Beispiel alte Intensivrespiratoren an die TiHo, damit bestücken sie die Kleintier-Intensivstation. Gerade kam die Anfrage nach Kindergitterbetten und Wärmebetten. Wenn wir bei uns einen Generationswechsel der Monitore haben, können sie dadurch ihr Monitoring ausweiten.

Gab es denn einen jungen Michael Brackhahn, der gerne Veterinärmedizin studieren wollte?

Brackhahn: Als Grundschüler hatte ich mal überlegt Tiermedizin zu machen, da die Mutter eines Freundes Tierärztin war. Ich bin quasi in dieser Praxis groß geworden. Aber es war mir relativ klar, dass ich mit einer Tierhaarallergie keine Tiere behandeln kann. Ich bin sehr zufrieden in der Humanmedizin. Es ist ein Geben und Nehmen, das ist das, was ich immer sage. Jedes Mal, wenn ich mich mit den Kollegen unterhalte, lerne ich wahnsinnig viel dazu, egal ob menschlich im Team oder fachlich. Ich finde es unglaublich bereichernd, mal über den Tellerrand zu gucken.

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