Kliniksterben und Versorgungslücke
In Regensburg schließt die ehemalige Klinik Anicura Haslbach seit dem Sommer um 23 Uhr, am Wochenende bereits um 22 Uhr ihre Türen. Der Klinikstatus wurde abgegeben. Die Entscheidung fiel sehr kurzfristig, sodass die Tierärztinnen und Tierärzte in der Stadt schnell einen Notdienst organisieren mussten, der nun zumindest die Wochenenden abdecken kann. Unter der Woche müssen Tierbesitzer in der Nacht etwa 1 ¼ Stunden bis zur nächsten Klinik in München oder Nürnberg fahren.
„Das war keine leichte Entscheidung“, berichtet auf dem bpt-Kongress Mag. Eva Matthes, die gemeinsam mit Dr. Sandra Vanthienen die Klinik leitet. Die Klinik sei seit ihrer Eröffnung noch nie auf einem Personalstand gewesen, der ein wirklich angenehmes Arbeiten möglich gemacht hätte. Kurzfristig sei das Regensburger Team durch mehrere Kündigungen in eine Lage geraten, in der alle auf dem Zahnfleisch gingen und es keine andere Alternative blieb, als das Pensum herunterzufahren. Für die benachbarten Kliniken und die ansässigen Kolleginnen wie Dr. Anette Gürtler stieg dadurch natürlich der Druck und unter den Tierhaltern kam es zu einem veritablen Shitstorm.
Regensburg ist kein Einzelfall: Laut bpt-Geschäftsführer Heiko Färber können in Deutschland 10.000 bis 15.000 offene Stellen nicht besetzt werden. Nachdem bereits zahlreiche Kliniken den Klinikstatus abgegeben haben, um nicht mehr 24 Stunden Notdienst abdecken zu müssen, gibt es noch etwa 160 Kleintier- und Pferdekliniken. Nicht wenige davon scheinen ebenfalls kurz davor zu stehen, ihre Klinikzulassung abzugeben.
Notdienst ist Pflicht – sowohl ethisch als auch gesetzlich
In der Öffentlichkeit wird der Berufsstand daran gemessen, wie er mit Tieren in Not umgeht. Und kein Kollege fühlt sich wohl damit, seine Klientel unversorgt zu wissen. Dabei geht es nachts nicht um eine große Anzahl von Patienten. Aber die Tiere, die um 3 Uhr nachts in die Klinik kommen, brauchen meist schnelle Hilfe: Typische Fälle sind Hunde mit Magendrehung oder Patienten mit Atemnot, die plötzlich dekompensieren. Neben der ethischen Pflicht zur Hilfe schreiben auch fast alle Heilberufsgesetze in Deutschland eine Notdienstverpflichtung für Tierärzte fest. Einzige Ausnahme ist NRW, wo die Tierärztekammer momentan überlegt, als Teil eines Maßnahmenpakets für den Notdienst ebenfalls einen solchen Passus aufnehmen zu lassen.
Ideen für die Nacht und das Wochenende
In der Diskussionsrunde auf dem bpt-Kongress 2021 DIGITAL wurde der Ernst der Lage sehr deutlich. Aber es kamen auch zahlreiche Lösungsansätze zur Sprache: Am Beispiel Regensburg sowie mit dem Thüringer Tierarztnotruf wurden neue Ideen zur Organisation von Notdienstringen vorgestellt. Es wird wohl kein Weg daran vorbeiführen, dass kleinere Praxen sich wieder verstärkt am Notdienst beteiligen.
Dr. Johanna Kersebohm, Tierärztin an der Tierklinik Neandertal, stellte ein Triage-System vor, mit dem die Klinik seit einem Monat den Zugang für Patienten zum Notdienst filtert: Weniger dringende Fälle werden auf lange Wartezeiten vorbereitet oder können sich alternativ einen Termin zu den normalen Sprechstundenzeiten geben lassen. Denkbar sei ein solches Modell auch in Form einer Videosprechstunde.
Telemedizin zur Triage nutzt auch Nicki Daw, eine der Direktorinnen der britischen Klinik Vets Now (IVC Evidensia). Die reine Nachtklinik hat keine eigenen Räumlichkeiten. Wird es Abend, übernimmt ein Nachtdienst-Team in den Partnerkliniken, die nur tagsüber arbeiten. Vets Now bringt eigenes Personal, eigene Medikamente, sogar ein eigenes Telefonsystem mit und arbeitet komplett unabhängig. Stationäre Patienten der Tages-Klinik werden mitversorgt.
In der Nachtklinik werden die Mitarbeiter besser bezahlt als tagsüber. In Deutschland soll die Notdienst-GOT für einen besseren Verdienst im Notdienst sorgen, um wieder Personal zu finden. Weitere Anreize für die Arbeit in der Nacht könnten ein besserer Freizeitausgleich sein und die Chance, mehr Gelegenheit zum Operieren oder selbstbestimmtem Arbeiten zu haben als tagsüber.
( Momentan erhalten laut einer kürzlich durchgeführten Umfrage 60 Prozent der Angestellten nicht einmal die gesetzlich vorgeschriebenen Notdienst- und Wochenendzuschläge. Hier lesen Sie mehr.)
Tiere in Not brauchen tierärztliche Hilfe. Bei allen Schwierigkeiten muss der Berufsstand Lösungen finden, die das auch in der Nacht und am Wochenende sicherstellen. Dazu braucht es Kollegialität, aber auch Unterstützung aus der Politik und von den Tierhaltern – letztlich ist die medizinische Versorgung im Notfall, auch in der Veterinärmedizin, ein gesamtgesellschaftliches Anliegen.
Sammlung von Artikeln rund um die Notdienstkrise
Aktuelle Artikel aus allen tiermedizinischen Fachgebieten, News und Tipps zum Praxismanagement gibt es im kostenlosen vetline.de-Newsletter. Jetzt anmelden!