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Mittelkettige Triglyzeride als Nahrungsergänzung zum Management von Epilepsie: neue Ergebnisse aus Studien an Mensch, Hund und Nagern

Obwohl zahlreiche Antiepileptika zur Verfügung stehen, bieten diese bei Mensch und Hund bei ungefähr einem Drittel der Epilepsien eine unzureichende Anfallskontrolle.

Hintergrund

Viele Studien zeigen, dass es bei Patienten mit bestimmten Epilepsieformen in epileptogenen Hirnarealen zu Störungen im Glukose- und somit Energiestoffwechsel kommen kann. Die Energie aus dem Glukosemetabolismus ist entscheidend für die Aufrechterhaltung normaler Gehirnfunktionen, einschließlich des Gleichgewichts von Ionen sowie des Stoffwechsels und Transports von Neurotransmittern wie Glutamat. Dementsprechend kann ein Energiedefizit zu Störungen des Ionengradienten und daraus resultierend zum Auslösen neuronaler Depolarisation und dem Entstehen von Krampfanfällen führen. Die gestörte Glukoseverarbeitung in epileptogenen Hirn­arealen legt besondere Ansprüche und Bedürfnisse von Tieren und Menschen mit Epilepsie bezüglich ihrer Ernährung nahe, sie profitieren unter Umständen von alternativen Energielieferanten neben Glukose. Ketogene Diäten liefern die Ketonkörper Aceto­acetat und β-Hydroxybutyrat, die das Gehirn möglicherweise als Hilfsenergiequellen nutzen kann.

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Es wurde die bestehende Datenlage zu mittelkettigen Triglyzeriden und Fettsäuren sowie ketogenen Diäten ausgewertet, unter besonderer Betrachtung der berichteten Verträglichkeit bei 65 % der Menschen, der Effektivität in Studien an Hunden, möglicher antikonvulsiver Wirkmechanismen, insbesondere von Caprinsäure, sowie metabolischer und antioxidativer Wirkungen.

Ergebnisse

Die ausgewerteten Daten lassen auf drei Mechanismen der eingeschränkten Energienutzung in betroffenen Hirnarealen von Epileptikern schließen. Es kommt zu einer Beeinträchtigung der Energiegewinnung aus Plasmaglukose via Glykolyse, zu einer eingeschränkten Nutzbarkeit der aus Glukose bereitgestellten Kohlenstoffe infolge einer reduzierten Aktivität des Zitratzyklus und der Pyruvatdehydrogenase und zudem zu einer reduzierten Produktion von Aminosäuren- und Lipidvorstufen, die für die strukturelle Integrität sowie Reparaturvorgänge im Gehirn somit nicht zur Verfügung stehen.

Die Bereitstellung von mittelkettigen Triglyzeriden und Fettsäuren sowie Ketonkörpern scheint die ATP-Produktion zu verbessern und ermöglicht so eine Kohlenhydrat-unabhängige Energieversorgung. Sowohl Ketonkörper als auch mittelkettige Fettsäuren können ohne die Beteiligung der Pyruvatdehydrogenase in den Zitratzyklus eingeschleust werden und so über die direkte Energiebereitstellung zu einer Anfallsreduktion beitragen. Es wird außerdem angenommen, dass ketogene Diäten zusätzlich zu einer Erhöhung der Mitochondrienanzahl sowie der mitochondrialen Funktion führen und somit zu einer Steigerung der zerebralen Energiereserven beitragen. Ursächlich wird eine Aktivierung von protektiven Transkriptionsfaktoren wie beispielsweise PPAR-γ2 (Peroxisome proliferator-activated receptor-γ2) vermutet, diesem werden zusätzlich antioxidative Wirkungen zugeschrieben. Ein weiterer Wirkmechanismus könnte in der erhöhten Synthese von inhibitorischen Neurotransmittern (beispielsweise GABA) aus dem Ketonkörperstoffwechsel liegen, die eine antikonvulsive Wirkung über die Reduktion der neuronalen Erregbarkeit bewirken. Außerdem könnte es zu einer Erhöhung der Tryptophankonzen­tration im Gehirn kommen, dieses wird zu NAD+ metabolisiert und hat so möglicherweise ebenfalls Auswirkungen auf den zerebralen Energiestoffwechsel. Auch ein Antagonismus am AMPA-Rezeptor und somit eine direkte inhibitorische Wirkung auf die exzitatorische Neurotransmission ist möglich. Da es sich hierbei um Ergebnisse aus In-vitro-Studien handelt, ist die Tragweite dieser Wirkmechanismen in vivo nur schwer abzuschätzen.

Klinisch konnte bei ungefähr der Hälfte der Kinder und Erwachsenen mit bestimmten Formen von Epilepsie, die die genannten diätetischen Maßnahmen vertragen und einhalten, die Anfallshäufigkeit effektiv reduziert werden. Neuere Daten zeigen zudem, dass der Zusatz von mittelkettigen Triglyzeriden, welche die mittelkettigen Fettsäuren Caprylsäure und Caprinsäure sowie Ketonkörper als alternative Energielieferanten bereitstellen, in Anfallsstudien an Nagern, bei Hunden und Menschen mit Epilepsie vorteilhaft sein kann. Je nach Studie konnte die Anfallshäufigkeit bei circa der Hälfte der Hunde um mehr als 50 % reduziert werden, einige Hunde blieben sogar anfallsfrei.

Schlussfolgerung und klinische Relevanz 

Zusammenfassend stellen der Zusatz von mittelkettigen Triglyzeriden und mittelkettigen Fettsäuren sowie eine ketogene Diät als diätetische Maßnahmen eine vielversprechende Ergänzung zur klassischen Pharmakotherapie bei Menschen und Hunden mit Epilepsie dar. Ihrer antikonvulsiven Wirkung liegen vermutlich direkte und indirekte sowie metabolische und antioxidative Effekte zugrunde. Sie könnten ein leichteres Management mit weniger engmaschiger Überwachung und größeren Kontrollintervallen als bei bisherigen Medikamenten ermöglichen. Bislang zeichnen sie sich durch eine gute Sicherheit und ausreichende Verträglichkeit sowie das Ausbleiben zentralnervöser und kardiovaskulärer Nebenwirkungen im Vergleich zu aktuellen Antiepileptika aus. Es bedarf größerer klinischer Studien an Kindern, Erwachsenen und Hunden, um die ideale Zusammensetzung und Dosierung der mittelkettigen Triglyzeride und die am besten ansprechenden Epilepsieformen zu identifizieren. Auch ein potenzieller Nutzen bei degenerativen Erkrankungen des zentralen Nervensystems ist denkbar. 

Originalpublikation
Han FY, Conboy-Schmidt L, Rybachuk G, Volk HA, Zanghi B, Pan Y, Borges K (2021): Dietary medium chain triglycerides for management of epilepsy: New data from human, dog, and rodent studiesEpilepsia 62:1790–1806.
doi.org/10.1111/epi.16972.

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