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Zunehmende Antibiotikaresistenzen sind eine der größten Bedrohungen für die öffentliche Gesundheit.

Resistenzbekämpfung

Das EU-Parlament hat kein Antibiotika-Verbot beschlossen

Der Einsatz der Tierärzteverbände und ihrer Mitstreiter war erfolgreich: Es wird zum jetzigen Zeitpunkt kein grundsätzliches Verbot für von der WHO als äußerst kritisch eingestufte Antibiotika in der Tiermedizin geben. Doch in der scharf geführten Debatte geriet die Tierärzteschaft in ein falsches Licht.

Das EU-Parlament hat am 16. September über einen Nachfolge-Rechtsakt zur neuen EU-Arzneimittelverordnung 2019/6 abgestimmt. Das Gesetz ist als Ergänzung zur Arzneimittelverordnung zu verstehen und legt fest, anhand welcher Kriterien entschieden wird, welche Antibiotika ausschließlich dem Menschen vorbehalten sein sollen. Hier haben wir die Hintergründe erläutert.  Angenommen wurde ein Vorschlag der European Medical Agency, abgelehnt wurde ein Antrag des EU-Abgeordneten Martin Häusling bzw. des Umweltausschusses des EU-Parlaments (ENVI). Häusling wollte die Anwendung der von der WHO als äußerst kritisch eingestuften Antibiotika in der Veterinärmedizin verbieten. Der Bundesverband praktizierender Tierärzte (bpt) und die Bundestierärztekammer (BTK) zeigen sich erfreut über die Entscheidung, der bpt spricht von einem „guten Tag für die Antibiotika-Resistenzbekämpfung“.

Scharfe Debatte um das Antibiotika-Verbot

Tierärzteverbände und -gesellschaften, allen voran der Bund praktizierender Tierärzte (bpt) und auf internationaler Ebene die FVE, hatten sich energisch gegen das Antibiotika-Verbot gewehrt.

(Hier haben wir zahlreiche offene Briefe und Stellungnahmen zum Antibiotika-Verbot aus der Tierärzteschaft zusammengetragen.)


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Der bpt startete eine emotionale Unterschriftenkampagne, die innerhalb von nur vier Wochen von 643.733 Tierärztinnen und Tierärzten, Tierhalterinnen und Tierhaltern unterschrieben wurde. Das Hauptargument: Der Antrag des ENVI hätte die adäquate Versorgung kranker Tiere gefährdet, ausdrücklich auch die von Haustieren und Pferden. 

Häusling hingegen betonte, sein Ziel wäre ein Antibiotikaverbot in der Massentierhaltung, nicht der Behandlung einzelner Hunde, Katzen oder Pferde. Unterstützung für den ENVI-Antrag gab es vom Weltärzteverband und der Bundesärztekammer. Deren Präsident Dr. Klaus Reinhardt sagte: „Es geht hier um Menschenleben. Es steht zu befürchten, dass es bald keine wirksamen Reserveantibiotika für die Behandlung von schweren Erkrankungen bei Menschen mehr geben wird.“

Dem bpt wurde in der Debatte vorgeworfen, Fake News zu verbreiten und aus rein wirtschaftlichem Interesse an dem Einsatz kritischer Wirkstoffe in der Massentierhaltung festzuhalten. Auch wenn das EU-Parlament jetzt gegen das Verbot entschieden hat, steht zu befürchten, dass in der Öffentlichkeit ein schiefes Bild der Tierärzteschaft zurückbleibt.

Kleiner Faktencheck

Warum hätte das vom ENVI geforderte Antibiotika-Verbot Haustiere überhaupt betroffen?

bpt-Geschäftsführer Heiko Färber sagte bei einer Pressekonferenz nach dem Parlamentsentscheid: „Den Vorwurf der Desinformationskampagne weisen wir zurück. Letztlich haben wir den Finger in die Wunde gelegt, in die Schwachstelle.“  Der Nachfolge-Rechtsakt, über den jetzt im EU-Parlament entschieden wurde, kann bestimmte Wirkstoffe nur für alle Tiere verbieten. Ausnahmeregelungen für Einzeltierbehandlungen müssten in der Basisverordnung 2019/6 festgeschrieben sein. Diese Verordnung wurde aber bereits 2019 nach jahrelangen Verhandlungen verabschiedet, jede Änderung würde eine erneute europaweite Abstimmung erfordern. In der EU schien der politische Wille zu fehlen, diese Verordnung neu zu fassen.

Könnten bei Tieren statt der wenigen kritischen Wirkstoffe nicht andere Antibiotika eingesetzt werden?

Die WHO-Liste nennt 32 Wirkstoffklassen, von denen nur vier verboten werden sollten. Das klingt zwar wenig, doch werden von den 32 ohnehin nur 14 in der Veterinärmedizin eingesetzt. Das Wirkstoffspektrum ist unterschiedlich, ein komplettes Verbot der Polymyxine, Makrolide, Fluorquinolone sowie Cephalosporine der 3. und 4. Generation hätte zu Therapielücken geführt, beispielsweise bei der Therapie septischer Pneumonien oder einer Nierenbeckenentzündung beim Hund. 

Und wie sieht es mit dem Antibiotika-Einsatz bei Nutztieren aus?

Im Rahmen der Debatte war fälschlicherweise zu hören, Antibiotika würden in der Massentierhaltung prophylaktisch oder gar als Leistungsförderer bei gesunden Tieren eingesetzt. Das ist jedoch bereits verboten. Möglich ist nur die metaphylaktische Behandlung einer ganzen Tiergruppe, in der nur einige Tiere erkrankt sind – weil es z.B. in Geflügelherden praktisch gar nicht durchführbar ist, Einzeltiere zu therapieren.

Insgesamt wurde der Antibiotikaeinsatz in der Veterinärmedizin in den letzten Jahren bereits deutlich reduziert. „Wenn jemand bewiesen hat, dass wir versuchen, mit Antibiotika verantwortungsvoll umzugehen, dann ist es die deutsche Tierärzteschaft“, meint Färber vom bpt. Auch BTK-Präsident Dr. Uwe Tiedemann betont: „Insbesondere die Tierärzteschaft hat bereits in den vergangenen Jahren zu einer deutlichen Reduktion des Antibiotikaeinsatzes beigetragen. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen, auch weiterhin Umsicht und Vernunft bei der Anwendung dieser wichtigen Substanzen walten zu lassen“.

bpt-Präsidiums-Mitglied und Nutztierpraktiker Dr. Andreas Palzer plädiert aber auch dafür, die Diskussion um Wirkstoffverbote bei Nutztieren ehrlich zu führen. „Solange es noch Leute gibt, die Fleisch essen, muss die Gesellschaft entscheiden, ob kranke Tiere behandelt werden oder ob wir sie im Krankheitsfall töten wollen“, sagt er.  Als Tierarzt sei sein Ethos natürlich: „Ich will das behandeln können.“

One Health: Resistenzen gemeinsam minimieren

Das Ziel des ENVI-Antrags, den Einsatz von Antibiotika deutlich zu reduzieren, um dadurch Antibiotika-Resistenzen zu minimieren, unterstützt die BTK ausdrücklich. Doch während die Bundesärztekammer die von der EMA erarbeiteten Kriterien für Reserveantibiotika für „völlig unzureichend“ hält, sagt die BTK, das Ziel der Resistenzminimierung  würde vom jetzt angenommen Gesetzesentwurf der EMA klar verfolgt. Dabei würden wissenschaftliche Erkenntnisse aus Human- und Veterinärmedizin berücksichtigt, anstatt ausschließlich die menschliche Gesundheit in den Fokus zu stellen, wie es die WHO-Kriterien tun. So sieht es auch der bpt und hätte sich in der Debatte vor der Parlamentsabstimmung mehr Kommunikation mit Politik und Ärztevertretern gewünscht. Gesprächsangebote seien jedoch nicht angenommen worden.

Nicht nur die momentane Pandemie sollte uns gelehrt haben: Die Gesundheit von Mensch und Tier ist sehr eng miteinander verbunden. Die Wirksamkeit von Antibiotika zu erhalten, ist für uns alle von enormer Bedeutung, dafür sind Expertise und Anstrengungen aus Human- und Tiermedizin unverzichtbar.

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