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Foto: Maike Heppelmann

Der Praktische Tierarzt

Therapie von Knochensequestern an den distalen Gliedmaßen beim Rind

Der Praktische Tierarzt 101, 482–486

DOI: 10.2376/0032-681X-2009

Publiziert: 05/2020

Zusammenfassung

Knochsequester verursachen häufig tiefe, fistelnde, nicht heilende Verletzungen im distalen Gliedmaßenbereich des Rindes. Der Zeitpunkt der chirurgischen Entnahme muss gut gewählt sein – nicht zu früh und nicht zu spät.

Einleitung

Tiefe Verletzungen im distalen Gliedmaßenbereich beim Rind haben oft eine schlechte Heilungstendenz und stellen damit den behandelnden Tierarzt vor eine große Herausforderung. Sie fallen vor allem durch Fistelbildung mit andauernder eitriger Exsudation auf. Der fehlende Verschluss der Wunde wird in vielen Fällen durch einen in der Tiefe liegenden Knochensequester verursacht. Die konservative, antibiotische Behandlung dieser Tiere erfolgt häufig ohne Kenntnis des Knochensequesters und führt so höchstens zu einer vorübergehenden Besserung der klinischen Symptome (Hooper et al. 1991, Valentino et al. 2000).

Als Sequester wird ein Stück toter Knochen bezeichnet, der sich im Zuge einer Nekrose vom umgebenden Knochen separiert hat (Hirsbrunner et al. 1995, Hooper et al. 1991). Knochensequester entstehen durch traumatische Einwirkungen und/oder Infektionen des Periosts. Dadurch kommt es zu einer lokalen Ischämie der Kortikalis und folgender bakterieller Kolonisation, die in einer Nekrose und Sequestration des Knochens resultieren (Gift und DeBowes 1989, Jann et al. 1987). In seltenen Fällen wird die Ausbildung eines Sequesters infolge hämatogener Streuung beschrieben, die nicht mit offenen Wunden assoziiert sind (Valentino et al. 2000). Am häufigsten treten Knochensequester an den Röhrbeinen auf (Hirsbrunner et al. 1995, Valentino et al. 2000). Dies wird auf den fehlenden Schutz durch Weichteilgewebe und die erhöhte Anfälligkeit für Traumata zurückgeführt (Jann et al. 1987).

Dieser Artikel beschreibt Diagnostik und Therapie bei tiefen Verletzungen an den Gliedmaßen beim Rind mit Ausbildung eines Knochensequesters.


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Diagnostik

In der Bewegung können die Tiere eine gering- bis mittelgradige Lahmheit der betroffenen Gliedmaße zeigen. Hierbei ist nicht genau klar, ob die Lahmheit auf die ursprüngliche Verletzung oder auf die Ausbildung eines Knochensequesters zurückzuführen ist (Valentino et al. 2000). Die betroffene Umgebung weist in den meisten Fällen eine diffuse Umfangsvermehrung auf (Hirsbrunner et al. 1995). Diese kann im fortgeschrittenen Stadium aufgrund der periostalen Zubildungen eine derbe bis knöcherne Konsistenz annehmen. Bei genauerer Untersuchung der Wunde ist entlang des Fistelkanals in der Tiefe der Sequester sondierbar. Da ein Knochensequester nicht mehr vom Periost bedeckt wird, stellt sich die Oberfläche bei der Sondierung rau dar. Bei größeren Wunden ist in manchen Fällen die Grenze zwischen Sequester und gesundem Knochen sichtbar (siehe Abb. 1). Es sollte ausgeschlossen werden, dass durch die Verletzung Sehnen oder synoviale Strukturen, wie Gelenke und Sehnenscheiden, mit betroffen sind. Dies würde zu einer wesentlichen Verschlechterung der Prognose für das Tier führen.

Zur sicheren Diagnose eines Knochensequesters ist die röntgenologische Untersuchung in mindestens zwei Ebenen das Mittel der Wahl. Hierbei wird der Sequester durch eine Osteolyse, die sich als dünne, aufgehellte Linie darstellt, vom restlichen Knochen abgegrenzt (Jennin et al. 2011, Moens et al. 1980) (siehe Abb. 2 und 3). Auf dem angrenzenden gesunden Knochen sind je nach Dauer der Erkrankung periostale knöcherne Zubildungen ausgeprägt. Der Knochensequester selber kann keinen reaktiven Knochen auf seiner Oberfläche bilden (Jennin et al. 2011, Moens et al. 1980). Frühe röntgenologische Befunde im Zuge der Ausbildung eines Sequesters treten als lineare Aufhellungen an der Knochenoberfläche nach etwa sieben bis zwölf Tagen auf (Hooper et al. 1991, Moens et al. 1980). Allerdings empfiehlt Firth (1987) eine röntgenologische Untersuchung erst ab 20 Tagen nach dem Trauma, da sich in diesem Stadium auch kleinere Sequester sicher darstellen lassen und so unnötige Röntgenaufnahmen vermieden werden können.

In bakteriellen Kulturen der betroffenen Regionen konnten beim Rind als häufigste Erreger Trueperella pyogenes, Fusobacterium necrophorum und Escherichia coli nachgewiesen werden (Hooper et al. 1991, Valentino et al. 2000, Weaver 1972).

Therapie

In den meisten Fällen ist die chirurgische Entfernung des Knochensequesters die Therapie der Wahl (Clem et al. 1988, Gift und DeBowes 1989, Hooper et al. 1991, Jann et al. 1987). In seltenen Fällen kann es unter konservativer Therapie zu einer Resorption des Sequesters kommen. Allerdings erfordert dies eine langwierige antibiotische Behandlung. Die vaskuläre Stase und das nekrotische Material um den Knochensequester herum verhindern das Erreichen eines therapeutischen Levels des Antibiotikums und die Etablierung von Abwehrmechanismen (Clem et al. 1988, Firth 1987, Hooper et al. 1991). Valentino et al. (2000) empfehlen nach der Entstehung des Traumas einen zeitnahen Beginn einer systemischen Antibiose und ein entsprechendes Wundmanagement, um die Größe des entstehenden Sequesters zu reduzieren.

Der ideale Zeitpunkt für eine Sequesterotomie wird mit drei bis vier Wochen nach Verletzung bzw. Trauma angegeben. In den seltenen Fällen einer frühen Diagnose kann sich der Sequester zur Operation eventuell noch nicht genügend vom unterliegenden Gewebe gelöst haben. Führt man den Eingriff zu spät durch, kann es infolge von periostalen knöchernen Zubildungen und vorhandenem Granulationsgewebe zu Behinderungen kommen (Firth 1987).

Je nach Lokalisation des Sequesters sollten eine lokale und/oder allgemeine Anästhesie durchgeführt werden. Für eine lokale Schmerzausschaltung in den Bereichen distal des Karpus und des Tarsus kann eine intravenöse Stauungsanästhesie mit 30–50 ml Lokalanästhetikum erfolgen (Nuss et al. 2017). An den Hinterglied­maßen kann mithilfe einer hohen sakralen Epiduralanästhesie eine Schmerzausschaltung erreicht werden. Bei der Verwendung eines 2%igen Lokalanästhetikums (10 ml/100 kg KGW) kommt es allerdings zu einem motorischen Block und somit zu einem Verlust der Standfähigkeit (Nuss et al. 2017). Dies kann durch die Verwendung von Xylazin (0,1 mg/kg KGW) 20–30 ml aqua ad injectionem oder Kochsalzlösung bei den meisten Tieren umgangen werden (Heppelmann et al. 2019). Eine allgemeine Anästhesie wird mit einer Kombination von Xylazin (0,1 mg/kg KGW, intramuskulär), gefolgt von Ketamin (2–5 mg/kg KGW, intravenös) durchgeführt. Die Dauer der Injektionsnarkose kann durch weitere, niedrig dosierte Applikationen von Ketamin verlängert werden (Seddighi und Doherty 2016, Starke et al. 2009). Begleitend zur Sequesterotomie erfolgt eine allgemeine Antibiose über etwa eine Woche. Hierbei sollten Antibiotika verwendet werden, die gegen oben genannte Erreger wirksam sind, bspw. Amoxicillin. Zusätzlich sollte eine mehrmalige Gabe eines gängigen NSAIDs erfolgen.

Für die Durchführung einer Sequesterotomie ist ein Zugang mit einer guten Übersicht des Sequesters von Vorteil. Um den kontaminierten Fistelkanal zu entfernen, sollte dieser ellipsoid umschnitten werden (Gift und DeBowes 1989). Hierbei ist häufig auch eine Resektion von Granulationsgewebe bzw. pathologisch verändertem Weichteilgewebe nötig (Hirsbrunner et al. 1995). Zur Erleichterung der Orientierung der genauen Lage des Sequesters kann eine Röntgenaufnahme mit eingelegter Knopfsonde angefertigt werden (siehe Abb. 2). Behindern periostale knöcherne Zubildungen die Resektion des Sequesters, müssen diese entfernt werden. Dies kann z. B. mithilfe eines Meißels (Hirsbrunner et al. 1995), eines scharfen Löffels oder einer Fräse erfolgen. Abhängig vom Lösungsgrad des Sequesters kann unterschiedliches Instrumentarium für die eigentliche Sequesterotomie benutzt werden, bspw. können Osteotom oder Meißel zum Einsatz kommen (Gift und DeBowes 1989, Hirsbrunner et al. 1995). Zusätzlich zur Resektion des Sequesters wird eine chirurgische Kürettage des Wundbereichs empfohlen, um nekrotischen Knochen und pathologisch verändertes Gewebe zu entfernen. Hierbei sollte das angrenzende Periost des vitalen Knochens möglichst geschont werden (Gift und DeBowes 1989, Jann et al. 1987). Im Anschluss erfolgt eine gründliche Spülung der Wundhöhle mit physiologischer Kochsalz- oder Ringerlösung (Gift und DeBowes 1989, Hirsbrunner et al. 1995, Jann et al. 1987). Wenn ein Sequester die ganze Kortexbreite umfasst, wird im Zuge der Resektion die Markhöhle des Knochens eröffnet. Diese sollte bei Bedarf ebenfalls mit auskürettiert werden (Hirsbrunner et al. 1995). Zur Überprüfung, ob alle Fragmente des Knochensequesters entfernt worden sind, kann eine röntgenologische Kontrollaufnahme angefertigt werden (Valentino et al. 2000) (siehe Abb. 4). Die Wundhöhle ist mit einem Gazedrain auszutamponieren, der entweder aus der Wunde oder aus einer separaten Hautöffnung herausgeführt wird (Hirsbrunner et al. 1995). Grundsätzlich sollte ein primärer Wundverschluss erfolgen. Ist dieser nicht möglich, kann ein partieller Verschluss der Wunde bzw. eine sekundäre Wundheilung angestrebt werden (Gift und DeBowes 1989, Hirsbrunner et al. 1995) (siehe Abb. 5).

Nach der Resektion von kleineren Sequestern ist ein Druckverband ausreichend. Dieser soll die Wunde vor Kontamination und weiteren Traumata schützen (Jann et al. 1987). Bei der Entfernung größerer Knochensequester wird das Anlegen eines Stützverbandes empfohlen, da es sonst durch den Kortikalisverlust zu pathologischen Frakturen kommen kann bzw. um die Wundheilung nicht durch Bewegung zu stören (Hirsbrunner et al. 1995, Valentino et al. 2000). Bei sekundärer Wundheilung sollten bis zur Abheilung in regelmäßigen Abständen Verbandswechsel und Wundtoiletten durchgeführt werden (Gift und DeBowes 1989). Bei Stützverbänden kann der Wundbereich mit einer oszillierenden Säge gefenstert werden, um für Behandlungen einen Zugang zu erhalten.

Fazit für die Praxis

Kommt es infolge von tiefen Verletzungen im Gliedmaßenbereich zur Ausbildung eines Knochensequesters, stellt die röntgenologische Untersuchung das diagnostische Mittel der Wahl dar. In den meisten Fällen ist bei Vorliegen eines Sequesters eine Sequesterotomie indiziert. Hierbei nimmt ein adäquates Schmerzmanagement eine zentrale Rolle ein. Wird der richtige Zeitpunkt für die Sequesterotomie gewählt, stellt die Resektion des Sequesters keine große chirurgische Herausforderung dar. Bei kompletter Entfernung des Sequesters kommt es in den meisten Fällen zu einer zügigen postoperativen Heilung.

Conflict of interest

Die Autorin versichert, dass kein Conflict of interest besteht.

Ethische Anerkennung

Hiermit versichert die Autorin, während des Entstehens der vorliegenden Arbeit die allgemeingültigen Regeln Guter Wissenschaftlicher Praxis befolgt zu haben.

Über die Autorin: Maike Heppelmann

Bis 1999 Studium der Veterinärmedizin an der Tierärztlichen Hochschule Hannover. Seit 2002 Wissenschaftliche Angestellte an der Klinik für Rinder der Tierärztlichen Hochschule Hannover, 2004 dort Promotion zum Thema „Eitrige Klauengelenksentzündung beim Rind: Vergleich des Heilungsverlaufes nach Klauengelenksresektion mit plantarem Zugang und nach hoher Klauenamputation“. 2007 Anerkennung zur Fachtierärztin für Rinder, 2016 Erlangung der Venia Legendi für das Fachgebiet Rinderkrankheiten.

Korrespondenzadresse

Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover, Klinik für Rinder, Bischofsholer Damm 15, 30173 Hannover, maike.heppelmann@tiho-hannover.de

Literatur

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