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Ob Kette oder kleine Praxis: Laut der Einschätzung von Kim Merl haben alle Tierärzte mit ähnlichen Baustellen zu kämpfen.
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Ob Kette oder kleine Praxis: Laut der Einschätzung von Kim Merl haben alle Tierärzte mit ähnlichen Baustellen zu kämpfen.

Interview

„Wir haben alle mit den gleichen Problemen zu kämpfen!“

Seit der Markteinführung von AniCura in Deutschland ist Tierärztin Kim Merl (geb. Heintel) mit an Bord. Heute betreut sie als Regionalmanagerin acht Klinikstandorte in Süddeutschland. 

Sieben Jahre und viel Wachstum: Vor allem im Süden und Westen Deutschlands steht auf immer mehr Kleintierkliniken der Name AniCura. Tierärztin Kim Merl gehört quasi zum Inventar des zentralen Teams der Klinikgruppe und hat bereits drei Positionen für das Unternehmen ausgeführt. Was sind die Aufgaben einer Regionalmanagerin und wie arbeitet das operative Team eines solchen Tierarztriesen?

Frau Merl, wie sind Sie zu AniCura gekommen?

Kim Merl: Ich habe nach dem Studium zwei Jahre in der Kleintiermedizin gearbeitet und relativ zügig gemerkt, dass ich meine Zukunft nicht in der Praxis sehe. Im November 2014 habe ich dann als Trainee bei der kleinen Ravensburger Firma Vetnetzwerk angefangen, einer Unternehmensberatung für Tierärzte. Die Firma wurde 2015 von AniCura übernommen und ich habe für drei Monate in einer größeren Klinik als Klinikmanagerin gearbeitet. Als klar war, wie sich AniCura in Deutschland strukturieren möchte, bin ich dort dann ins zentrale Team gewechselt. Das war eine spannende Zeit mit vielen Gestaltungsmöglichkeiten, denn wir hatten ja noch gar nicht viel in der Hand. Da herrschte tatsächlich Start-Up-Mentalität. 

Wie ging es dann weiter?


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Merl: Wir haben die Kliniken von M&A  bekommen und in die Unternehmensgruppe integriert, viele rechtliche Fragen geklärt und uns bei den Tierärzten vorgestellt. Die ersten vier Jahre waren wir im zentralen Organisations- und Managementteam tatsächlich nur zu viert. Drei Jahre später waren wir im zentralen Team bereits auf 25 Mitarbeiter angewachsen, gleich stark ist zudem noch mal die Buchhaltung besetzt. Die Gruppe hat stark expandiert und vor allem im Süden und Norden gibt es inzwischen viele AniCura-Standorte. Wenn man auf die Deutschlandkarte blickt, fällt allerdings eine dominante L-Form auf. Diese entsteht dadurch, dass wir kammerabhängig sind und die Tierärztekammern bestimmter Bundesländer bis heute nicht akzeptieren, dass Kliniken an Corporates verkauft werden und damit auch der geschäftsführende Tierarzt oder die geschäftsführende Tierärztin Angestellte sind. In Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen bestehen daher noch weiße Flecken. 

Was sind Ihre Aufgaben als Regionalmanagerin?

Merl: Wir Regionalmanager schlagen die Brücke zwischen den Funktionsbereichen des zentralen Teams (z. B. Marketing, Personal) und den Kliniken. Gemeinsam mit einem weiteren Kollegen berate und unterstütze ich die Standorte der AniCura in Süddeutschland in den unterschiedlichsten Belangen administrativer und wirtschaftlicher Art. Hierfür sind wir im ständigen Kontakt und auch regelmäßig vor Ort, um zu verstehen, wo die individuellen Probleme liegen. Gemeinsam mit dem Klinikleiter versuchen wir die Kliniken gut aufzustellen, was z. B. die Arbeitsbedingungen und das Sicherstellen von Qualität angeht. Da wir von außen auf die Dinge schauen und die Arbeitsweisen unterschiedlicher Standorte kennen, können wir oft andere Dinge sehen, für die die Mitarbeiter vielleicht betriebsblind sind und dann Hilfe zur Selbsthilfe leisten oder ein „Best-Practice-Share“ anbieten. Wenn es an Personal mangelt oder ein neuer Kollege vorgestellt werden soll, bringe ich auch mal einen Kollegen aus dem Recruiting oder Marketing mit. So können wir uns alle viel mehr Zeit für unsere Kernkompetenzen nehmen.

Können Tierbesitzer mit dem Begriff Klinikkette etwas anfangen?

Merl: Für den Besitzer steht ja bei der Übernahme einer Klinik durch die Gruppe erstmal nur ein neuer Name an der Tür, während die Menschen in der Klinik die gleichen bleiben. Natürlich haben wir mitunter Investitionen getätigt und neue Geräte angeschafft, was dann wiederum neue Kunden angezogen hat. Und aus der Humanmedizin sind die Menschen auch damit vertraut, dass es Krankenhäuser verschiedener Klinikketten in verschiedenen Städten gibt, die auch nicht alle ein und dasselbe anbieten. Es macht zum Beispiel keinen Sinn, alle Standorte gleich auszustatten und überall ein CT hinzustellen. Grundsätzlich geht es also absolut nicht darum, ein „McDonalds für Tierärzte“ zu kreieren. Die Individualität jedes Standortes bleibt erhalten bei gleichzeitiger Nutzung von Vorteilen, welche die Zugehörigkeit im Klinikverbund bietet.

Haben Ihre Standorte mit ähnliche Problemen zu kämpfen oder gibt es regionale Unterschiede?

Merl: Viele Themen sind schon die Gleichen. Überall gilt es die Arbeitszeitregelungen gesetzeskonform zu gestalten und zu überprüfen. Es bestehen Listen für Arbeitsabläufe, die dann nicht abgehakt werden. Überall besteht Personalmangel und die Schwierigkeit, Mitarbeiter zu binden. Vielleicht bekommen die Standorte in Uninähe mal die ein oder andere Bewerbung mehr, aber in der Regel können sich die jungen sowie die erfahrenen Tierärzte ihre Jobs aussuchen. Das ist ein übergreifendes Thema in der ganzen Branche, wobei Gruppen eventuell mit ein paar Vorteilen aufwarten können, die kleinere Praxen so nicht in petto haben.

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Gibt es weitere Vorteile, die nicht nur auf Berufseinsteiger zutreffen?

Merl: Ja natürlich. Wir haben des Weiteren sogenannte „Medical Interest Groups“ mit internen Chaträumen im Intranet ins Leben gerufen. Hier können Mitarbeiter, die mit ihrem Latein am Ende sind, per App und im geschlossenen Rahmen Fälle besprechen, was gerne genutzt wird. Wir haben in unseren Reihen viele gute Redner, die auf Fort-und Weiterbildungen gerne ihr Fachwissen weitergeben. Und last but not least: Die Tiermedizin ist weiblich. Wir können als Regionalmanager oder zentrales Team tolle Jobsharing-Modelle entwickeln, für die sonst im Regelbetrieb einer Klinik kaum Zeit bleibt. Derzeit übernimmt so eine Doppelspitze von zwei Tierärztinnen die Leitung einer Klinik, eine von beiden bekommt in zwei Monaten ihr erstes Kind. In der Schwangerschaft konnte sie sich optimal im Büro einarbeiten. Nach dem Mutterschutz will sie kurze Zeit später wieder aus dem Homeoffice und vor Ort im Einsatz sein.   

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Kim Merl ist seit der Markteinführung von AniCura in Deutschland im Unternehmen. 
Foto: privat 
Kim Merl ist seit der Markteinführung von AniCura in Deutschland im Unternehmen. 

Was sind die größten Learnings aus den letzten Jahren bei AniCura?

Merl: Ich habe gelernt mit Gruppendynamiken umzugehen und die Erfahrung gemacht, dass Veränderungen unabhängig davon, wie überzeugt ich von ihnen bin, häufig erstmal auf Skepsis stoßen. Wenn ich z. B. Abläufe verändern möchte, brauche ich zunächst das Vertrauen des Teams und muss diesem auch die Zeit geben, neue Dinge anzunehmen. Und: Nicht überall funktionieren die gleichen Maßnahmen. Mir hat es immer geholfen, offen zu kommunizieren, mich viel auszutauschen und vor allem auch zuzuhören. Für die gesamte Branche hoffe ich, dass Tierärzte alte Scheuklappen abstreifen und sich mehr öffnen, z. B. für die Fortbildungsveranstaltungen auf Englisch, neue Arbeitszeitmodelle oder den Sprung in die digitale Welt! Marketing muss nicht viel Geld kosten, der Tierärztealltag liefert doch eigentlich die besten Stories. 

Kennen Sie schon den neu gegründeten Bundesverband tiermedizinisches Praxismanagement? Dieser möchte das Berufsbild schärfen und sucht noch weitere Mitgliederinnen und Mitglieder. 

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