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Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift

Privater oder öffentlicher Vernunftgebrauch? Zur Prüfung auf ethische Vertretbarkeit von Tierversuchsvorhaben

Public or private use of reason? On the Ethical Evaluation of Animal Experiments

Berliner und Münchener Tierärztliche Wochenschrift 131

DOI: 10.2376/0005-9366-17099

Publiziert: 06/2018

Zusammenfassung

Ob Tierversuche ethisch vertretbar sind, und wenn ja, in welchen Fällen, ist Gegenstand öffentlicher Debatte sowie moralphilosophischer Fachdiskussionen. Zugleich sind die genehmigenden Behörden damit beauftragt, Tierversuchsvorhaben auf „ethische Vertretbarkeit“ hin zu evaluieren, da diese eine Genehmigungsvoraussetzung darstellt. Die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit nimmt somit eine Zwitterstellung zwischen den Sphären von Ethik und Recht ein. Als Folge erscheint oft unklar, wie weit gesellschaftliche und ethische Verantwortung und Befugnisse im behördlichen Genehmigungsverfahren reichen können und sollten.
Mit der kantischen Unterscheidung zwischen einem privaten und einem öffentlichen Gebrauch der Vernunft können die Grenzen zwischen den Verantwortungsbereichen entwirrt werden. Der private Vernunftgebrauch entspricht dem durch rechtliche Vorgaben eingeschränkten Vernunftgebrauch, der im Genehmigungsverfahren gefordert ist. Öffentlicher Gebrauch von Vernunft ist hingegen nicht formal und rechtlich eingeschränkt. Die Frage nach der ethischen Vertretbarkeit erfordert beide Formen des Vernunftgebrauchs, ohne sie miteinander zu verwechseln oder aufeinander zu reduzieren. Welche Konsequenzen die kantische Unterscheidung für die Entscheidung über „ethische Vertretbarkeit“ im Behördenalltag haben kann, wird mit besonderem Augenmerk auf die Bewertung des Nutzens von Forschungsvorhaben ausgeführt. Dazu wird am Beispiel der Nutzenbewertung von Forschung an lebensstilbedingten Krankheiten gezeigt, wie die Beurteilung auf „ethische Vertretbarkeit“ nach sorgfältiger Unterscheidung zwischen öffentlicher Diskussion von Werturteilen und behördlicher Pflichterfüllung verlangt. Der hohe Anspruch an die ethische Rechtfertigung von Tierversuchen wird so nicht geschmälert, sondern durch die Klärung von Bedingungen und Zuständigkeiten gefördert.

Ethik
Recht
Güterabwägung
Nutzeneinstufung

Summary

Whether animal projects are ethically fungible, and if they are, in which cases, is a matter of both public debate as well as academic discussion in moral-philosophy. Also, the approving authorities are instructed to evaluate animal projects in light of their ‚ethical fungibility‘, as a prerequisite for their permission. The question of ethical fungibility therefore is situated in a hybrid position between ethics and law. Consequently, it often remains unclear as to how far social and ethical responsibility as well as authority in the evaluative action could or should reach. Applying Kant’s distinction between a public and a private use of reason can help to disentangle the limits of these two spheres of responsibility. The private use of reason corresponds to the use of reason that is determined by legal frameworks, as required in evaluative action. Public use of reason, in contrast, is not limited in neither formal nor legal regards. The question of ethical fungibility requires both forms of use of reason, without confusing nor reducing them with each other. The consequences of Kant’s distinction for the evaluation of ethical fungibility will be explained with a special focus on the evaulation of the proposed project’s benefit. The example of the evaluation of research on lifestyle-related diseases will show, how the evaluation of ethical fungibility calls for a careful distinction between public debate of normative judgements and official acquittal. The high requirement on ethical justification of animal projects is thereby not narrowed, but rather raised by a clarification of cognisance and conditions.

ethics
law
harm-benefit analysis
benefit assessment

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