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Inhaltsverzeichnis

Der Praktische Tierarzt

Kombination aus primärer Rekonstruktion und perinealer Urethrostomie zur Versorgung eines vollständigen Urethraabrisses bei einem Kater

Primary reconstruction and perineal urethrostomy in a complete traumatic proximal urethral rupture in a male cat

Der Praktische Tierarzt 102, 454-463

DOI: 10.2376/0032-681X-2120

Publiziert: 05/2021

Zusammenfassung

Ein einjähriger Kater wurde mit einer unilateralen Iliosakralgelenksluxation und vollständigen proximalen Urethra­ruptur vorgestellt. Die Urethraruptur wurde aufgrund initial fehlender eindeutiger Hinweise verzögert diagnostiziert, konnte aber schließlich durch die Kombination einer primären Rekonstruktion mit einer perinealen Urethrostomie erfolgreich versorgt werden. Die Urethrostomie ermöglichte die Platzierung eines großlumigen Katheters, welcher postoperativ eine vollständige Umleitung des Urins und gleichzeitig eine Schienung der urethralen Anastomose ermöglichte. Diese Technik führte zur Heilung der rekonstruierten Urethra ohne Ausbildung einer Striktur.

Urethraruptur
perineale Urethrostomie
Uroabdomen
Urethrarekonstruktion
Striktur

Summary

A one year old male cat was presented with a unilateral iliosacral luxation and a complete proximal rupture of the urethra. The urethral defect was diagnosed with a delay due to the inital lack of clinical symptoms and hints in diagnostic imaging. The urethra was primarily repaired and the anastomosis postoperatively protected with a large diameter catheter which required a perineal urethrostomy for placement. This combination of primary repair and adequate postoperative protection and urine diverson allowed healing of the urethra without stricture formation.

urethral rupture
perineal urethrostomy
uroabdomen
urethral repair
stricture

Einleitung

Urethraverletzungen bei Katzen sind selten und treten infolge von Autounfällen, Beckenfrakturen, Bissverletzungen und Harnsteinen auf oder werden durch Katheterisieren iatrogen verursacht (Anderson et al. 2006, Aumann et al.1998, Boothe 2000, Selcer 1982). Man unterscheidet partielle Verletzungen von vollständigen Rupturen der Urethra. Komplette Abrisse sind fast immer traumatisch bedingt und betreffen zumeist den proximalen Aspekt der Harnröhre, während iatrogene Verletzungen häufig partiell sind und im distalen Teil der Harnröhre auftreten (Addison et al. 2014).

Männliche Katzen sind bei traumatischen und iatrogenen Verletzungen überrepräsentiert (Addison et al. 2014, Anderson et al. 2006, Corghozino et al. 2007), da sie häufiger aufgrund von Harnsteinen katheterisiert werden und die vergleichsweise dünne Harnröhre der Kater über die Mm. ischiocavernosi und 
ischiourethrales fester am Becken fixiert und somit weniger flexibel und belastbar gegenüber Zugkräften ist (Addison et al. 2014, Anderson et al. 2006).

Infolge von urethralen Verletzungen kommt es in Abhängigkeit der Lokalisation zum Austritt von Urin in die Bauch- und/oder Beckenhöhle, in der Regel also zur Ausbildung eines Uroabdomens. Je nach Menge des ausgetretenen Urins und der Dauer des Zustandes handelt es sich dabei um einen akut lebensbedrohlichen Zustand, welcher eine intensivmedizinische Stabilisierung, gefolgt von einer chirurgischen Intervention, erfordert (Aumann et al. 1998, Rieser 2005).


Top Job:


Die retrograde Kontrasturografie ist das Diagnostikum der Wahl zu Darstellung urethraler und vesikaler Defekte (Aumann et al. 1998, Anson 1987). Der Vorteil besteht in einer technisch einfachen und vor allem schnellen und daher patientenschonenden Durchführbarkeit. Die Sonografie eignet sich zur Darstellung urethraler Verletzungen in Abhängigkeit der Lokalisation und im Gegensatz zu vesikalen Defekten weniger. 

Mehrere Möglichkeiten zur Versorgung urethraler Defekte sind beschrieben. Dabei unterscheidet man die primäre Heilung nach Rekonstruktion des Urethradefektes und temporärer Urinableitung, eine sekundäre Heilung durch temporäre Urinableitung ohne Naht der Urethra (bei kleinen Defekten) und die permanente Urinableitung über ein neues Stoma proximal des Defektes (präpubische, transpelvine, perineale Urethrostomie) ohne die Reparatur der Harnröhre (Boothe 2000, Cooley et al. 1999, Layton et al. 1987, Meige et al. 2008, Waldron et al. 1985). 

Eine häufige Komplikation ist die Ausbildung von posttraumatischen bzw. postchirurgischen Strikturen nach vollständigen wie auch nach partiellen urethralen Verletzungen (Addison et al. 2014, Layton et al. 1987, Meige et al. 2008). Addison beschreibt bei 21,4 % der chirurgisch versorgten felinen Urethraverletzungen die Ausbildung einer postoperativen Striktur. In Fällen vollständiger Urethraabrisse traten sogar bei 41,8 % der Patienten Strikturen im weiteren Verlauf auf (Addison et al. 2014).
Eine temporäre Schienung der Urethra mit einem großlumigen Katheter und eine möglichst vollständige Umleitung des Urins in der Heilungsphase scheinen für einen erfolgreichen Heilungsverlauf entscheidend zu sein (Boothe 2000). 

Da die enge distale Harnröhre bei Katern keine Schienung mit einem großlumigen Katheter erlaubt, beschreiben wir hier die Kombination aus der primären Rekonstruktion eines vollständigen Urethraabrisses mit einer perinealen Urethrostomie, wodurch die temporäre Schienung der rekonstruierten Urethra und Ableitung des Urins 
über einen vergleichsweise großen Foley-Katheter möglich war.

Fallbeschreibung

Ein einjähriger, kastrierter Europäisch Kurzhaarkater wurde in der Klinik vorgestellt, nachdem er kurz zuvor von einem rangierenden Auto überrollt worden war. 
Der Patient präsentierte sich initial mit einer ausgeprägten Tachypnoe, teilweise mit Maulatmung. Die Perfusionsparameter waren regelrecht. Er war nur kurzzeitig steh- und gehfähig und zeigte dabei eine Lahmheit Grad 3 von 4 der linken Hintergliedmaße. Die linke Kruppen- und Lendenregion war geschwollen und druckdolent. Die ventrale Bauchwand zeigte eine geringgradige Einblutung. Äußerliche Verletzungen bestanden nicht. 

Zunächst wurde eine Traumaabklärung mit einem Übersichtsröntgen, einem FAST-Scan (Focused Assessment with Sonography for Trauma) und einer vollständigen Blutuntersuchung durchgeführt. Dabei konnten eine Iliosakralgelenksluxation (ISG-Luxation) links sowie eine Fraktur des linken Os pubis und Os ischium diagnostiziert werden. Thorax und Abdomen waren ohne besonderen Befund. Auch die Blutuntersuchung zeigte keine abweichenden Parameter. Im FAST-Scan war keine freie Flüssigkeit nachweisbar. Die Harnblase ließ sich gut abgrenzen und war gering- bis mittelgradig gefüllt. 

Der Kater wurde zunächst zur Infusionstherapie und analgetischen Behandlung stationär aufgenommen. Er erhielt dreimal täglich 0,1 mg/kg Methadonhydrochlorid i. v. (Comfortan 10 mg/ml, Dechra Veterinary Products, Aulendorf, D) sowie 4 ml/kg/h einer isotonischen Vollelektrolytlösung (Sterofundin Iso, B. Braun Vet Care, Tuttlingen, D). Am folgenden Morgen war er bei stabilem Allgemeinbefinden, hatte jedoch noch keinen Urin abgesetzt. Die Harnblase war palpatorisch mittelgradig gefüllt, sonografisch konnte erneut kein Aszites nachgewiesen werden. Aufgrund der stabilen Vitalparameter erfolgte anschließend die chirurgische Versorgung der linksseitigen ISG-Luxation. Die Luxation wurde unter Durchleuchtung reponiert und mit einer Hohlschraube (2,4 mm) minimalinvasiv fixiert (Fischer et al. 2012). Im postoperativen Röntgen zeigten sich eine gute Reposition des Gelenks und Wiederherstellung der Beckendiameter. Nebenbefundlich fiel ein deutlicher Detailverlust im abgebildeten Teil des Abdomens auf, welcher präoperativ nicht bestand. 

Eine daraufhin durchgeführte erneute sonografische Kontrolle zeigte mittelgradig freie Flüssigkeit im Abdomen mit generalisiert reflexreichem Gekröse. Die Harnblase war deutlich gefüllt, die Urethramündung konnte nicht adäquat dargestellt werden. 

Mittels Abdominozentese wurde ein wässriger, leicht rötlicher Aszites gewonnen, der sich in der Punktatanalyse mit 0 g/dl Protein und 2,4 G/l Zellen als Transsudat erwies.
Das Kreatinin im Punktat lag mit > 13,6 mg/dl über dem Messbereich des Analysegeräts (Idexx Catalyst One, Idexx Kornwest­heim, D) und war damit deutlich höher als der Serumkreatininwert (1,8 mg/dl), was die Diagnose eines Uroabdomens bestätigte. Der Patient erhielt einen urethralen Harnkatheter (Slippery Sam Tomcat Urethral Catheter, SurgiVet, Smiths Medical ASD, Inc., Minneapolis, USA), über den über Nacht 500 ml Urin abgeführt wurden. 

In einer am Folgetag durchgeführten retrograden Urografie mit 5 ml eines iodhaltigen Kontrastmittels (Solutrast 300, Bracco Imaging, Konstanz, D), verdünnt mit 5 ml isotonischer Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %, B. Braun Vet Care, Tuttlingen, D), konnten ein Austritt von Kontrastmittel aus einem proximalen Urethradefekt und eine diffuse, großflächige Verteilung des Kontrastmittels im kaudalen Abdomen dargestellt werden (Abb. 1). In der folgenden Laparotomie stellte sich ein vollständiger Abriss der Urethra im Bereich des Harnblasenhalses dar. Der am Vortag eingelegte Harnröhrenkatheter drainierte das kaudale Abdomen. Erstaunlicherweise war die Harnblase weiterhin ca. birnengroß, mit Urin gefüllt und von praller Morphologie (Abb. 2). 

Es wurden der größtmögliche urethragängige Rüsch-Katheter (Rüsch PVC Feeding tube Gr. 1, Willy Rüsch GmbH, Kemen, D) retrograd über die Harnröhre in die Blase eingeführt und die Urethra appositionell mit Einzelheften aus monofilem Glykonat (4/0 Monosyn, B. Braun Vet Care, Tuttlingen, D) am Harnblasenhals reinseriert. Die Bauchhöhle wurde mit körperwarmer, isotonischer Kochsalzlösung (NaCl 0,9 %, B. Braun Vet Care, Tuttlingen, D) gespült und das Abdomen routinemäßig verschlossen. Der Rüsch-Katheter wurde präputial mit einer Chinese-Fingertrap-Naht fixiert und an ein geschlossenes Urinbeutelsystem angeschlossen. 

Bereits am Folgetag zeigte der Kater ein gutes Allgemeinbefinden, es floss klarer Urin über den Katheter ab. Eine sonografische Kontrolle des Abdomens zeigte keine freie Flüssigkeit mehr. Der Kater wurde daraufhin mit Kathetersystem in die häusliche Pflege entlassen. Der Patient bekam 1 x tgl. 0,05 mg/kg Meloxicam p. o. (Metacam 0,5 mg/ml Suspension, Boehringer Ingelheim Vetmedica, Ingelheim, D) und 2 x tgl. 20 mg/kg Amoxicillin-Clavulansäure (Kesium 40 mg/10 mg, Ceva Tiergesundheit, Düsseldorf, D). Die Besitzer wurden im Umgang mit dem Harnkatheter und dem Wechsel des Beutelsystems geschult. 

Zwei Wochen nach der Anastomose wurde der Harnkatheter planmäßig gezogen. In der dabei durchgeführten retrograden Urografie zeigte sich eine Durchgängigkeit der Urethra ohne Austritt von Kontrastmittel, allerdings mit deutlicher Ausdünnung der Kontrastsäule im rekonstruierten Bereich (Abb. 3).

Zwei Tage nach Entfernung des Harnkatheters wurde der Patient aufgrund einer progressiven Strangurie und Pollakisurie erneut vorgestellt. Neben einer palpatorisch hochgradig gefüllten Harnblase wurden eine postrenale Azotämie mit einem Serumkreatinin von 10,4 mg/dl sowie eine mittelgradige Hyperkaliämie mit 6,9 mg/dl (Catalyst One IDEXX, Kornwestheim, D) diagnostiziert. Der Kater erhielt erneut einen urethralen Harnkatheter (Slippery Sam Tomcat Urethral Catheter, SurgiVet, Smiths Medical ASD, Inc., Minneapolis, USA) und wurde stationär zu Infusionstherapie und Evakuierung des Urins aufgenommen. Nach 24 Stunden waren Kreatinin und Kalium bereits wieder im Referenzbereich, die abgeführte Urinmenge war adäquat. 

In einer weiteren Laparotomie stellte sich die alte Rekonstruktionsstelle auf ca. 6 mm palpatorisch derb und narbig verdickt dar. Nach Abwägung der theoretischen Möglichkeiten (erneute Anastomose, präpubische Urethrostomie, Ballonierung, Stent) wurde die Striktur vollständig reseziert und die Harnröhre über einen großlumigen Katheter (Rüsch PVC Feeding tube Size 3, Willy Rüsch GmbH, Kemen, D), der anterograd über eine ventrale Zystotomie eingeführt wurde, erneut mit Einzelheften an die Harnblase genäht. Um das erneute Auftreten einer Striktur zu verhindern, sollte die Anastomose dieses Mal im postoperativen Zeitraum durch einen größeren Harnkatheter geschient werden. Da dies durch die enge distale Harnröhre beim Kater nicht ohne Weiteres möglich ist, wurde eine perineale Urethrostomie durchgeführt, über die retrograd ein Foley-Katheter (Silcoat Foley-Katheter 10 French, Servoprax GmbH, Wesel, D) bis in die Blase geschoben werden konnte. Der Rüsch-Katheter wurde entfernt, die Blase und das Abdomen verschlossen. Das Reservoir des Foley-Katheters wurde mit der notwendigen Menge Kochsalzlösung (4 ml) gefüllt und der Katheter erneut perineal mit einer Chinese-Fingertrap-Naht fixiert. Der Kater erholte sich gut und wurde zwei Tage später erneut in die häusliche Pflege entlassen. Das Kathetermanagement zu Hause funktionierte weiterhin gut.

Wiederum nach 14 Tagen wurde der Foley-Katheter entfernt. Die dabei erstellte retrograde Urografie zeigte eine weitlumige proximale Urethra ohne Hinweise einer neuerlichen Striktur und weiterhin ohne Konstrastmittelaustritt (Abb. 4) Es wurde eine bakteriologische Untersuchung des Urins nach Entfernung des Katheters eingeleitet. Die antibiotische Therapie mit Amoxicillin-Clavulansäure sollte zunächst fortgeführt werden.

Zwei Tage nach Entfernung des Katheters wurde der Kater mit Anzeichen einer Pollakisurie und Dolenz beim Urinabsatz vorgestellt. Der Urin roch laut Besitzer ungewohnt und war dunkel verfärbt. Sonografisch war die Harnblase mittelgradig gefüllt. Die proximale Urethra hatte im reparierten Bereich ein normal breites und gut darstellbares Lumen (Abb. 5). In einer erneuten retrograden Urografie war keine Einengung mehr ersichtlich. Mit der Verdachtsdiagnose einer Zystitis erhielt der Kater abermals Meloxicam p. o. (Metacam 0,5 mg/ml Suspension, Boehringer Ingelheim Vetmedica GmbH, Ingelheim, D). Das Ergebnis der bakteriologischen Untersuchung stand zu diesem Zeitpunkt noch aus. Eine zytologische oder weitere labordiagnostische Urinuntersuchung wurde nicht durchgeführt. Nach Erhalt des Ergebnisses der bakteriologischen Untersuchung und Nachweis von zwei gegen Amoxicillin-Clavulansäure resistenten Keimen (E. coli var. haemolyticum und Enterococcus gallinarum) wurde der Kater einmalig mit dem laut Antibiogramm wirksamen Cefovecin s. c. behandelt (Convenia 80 mg/ml, Zoetis, Louvain-la-Neuve, BE). Innerhalb weniger Tage besserten sich die Zystitissymptome.

Bei einer telefonischen Nachfrage nach sechs Wochen und einer abschließenden Untersuchung fünf Monate nach der zweiten Operation setzte der Kater normal Urin ab, zeigte keine Strangurie oder Inkontinenz und war von ungestörtem Allgemeinbefinden. Er hatte zwei Kilogramm an Gewicht zugenommen, das Stoma war gepflegt, sauber und reaktionslos.

Diskussion

Dieser Fallbericht beschreibt, dass sogar vollständige Abrisse der Urethra nicht immer offensichtlich zu diagnostizieren sind und ein möglichst großlumiger Katheter als Schiene nach Anastomose der proximalen Urethra die Entstehung einer Striktur verhindern kann. 

Verletzungen der harnableitenden Wege werden häufig erst zeitverzögert diagnostiziert. So zeigte eine Fallserie, dass bei zwei Drittel der Patienten mit Beckenfrakturen Verletzungen des Harntrakts erst im weiteren Verlauf der Behandlung auffielen und nur bei einem Drittel der Fälle initial ein klinischer Verdacht bestand (Selcer 1982).
Im hier beschriebenen Fall konnte trotz vollständigen Urethraabrisses bei Vorstellung und bei einer präoperativen Kontrolle sonografisch keine freie abdominale Flüssigkeit nachgewiesen werden. Auch zeigten sich klinisch und im Ultraschall keine Hinweise einer Urinphlegmone des Beckenbodens oder im Inguinalbereich. Retrospektiv fällt lediglich im präoperativen seitlichen Beckenröntgen auf, dass der Abstand der Harnblase vom Os pubis unphysiologisch erweitert erscheint (Abb. 6). Ein Befund, welcher ohne den Verdacht eines Traumas der harnableitenden Wege schnell übersehen werden kann. Im Röntgenbild und bei den sonografischen Kontrollen war die Harnblase trotz vollständigen Abrisses der Urethra stets gefüllt.  

Durch einen Spasmus des Blasensphinkters hielt sich der Urin in der Harnblase, sodass zunächst kein Uroabdomen entstand. Erst postoperativ zeigte sich ein deutlicher Detailverlust im kaudalen Abdomen (Abb. 6), was möglicherweise mit der erhöhten intraoperativen Infusionsrate, einer Relaxation des Harnblasen­sphinkters durch die Verwendung des α2-Agonisten Medetomidin zur Narkoseeinleitung oder durch Manipulation des Patienten bei der Reposition des ISG erklärt werden kann.  

Ein Uroabdomen kann sekundär zu systemischen Komplikationen wie Dehydration,  Hypovolämie, Hyperkaliämie und Azotämie führen (Burrows und Bovee 1974). Erst nach erfolgreicher Stabilisierung, für die eine zuverlässige Evakuierung des Urins nötig ist, sollte die chirurgische Behandlung erfolgen (Stafford und Bartges 2013). In diesem Fall drainierte der erste Harnkatheter aufgrund des vollständigen Urethraabrisses die Bauchhöhle. Die hohe Menge an Urin, welche dadurch über den Katheter abgelassen werden konnte, trug damit maßgeblich zur schnellen Stabilisierung des Patienten bei. 

Die retrograde Urografie zeigte einen Austritt des Kontrastmittels im Bereich der proximalen Urethra und eine diffuse, großflächige Verteilung des Kontrastmittels im kaudalen Abdomen ohne jegliche Ansammlung in der Harnblase. Dadurch ließ sich bereits ein großer proximaler urethraler Defekt vermuten. Dieser bestätigte sich intraoperativ in Form eines vollständigen Abrisses der Urethra vom Blasenhals. 

In der Studie von Addison et al. (2014) hatten proximale (prä- und intrapelvische) und vollständige Urethraverletzungen eine schlechtere Prognose als distale (postpelvische) und partielle Verletzungen. Grundsätzlich waren Neourethrostomien sowohl bei traumatischen also auch bei iatrogen verursachten Verletzungen die mit Abstand am häufigsten gewählten Techniken zur Versorgung der Harnröhrendefekte. Anastomosen wurden offenbar nach Möglichkeit vermieden, um die Gefahr der Stikturbildung zu umgehen. Dabei waren die perineale Urethrostomie die bevorzugte Technik für iatrogene und die präpubische Urethrostomie die bevorzugte Technik für traumatische Verletzungen. Bei vollständigen proximalen Urethraverletzungen kann der verbliebene Urethrateil jedoch so kurz sein, dass keine perineale oder präpubische Urethrostomie möglich ist und eine Anastomose notwendig wird, sofern keine permanente präpubische Zystostomie angelegt werden soll (Baines et al. 2001). In der Studie von Addison führte ein zu kurzer verbliebener proximaler Urethrarest zur Euthanasie des Patienten (Addison et al. 2014).

Um die Ausbildung einer Striktur zu verhindern, sollte die urethrale Schleimhaut appositionell vernäht werden, damit eine primäre Heilung ohne überschießende Fibrosierung erreicht werden kann (Anson 1987, Boothe 2000, Degner und Walshaw 1996). Zudem sollten die Harnröhre mit einem großlumigen Katheter geschient und der Urin anschließend möglichst urindicht abgeleitet werden (Layton et al. 1987).  

Dass der zunächst verwendete Rüsch-Katheter weder besonders großlumig war noch die Harnröhre wirklich urindicht abschloss, kann die Ausbildung der Striktur nach der ersten Rekonstruktion der Harnröhre gefördert haben. Um einen ausreichenden Durchmesser des Urethralumens im Bereich der Anastomose zu erreichen und einen dichteren Verschluss der Urethra zu ermöglichen, wurde bei unserem Patienten in der zweiten Operation ein 10-French-Foley-Katheter (Silcoat Foley-Katheter 10 French, Servoprax GmbH, Wesel, D) zur Schienung der Harnröhre und Umleitung des Urins verwendet. Das Ballonreservoir des Katheters ermöglichte im Harnblasenhals ein Verlegen der im Durchmesser divergierenden Urethramündung. So konnte die Urethraanastomose effektiver vor Urin geschützt werden als mit dem initial verwendeten Rüsch-Katheter. Außerdem ermöglicht der Foley-Katheter eine Reduktion der Spannung auf der Anastomose. So wird die Harnblase durch die distale Fixation des Katheters über die Chinese-Fingertrap-Naht und das intraluminale Ballonreservoir des Katheters unabhängig ihres Füllungszustandes in einer Position gehalten. Es kann sich also auch bei einer gefüllten Harnblase kein starker Zug an der Rekonstruktionsstelle bilden. Die Möglichkeit, einen großlumigen Foley-Katheter zu verwenden, ergab sich aber erst durch die Kombination mit einer perinealen Urethrostomie und damit Amputation der ansonsten intakten distalen Urethra.

Über den notwendigen Zeitraum, über den der Harnkatheter postoperativ liegen bleiben muss, gibt es wenige evidenzbasierte Angaben. Empfehlungen reichen von fünf Tagen bis zu drei Wochen (Bailly und Kodama 2003, Boothe 2000, Holt 1989, Meige et al. 2008, Selcer 1982). In unserem Fall wurde ein Zeitraum von 14 Tagen gewählt. Das längerfristige Belassen eines Katheters in der reparierten oder intakten Urethra birgt per se ein erhöhtes Risiko von aufsteigenden Infektionen (Bass et al. 2003, Corgozinho et al. 2007, Lees et al. 1981). Der metaphylaktische Einsatz von Antibiotika wird diesbezüglich kontrovers diskutiert. Wird ein Antibiotikum eingesetzt, wird die Gefahr von aszendierenden Infektionen nicht wesentlich reduziert. Es besteht dadurch jedoch die erhöhte Gefahr einer Resistenzentwicklung (Barsanti et al. 1985, Lees et al. 1981, Meige et al. 2008). In unserem Fall entschieden wir uns jedoch wegen der Kombination aus Traumapatient, Uroabdomen und wiederholter Operation/Narkose für den Einsatz eines Antibiotikums. Die Entwicklung einer Zystitis wurde dabei in Kauf genommen und konnte nach Ziehen des Katheters und Umstellung der antibiotischen Therapie laut Antibiogramm letztlich trotz Entwicklung zweier resistenter Keime erfolgreich behandelt werden. 

Grundsätzlich wären alternativ eine Ballonierung der Striktur, das Setzen eines urethralen Stents zur Aufdehnung und dauerhaften Überbrückung der Engstelle oder eine permanente präpubische Zystostomie denkbar gewesen. Auch wenn Berichte über die erfolgreiche Implantation urethraler Stents bei Katzen (Brace et al. 2014, Christensen et al. 2010, Hadar et al. 2011) existieren, schienen uns die vorhandene Striktur zu eng für die Applikation des Stents und die Prognose zu ungewiss. Gleiches galt für eine mögliche Ballonierung, wie von Rincon Alvarez et al. (2019) bei einer weiblichen Katze beschrieben. Eine dauerhafte präpubische Zystostomie wie auch das Legen eines permanenten präpubischen Katheters erschienen uns vor allem bei einer Freigängerkatze nicht praktikabel.

Dieser Fall zeigt, dass die Diagnose von sogar vollständigen Urethraabrissen aufgrund initial fehlender eindeutiger klinischer, radiologischer oder sonografischer Hinweise schwierig sein kann, sodass wiederholte fokussierte Untersuchungen des Harntraktes bei Beckentraumapatienten nötig sind. Des Weiteren konnten wir zeigen, dass die primäre Rekonstruktion einer vollständigen proximalen Urethraavulsion erfolgreich möglich ist, wenn sie mit einer perinealen Urethrostomie kombiniert wird. Dadurch wird eine urindichte Schienung der Anastomose mit einem großlumigen Katheter ermöglicht. Weitere Fällen müssen zeigen, ob durch die beschriebene Technik die Langzeitprognose für vollständige proximale Urethraabrisse im Vergleich zu den derzeit gültigen Literaturangaben verbessert werden kann.

Ethische Anerkennung

Die Autoren versichern, während des Entstehens der vorliegenden Arbeit die allgemeingültigen Regeln Guter Wissenschaftlicher Praxis befolgt zu haben.

Conflict of interest

Die Autoren versichern, dass keine geschützten, beruflichen oder anderweitigen persönlichen Interessen an einem Produkt oder einer Firma bestehen, welche die in dieser Veröffentlichung genannten Inhalte oder Meinungen beeinflussen können.

Funding

Diese Arbeit wurde nicht finanziell unterstützt.

Autorenbeitrag

Konzeption oder Design der Arbeit: PK, HP, AF.
Manuskriptentwurf: PK.
Kritische Revision des Artikels: HP, AF. 

Fazit für die Praxis

Bei Traumapatienten mit Beckenfrakturen, sollte zum sicheren Ausschluss von Verletzungen der harnableitenden Wege eine retrograde Urografie in Erwägung gezogen werden. Die Ausbildung von Strikturen stellt ein großes Risiko bei der Rekonstruktion urethraler Verletzungen dar. Bei vollständigen proximalen Urethrarupturen beim Kater kann eine primäre Rekonstruktion in Kombination mit einem großlumigen urethralen Katheter zur postoperativen Urinableitung und Schienung der Anastomose zur strikturfreien Heilung führen. Die Platzierung eines solchen Katheters wird erst durch eine perineale Urethrostomie möglich.

Über den Autor: Philipp Kindt

Studium der Veterinärmedizin an der TiHo Hannover 2007–2014. Promotion an der Musculoskeletal Research Unit der VetSuisse Fakultät Zürich 2014–2016. Internship in der Tierklinik Kalbach 2016–2017. 2018–2020 Assistenztierarzt in der chirurgischen Abteilung der Tierklinik Kalbach. Seit 2021 Chirurg in der Kleintierklinik Ludwigsburg.

Kontakt: 

Dr. Philipp Kindt, Kleintierklinik Ludwigsburg, Karl-Heinrich-Käferle-Str. 2, 71640 Ludwigsburg, pk@kleintierklinik-lb.de

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