60 Persönlichkeiten aus Bundestag, Bundesregierung (BMEL, BMG), Bundesbehörden (FLI, BVL, BfR), Universitäten, Tierärztekammern und Verbänden waren zum bpt-Neujahrsempfang gekommen. Aus Europa mit dabei auch die beiden Präsidenten der tierärztlichen Spitzenverbände, Dr. Rens van Dobbenburgh (FVE) und Dr. Piotr Kwiecinski (UEVP) sowie die Präsidenten der beiden anderen Heilberufe, Dr. Klaus Reinhardt (Bundesärztekammer) und Prof. Christoph Benz (Bundeszahnärztekammer). In seinem Keynote-Vortrag zum Thema „One Health – wo stehen wir?“ machte BÄK-Präsident Dr. Reinhardt deutlich, dass Gesundheitsthemen seit der Corona-Pandemie erfreulicherweise in der Politik wieder mehr Beachtung finden und unterstrich, dass im Zusammenhang mit einer zunehmenden Weltbevölkerung das enge Zusammenwirken von Human- und Tiermedizin von großer Bedeutung sei. Deshalb seine klare Botschaft in Richtung Tierärzteschaft: „Wir müssen mehr als in der Vergangenheit miteinander reden und werden das auch tun.“
Bürokratiemonster statt tierärztlicher Bestandsbetreuung
Wie zuletzt bei der Eröffnung des bpt-Kongress 2022 in Hannover (siehe bpt-info 1/23) wählte Dr. Moder auch bei dieser Gelegenheit klare Worte, um die anhaltende Missachtung der fachlichen bpt-Expertise bei Tierschutz- und Tiergesundheitsthemen zu kritisieren. Obwohl bei dem Ende des letzten Jahres verabschiedeten Tierarzneimittelgesetz (TAMG) sämtliche Fachverbände im Vorfeld darauf hingewiesen hatten, dass das Gesetz mit Blick auf die Bekämpfung von Antibiotikaresistenzen nicht zielführend ist, wurde das Tierarzneimittelgesetz von der Ampel-Koalition dennoch verschärft, sogar über EU-Vorgaben hinaus.
Top Job:
Früher als andere EU-Länder beginne Deutschland bereits zum 1. Januar mit einer Meldepflicht für den Antibiotikaeinsatz bei allen Rindern, Schweinen und Geflügelarten. Problem dabei sei, dass der Staat die dafür notwendige Meldestruktur noch nicht geschaffen hat, Tierärzte/-innen aber rechtlich verpflichtet sind, die Daten ab sofort zu übertragen. Um alle Daten bis zum 30. Juni nachzutragen, entstehe in den Tierarztpraxen ein immenser bürokratischer Aufwand, und das alles bei einem eklatanten Mangel an Nutztierpraktikern. Der bpt lehne deshalb das Nachtragen von Daten bis zur Etablierung einer Meldestruktur ab und plädiert stattdessen dafür, die knappe Zeit der Tiermediziner besser für die Behandlung kranker Tiere zu nutzen.
Die mit Blick auf Tiergesundheit und Tierschutz viel sinnvollere und nach EU-Recht eigentlich schon seit zwei Jahren verpflichtende gesetzliche Regelung der tierärztlichen Bestandsbetreuung werde stattdessen wieder auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Dabei wäre der regelmäßige Bestandsbesuch die einfachste und effektivste Maßnahme, um auch weiterhin den von der Politik gewünschten Beitrag zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung realisieren zu können. „Angesichts der positiven Entwicklung der Resistenzlage in der Tiermedizin in Europa und der erreichten Reduktion des Einsatzes von Antibiotika in der Nutztierhaltung in Deutschland, hätte es diesen Gesetzesschnellschuss nicht gebraucht“, so Moder und erinnert daran, dass „die beeindruckende Antibiotikareduktion nur mit und nicht gegen die Tierärzteschaft erreicht werden konnte.“
Der Vorsitzende des Bundestagsausschuss für Ernährung und Landwirtschaft, Hermann Färber (CDU), nutze die Gelegenheit, um den Tierärztinnen und Tierärzten für ihren wichtigen Beitrag für Tierschutz, Tiergesundheit und Lebensmittelsicherheit zu danken. Vielleicht wäre es hilfreich, so Färber mit leichter Ironie um Unterton, die Dokumentationen bis zur Fertigstellung der Meldeinfrastruktur einfach an die Stelle zu schicken, von der man glaubt, dass sie die richtige ist. Unterstützung wurde von ihm bei der gesetzlichen Verankerung der Bestandsbetreuung zugesagt, weil das Know-How der Tierärzte/-innen für den Umbau der Tierhaltung wichtig ist. Dr. Franziska Kersten (SPD), eine von zwei Tierärztinnen im Bundestag und Schirmherrin der Veranstaltung, gab in ihrem Grußwort zu erkennen, den zusätzlichen Bürokratieaufwand unterschätzt zu haben, machte aber auch deutlich, dass vieles europarechtlich nicht anders machbar war und z.B. die Prüfung der Maßnahmenpläne durch einen zweiten Tierarzt/in ja auch durch einen Tierarztkollegen/in der eigenen Praxis erfolgen könne.
Nachwuchssorgen werden verschärft
Die Politik müsse endlich begreifen, so Moder, dass die mit unausgegorenen Gesetzen in Gang gesetzte Entwicklung darüber hinaus gehende Konsequenzen habe, denn Tierärztinnen und Tierärzte wenden ihrem Beruf immer mehr den Rücken zu, geben auf oder werden krank. „Die anfänglich vorhandene Begeisterung für die Arbeit an und mit den Tieren geht immer mehr über in Frust, weil für die Tiermedizin, wie für die Humanmedizin die Wertschätzung der Politik fehlt und die Bürokratie immer mehr Zeit frisst, die man eigentlich lieber am Patienten/ Tier verbringen würde“, so Moder. In anderen Bereichen locken oft bessere Arbeitsbedingungen und mehr Wertschätzung.
Um auch in Zeiten von Tierärztemangel handlungsfähig zu bleiben, forderte Moder erneut mehr Flexibilität beim Arbeitszeitgesetz. „Es kann doch nicht sein, dass motivierten Kolleginnen und Kollegen gesetzliche Knüppel in den Weg gelegt werden, die selbst ihre Arbeitszeit z.B. wegen weiter Anfahrt zur Arbeit oder für eine bessere Organisation in der Familie flexibel bestimmen wollen.“ Seine Forderung mit Blick auf die am Folgetag stattgefundene Debatte zur Fachkräftestrategie im Bundestag: „Die Tierärzteschaft braucht von der Politik schnelle Hilfe und flexible Wochenarbeitszeiten, um auch weiterhin einen flächendeckenden Notdienst und den regulären Praxisbetrieb darstellen zu können“.
One Health gemeinsam angehen
Ein weiteres One-Health-Thema, gerade auch mit Blick auf die beiden anwesenden Spitzenvertreter der Heilberufe, war der zur Jahreswende angekündigte Gesetzesvorschlag von Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach zur Begrenzung des Einflusses von Finanzinverstoren in der Medizin. Präsident Dr. Moder merkte dazu an, dass „die jungen Berufsträger/-innen heute vielfach angestellt arbeiten wollen, und sich immer weniger selbständig machen.“ Mangelnde Vorbereitung auf die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Praxisführung im Studium, überbordende Bürokratie und fehlende Rechtssicherheit führten dazu, dass immer mehr Praxen schließen müssen, weil sie keine Nachfolgeregelung finden. Investoren füllten dann vielfach diese Lücke. Damit der Patient/ Tierhalter aber eigenverantwortlicher entscheiden könne, müsse vor allem mehr Transparenz geschaffen werden. Deshalb unterstütze der bpt den Vorschlag der Zahnärzteschaft für einen verpflichtenden Ausweis der Eigentümerstruktur z.B. auf dem Praxisschild, Homepage etc. (Heiko Färber)