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bpt | Kategorisierung von Antibiotika

Mangelnde Rücksichtnahme auf Gesundheit und Wohlergehen von Tieren

EU-Abgeordnete lehnen wissenschaftliche Expertise ab: Über den von der EU-Kommission vorgeschlagenen delegierten Rechtsakt über „Kriterien für die Einstufung antimikrobieller Mittel, die für die Behandlung bestimmter Infektionen beim Menschen vorbehalten sind“ wurde im zuständigen Ausschuss für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (ENVI) des EU-Parlaments am Dienstag, den 13. Juli, abgestimmt.

Während die meisten Mitgliedsstaaten den nach wissenschaftlichen Kriterien von der Europäischen Arzneimittelbehörde (EMA) in Abstimmung mit der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA), dem Europäischen Zentrum für Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC), der Welttiergesundheitsorganisation (OIE) und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) erarbeiteten echten One-Health-Vorschlag befürworteten, haben einige Abgeordnete des Europäischen Parlaments, insbesondere der Fraktion der Grünen, den Entwurf auf den letzten Metern zu Fall gebracht.

In einem fehlgeleiteten Versuch, die Verwendung von Antibiotika für den menschlichen Gebrauch zu schützen und die Zunahme antimikrobieller Resistenzen einzudämmen, hatten sie kurzfristig einen Entschließungsantrag eingebracht, um die Kriterien noch strenger zu gestalten und so ein weitreichendes Verbot des Antibiotikaeinsatzes bei Tieren zu erreichen. Mit 38 Ja-Stimmen zu 18 Nein-Stimmen und 22 Enthaltungen wurde dieser Antrag in der Ausschusssitzung des ENVI am 13. Juli angenommen.

Im Vorfeld der sich abzeichnenden Entscheidung hatte sich der Bundesverband praktizierender Tierärzte e.V. (bpt) u. a. auch mittels Pressemitteilung an die Öffentlichkeit gewandt. bpt-Präsident Dr. Siegfried Moder machte darin deutlich, dass die Abgeordneten offenbar das Problem verkannt hätten, dass Antibiotikaklassen, die auf die Reserveliste gesetzt werden, nicht nur für lebensmittelerzeugende Tiere verboten werden, sondern für ALLE Tierarten, also auch für Hunde, Katzen, kleine Heimtiere, Exoten, Pferde und Zootiere, und keine Ausnahmen zulässig sind. Er wies darauf hin, dass die Zahl der verschiedenen Antibiotikaklassen, die für die Verwendung bei Tieren zur Verfügung stünden, im Vergleich zu denen, die in der Humanmedizin verfügbar sind, ohnehin sehr eingeschränkt sei. Die Auferlegung zusätzlicher Beschränkungen ohne stichhaltige wissenschaftliche Argumente über die im delegierten Rechtsakt definierten Kriterien hinaus führe zu einem erheblichen Therapienotstand und habe damit schwerwiegende Auswirkungen auf die Tiergesundheit und das Wohlergehen der Tiere und potenziell auch auf die öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit.

Er machte detailliert deutlich, dass als Folge einer Ablehnung des Vorschlags von EMA und EU-Kommission bestimmte bakterielle Infektionen nicht mehr ordnungsgemäß und fachgerecht behandelt werden könnten und es auch nahezu unmöglich wäre, zoonotische Erkrankungen durch multiresistente (“Multidrug-resistant”, MDR) Bakterien zu behandeln, die ein besonderes Risiko für die öffentliche Gesundheit darstellen, einschließlich Leptospirose, Infektionen mit Staphylococcus aureus, Escherichia coli, Salmonella spp. und Campylobacter spp.. Bei Haustieren wären z. B. häufig vorkommende, lebensbedrohliche Infektionen wie Lungenentzündung, Pyometra, Peritonitis, Pleuritis und Hautinfektionen nicht mehr behandelbar; bei Fohlen die Behandlung von Rhodococcus-equi-Infektionen, Septikämien und einiger Wundinfektionen nicht mehr möglich. Auch könnten viele Infektionen bei kleinen Heimtieren, Reptilien und Exoten nicht mehr therapiert werden, da eine Vielzahl antimikrobieller Wirkstoffe wegen Unverträglichkeit nicht angewendet werden können oder sogar toxisch wirken.


Top Job:


Um weiterhin eine ordnungsgemäße und gezielte Behandlung zu ermöglichen, sei es wichtig, dass die praktizierenden Tierärztinnen und Tierärzte eine Reihe von verschiedenen Antibiotikaklassen weiterhin zur Verfügung haben. Durch den Einsatz des ‚richtigen‘ Antibiotikums bei einer bakteriellen Erkrankung könne, nach Erstellung einer tierärztlichen Diagnose und ggf. eines Antibiogramms, eine Resistenzbildung vermieden werden. Die Beschränkung auf wenige Antibiotikaklassen erhöhe den Selektionsdruck und führe zu einer noch schnelleren Entwicklung von Resistenzen. Im Übrigen habe die Tiermedizin durch eine 60-prozentige Senkung der Antibiotikamengen gezeigt, dass man seit Jahren verantwortungsvoll mit der Resistenzproblematik umgehe und Antibiotika nur gezielt für eine notwendige Therapie einsetze. Dies gelte auch auf europäischer Ebene. Der Kampf gegen antimikrobielle Resistenzen (AMR) sei eine Gemeinschaftsaufgabe der Human- und Tiermedizin, die nicht nur zu Lasten der Tiere gehen könne.

bpt-Präsident Moder wies weiter darauf hin, dass der in der Abstimmung stehende delegierte Rechtsakt ein Paradebeispiel für einen One-Health-Ansatz sei, da er auf dem wissenschaftlichen Gutachten der EMA basiere, das Expertenmeinungen sowohl auf Seite der menschlichen Gesundheit wie auch auf Seite der Tiergesundheit berücksichtigt. Aus diesem Grund empfehle die WHO bei der Kategorisierung von Antibiotikaklassen nachdrücklich, dass jegliche Einschränkungen unter Berücksichtigung der Kategorisierung eines Antibiotikums für die Tiergesundheit durch die OIE beschlossen werden sollte. Er sei deshalb höchst verwundert, dass einige EU-Abgeordnete, anstatt wissenschaftlich fundierte Argumente rechtzeitig in den rund acht Jahre (!) andauernden Gesetzgebungsprozess einzubringen, jetzt am Ende im Rahmen eines Ausführungsrechtsakts eine rein politisch motivierte Entscheidung erzwingen wollen. Er forderte deshalb das EU-Parlament eindringlich auf, seine Entscheidung nicht auf politische, sondern auf wissenschaftliche Kriterien der EMA zu stützen und den vorgeschlagenen delegierten Rechtsakt anzunehmen.

Trotz all dieser Fakten wurde anders entschieden. Festgestellt werden muss, dass der Beschluss im ENVI eine klare Missachtung des in der EU etablierten wissenschaftsbasierten Entscheidungsfindungsprozesses darstellt und die wiederholten Aufrufe der eigenen Behörde ignoriert, antimikrobielle Resistenzen mit dem One-Health-Ansatz zu bekämpfen. Über die Interessen derer, die den delegierten Rechtsakt abgelehnt haben, kann nach Moders Ansicht nur spekuliert werden. Es hat zumindest den Anschein, als ob die einen damit das Ende der konventionellen Tierhaltung forcieren wollen, obgleich die Verbesserung von Tiergesundheit und Tierschutz nicht in den Anwendungsbereich der Tierarzneimittelverordnung fällt, und die den Entschließungsantrag unterstützenden humanmedizinischen Verbände von der im humanmedizinischen Bereich selbst verursachten Resistenzproblematik ablenken wollen.

Der bpt gibt sich dennoch nicht geschlagen. Er wird auf jeden Fall gemeinsam mit seinen europäischen Partnerverbänden den Kampf für einen wissenschaftsbasierten One-Health-Ansatz in den nächsten Monaten fortsetzen und sich dabei auf die Plenarabstimmung im September konzentrieren. (Astrid Behr, bpt.behr@tieraerzteverband.de)