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Kuh auf Wiese in der Abendsonne

Inhaltsverzeichnis

Nachfolger gesucht

Tierarztmangel auf dem Land

Leben und arbeiten, wo Fuchs und Hase sich gute Nacht sagen – das können sich immer weniger Tierärzte vorstellen.

In einigen Gegenden Deutschlands und Österreichs ist ein Engpass bereits Wirklichkeit, perspektivisch droht insbesondere strukturschwachen Gebieten ein Mangel an Tierärzten.

Auf dem bpt-Kongress im Oktober 2019 suchten bei einem Roundtable Redner aus Politik und Tiermedizin nach Ursachen und Lösungen. Norwich Rüße, die Grünen, hat im Landtag Nordrhein-Westfalen einen Antrag mit dem Titel „Dem Tierärztemangel im ländlichen Raum wirksam begegnen“ gestellt, in dem er verschiedene Maßnahmen wie eine GOT-Reform vorschlägt. Auch Hans-Joachim Fuchtel, CDU, Parlamentarischer Staatssekretär bei der Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, sieht Parallelen zum Thema Ärztemangel im ländlichen Raum und versprach in München, das Problem anzugehen.

Landtierärzte suchen dringend Nachfolger


Top Job:


Schon heute werden zu viele Nutztiere durch zu wenige Tierärzte versorgt. Doch noch wird das Ungleichgewicht durch den enormen Arbeitseinsatz von Praktikern der alten Schule kaschiert. In den nächsten Jahren steht jedoch ein Generationswechsel an. In Österreich ist mehr als die Hälfte der Nutztierpraktiker bereits über 50 Jahre alt, so das Ergebnis einer Studie zur veterinärmedizinischen Versorgung dort, die Dietmar Gerstner, Vizepräsident der Österreichischen Tierärztekammer, auf dem Münchener Kongress vorstellte. Vermutlich ist die Situation in Deutschland ähnlich. Holger Vogel, Präsident der Tierärztekammer Mecklenburg-Vorpommern und des Bundesverbands der beamteten Tierärzte, weiß, wie schwierig es sein kann, einen Nachfolger zu finden. Er berichtet, tierärztliche Praxen auf dem Land seien praktisch nicht verkäuflich und damit auch kein Teil der Altersvorsorge mehr. Viele jüngere Kollegen ziehen ein Angestelltenverhältnis der Selbstständigkeit vor und sind nicht mehr bereit, stets im Dienst zu sein. Setzt sich auf dem Dorf ein Tierarzt zur Ruhe, kann schnell eine Versorgungslücke entstehen. Der niedersächsische Nutztierpraktiker Matthias Link sieht einen enormen Bedarf an Tierärzten auf uns zukommen: „Wir haben jahrelang für zwei gearbeitet. Bei einer 40-Stunden-Woche bräuchte man zwei Tierärzte, um einen von uns zu ersetzen. Vier, wenn in Teilzeit gearbeitet wird. Diese Rechenaufgabe ist zu lösen.“

Aus Studenten werden oft keine Praktiker

Auf einen Tiermedizin-Studienplatz kommen noch immer vier Bewerber, doch nicht einmal die Hälfte der Absolventen arbeitet später als praktizierender Tierarzt. Die Vorstellungen der Studienanfänger vom künftigen Beruf scheinen dem Praxistest nicht standzuhalten. Eine Befragung mit Auszählen der Handmeldungen ergab: Während 70–80 Prozent der Erstsemester in die Praxis gehen möchten, streben das nur noch etwa 40 Prozent der Absolventen an. Erleben die Studenten im Praktikum, dass eine 60- bis 80-Stunden-Woche für einen Nutztierarzt Normalität ist, wirkt das abschreckend, fürchtet Rinderpraktiker Matthias Link. Dabei sind die Studenten laut Thomas Göbel, Studiendekan an der Tierärztlichen Fakultät der LMU München, hochmotiviert und „Nutztier“ ist in München die beliebteste Schwerpunktklinik.

Werden die Falschen für das Studium ausgewählt? Das Zulassungsverfahren hat gerade eine Reform hinter sich, die dazu führte, dass die Abiturnote noch mehr Gewicht bekam. Vermutlich ist es eher kontraproduktiv, andere Qualifikationen nur wenig zu berücksichtigen, wenn man auf der Suche nach zukünftigen Landtierärzten ist. Die tiermedizinischen Fakultäten wurden jedoch vor der Reform überhaupt nicht befragt, berichtete Göbel. Doch auch er weiß kein Patentrezept, um unter den vielen Bewerbern auf einen Studienplatz diejenigen zu finden, die nachher eine Landtierarztpraxis führen könnten.

Zu viel Arbeit, zu wenig Geld

Für Norwich Rüße von den Grünen sind bessere Verdienstmöglichkeiten der entscheidende Punkt, um Tierärzte aufs Land zu locken. Früher war es üblich, dass die Praktiker über die Schlachttier- und Fleischuntersuchung sowie die Tierseuchenbekämpfung ein einträgliches Zubrot hatten. Heute ist die Zahl der regionalen Schlachtbetriebe drastisch zurückgegangen und die meisten Tierseuchen sind erfreulicherweise getilgt. Der Verdienst ist geringer, die Verantwortung und der Dokumentationsaufwand sind gestiegen. Auch in der kurativen Praxis nimmt die Dokumentation stetig zu. Doch ist es mit einer GOT-Reform getan? Ein Tierarzt aus dem Münchener Publikum beklagt die Anhäufung nicht anrechenbarer Leistungen, die sich als Verdienstminderung auswirke – in seinen Augen ein Diebstahl von Lebenszeit. Und Dietmar Gerstner gibt zu bedenken: „Niemand erwartet, dass die Humanmedizin sich selbst finanziert.“ Für bestimmte Leistungen im Bereich Public Health könnte es Gelder aus öffentlicher Hand geben – um eine gute tierärztliche Versorgung im Sinne von Tier- und Verbraucherschutz aufrechtzuerhalten.

Doch selbst bei gutem Verdienst bleibt der Job unattraktiv, wenn es auf dem Land weder schnelles Internet noch Betreuungsmöglichkeiten für Kinder gibt oder Busse, um sie in die Schule zu fahren. Wer Tierärzte und andere Fachkräfte auf‘s Land locken möchte, wird die Infrastruktur stärken müssen.

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