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Auch wenn es unter den Nägeln brennt: Im Bewerbungsgespräch sind nicht alle Fragen zulässig.
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Auch wenn es unter den Nägeln brennt: Im Bewerbungsgespräch sind nicht alle Fragen zulässig.

Recht

Im Vorstellungsgespräch: Welche Fragen sind (un)zulässig?

In der Tierarztpraxis stellen sich überwiegend weibliche Bewerber vor. Unsere Arbeitsrechtlerin Olivia Haverkamp zeigt auf, welche Fragen aus juristischer Sicht gestattet und welche problematisch sind.

Für einen potenziellen Arbeitgeber bietet sich in einem Vorstellungsgespräch die Möglichkeit, den Bewerber persönlich kennenzulernen und einen ersten Eindruck zu gewinnen. Es gilt herauszufinden, ob er oder sie für die ausgeschriebene Stelle geeignet ist. Dies wird der Praxis- oder Klinikinhaber mithilfe von verschiedenen Fragen versuchen, herauszubekommen. Sollte ein Arbeitnehmer nicht über eine verkehrswesentliche Eigenschaft verfügen, die jedoch elementar für die Ausübung der Tätigkeit ist, so hat der Arbeitgeber die Möglichkeit, den bereits geschlossenen Arbeitsvertrag aufgrund eines Irrtums über die verkehrswesentliche Eigenschaft oder sogar wegen arglistiger Täuschung anzufechten (vgl. Ricken in Huster/Katenborn, Krankenhausrecht, 2. Aufl. Rn. 44). Einer Kündigung und die damit etwaig einhergehenden Kündigungsschutzregelungen greifen vor Beginn der Arbeitsaufnahme in diesem Fall nicht ein. Allerdings sind nicht alle Fragen rechtlich zulässig, so dass eine unrichtige Antwort auf eine solche Frage keinen Anfechtungsgrund darstellt.

Familienplanung, Kinderwunsch und Schwangerschaft

Eine gute Orientierung für unzulässige Fragen bietet das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG). Ziel des Gesetzes ist die Benachteiligung aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern oder zu beseitigen (vgl. § 1 AGG). Ausdrücklich heißt es in § 3 Abs. 1 S. 2 AGG, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vorliegt. Dies bedeutet, dass Fragen nach einer Schwangerschaft, der anstehenden Familienplanung oder einem Kinderwunsch bereits unzulässig sind. Dies gilt selbst dann, wenn von Beginn des Arbeitsverhältnisses eine Beschäftigung auf der geplanten Stelle nicht möglich ist, weil mit der Ausübung der Tätigkeit ein zu großes Risiko für die Schwangerschaft besteht (bspw. in einer radiologischen Abteilung). Selbst wenn es sich um ein befristetes Arbeitsverhältnis halten sollte, muss die Bewerberin ihre Schwangerschaft vor Vertragsschluss nicht offenbaren (vgl. Ricken in Huster/Katenborn, Krankenhausrecht, 2. Aufl. Rn. 44). Dies gilt selbst dann, wenn die schwangere Bewerberin selbst als Schwangerschaftsvertretung eingestellt wurde (vgl. LAG Köln, Urteil vom 11.10.2012 – 6 SA 641/12) und bei Vertragsschluss bereits feststeht, dass die Bewerberin aufgrund ihrer Schwangerschaft einen wesentlichen Teil der Vertragszeit nicht wird arbeiten können (vgl. EuGH, Urteil vom 04.10.2001 – C-109/00). Infolgedessen kann ein Arbeitgeber das zustande gekommene Arbeitsverhältnis nicht anfechten. Eine Anfechtung ist auch dann nicht möglich, wenn die Bewerberin auf die rechtswidrige Frage des Arbeitgebers mit einer Lüge antwortet und die Schwangerschaft verneint, denn in Fällen der unzulässigen Fragen steht dem Arbeitnehmer ein „Recht zur Lüge“ zu (vgl. Armbrüster in Münchener Kommentar, § 123, Rn. 19/46 ff.).

Welche Fragen sind noch unzulässig?

Fragen nach dem Alter, der sexuellen Orientierung oder einer Gewerkschaftszugehörigkeit sind stets unzulässig und dürfen im Vorstellungsgespräch nicht erfragt werden. Allein bei sog. Tendenzbetrieben kann die Frage nach der Religion oder der Parteizugehörigkeit zulässig sein. Darüber hinaus kann auch die Frage nach einer bestehenden Schwerbehinderteneigenschaft unzulässig sein. Ausnahmsweise ist eine solche Frage gem. § 8 AGG zulässig, wenn der Bewerber aufgrund seiner Schwerbehinderung für den konkreten Arbeitsplatz offensichtlich ungeeignet ist (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 30.06.2010 – 2 Sa 49/10). Es bedarf hierfür aber eines konkreten Zusammenhangs zwischen der Eigenschaft des Bewerbers und der zu besetzenden Stelle.

Fragen nach dem Gesundheitszustand des Bewerbers sind ebenfalls nur statthaft, wenn sie im konkreten Zusammenhang mit der ausgeschriebenen Stelle stehen. Dies ist zu bejahen, wenn eine Krankheit vorliegt, die der Ausübung der beabsichtigten Stelle entgegensteht. Dies kann sowohl bei akuten als auch periodisch wiederkehrenden Krankheiten der Fall sein. Insofern steht dem Arbeitgeber ein Fragerecht zu, um auf schwerwiegende Störungen wegen zu erwartbarer wiederholender Ausfälle reagieren zu können (Künzl: Das Fragerecht des Arbeitgebers bei der Einstellung, ArbRAktuell 2012, 235).

Die Frage nach ansteckenden Krankheiten, die den Bewerber in der Ausübung seiner Tätigkeit nicht beeinträchtigt, darf nur gestellt werden, wenn tatsächlich ein erhöhtes Risiko für Arbeitskollegen und/oder Kunden besteht. So wird die Frage im Gesundheitssektor mit erhöhtem Infektionsrisiko eher zulässig sein als bei einer reinen Verwaltungstätigkeit. 

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Rechtliche Konsequenzen für den Tierarzt als Arbeitgeber

Sofern im Rahmen des Vorstellungsgesprächs unzulässige Fragen gestellt werden, darf der Bewerber diese wahrheitswidrig beantworten. Es liegt insofern kein Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft oder gar eine arglistige Täuschung vor, die den Arbeitgeber berechtigte, die Anfechtung zu erklären. Sollte es durch eine unzulässige Frage zu einer Diskriminierung aufgrund einer der in § 1 AGG genannten Eigenschaften kommen, kann dem Bewerber ein Entschädigungs- und Schadensersatzanspruch gemäß § 15 AGG zustehen. Sofern der Bewerber gemäß § 22 AGG Indizien einer Benachteiligung beweisen kann, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Die Verpflichtung zur Einstellung kann jedoch nicht geltend gemacht werden.

Umgang mit rechtlich unzulässigen Fragen

Sollte es im Vorstellungsgespräch zu unzulässigen Fragen kommen, wird zunächst empfohlen, sachlich und freundlich zu bleiben. Nicht immer steckt eine böse Absicht hinter einer solchen Frage. Man kann diese Frage mit einer Lüge beantworten, ohne mit Konsequenzen rechnen zu müssen. Möglich wäre auch, mit einer Gegenfrage reagieren, wie beispielsweise, was die Familienplanung mit der Ausübung der Tätigkeit zu tun hat. Hiermit spielt man den Ball an die Gegenseite zurück. Sollten vermehrt unzulässige Fragen gestellt werden, sollte man selbst hinterfragen, ob der Arbeitgeber der Richtige für einen ist, oder ob man sich lieber nach einer anderen Stelle umschaut. In diesem Fall kann man sich für das Gespräch bedanken und dieses beenden.

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