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pill herbal on top view of wood table concept in care and healthy strong body for maintaining health
geöffnte Pillendose und davor liegen Medikamente

Inhaltsverzeichnis

Recht und Politik

Im Grenzgebiet zwischen Futter- und Arzneimittel

Futter- oder Arzneimittel? Das ist oft nicht eindeutig. Jetzt werden Weichen für den künftigen EU-Rechtsrahmen gestellt.

Von Gerd Riedel-Caspari

Fast unbemerkt haben in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Produkten jenseits der klassischen Arzneimittel Einzug in die tierärztliche Hausapotheke – oder korrekt: den Schrank neben den Arzneimitteln – gehalten. Dort finden sich Omega-3-Zubereitungen, die gern bei entzündlichen Veränderungen eingesetzt werden, Prä- und Probiotika zur Stabilisierung des Mikrobioms, Glucosamine bei Gelenksknorpeldegeneration, SAMe (S-Adenosylmethionin) und Mariendistel für die Leber, Hefebestandteile zur Immunmodulation, ätherische Öle für die Atemwege, Caseinhydrolysat zur Beruhigung oder Methionin zur Ansäuerung des Harns. Sie alle sind für viele Praktiker aus der täglichen Anwendung kaum noch wegzudenken. Laut Angaben des Bundesverbandes für Tiergesundheit und der Kynetec Germany GmbH entsprach der Umsatz mit derartigen Spezialfuttermitteln in deutschen Tierarztpraxen 2019 fast dem Umsatzvolumen aller Antiinfektiva.

Die rechtliche Situation

Diese Produkte unterliegen nicht dem Arzneimittelgesetz, sondern futtermittelrechtlichen Regelungen, doch das fällt oft erst bei der Apothekenkontrolle auf. Neben dem Amtstierarzt macht inzwischen gern auch mal ein Futtermittelkontrolleur seine speziellen Forderungen geltend. Der eine oder andere Praxisinhaber bemerkt erst dann, dass er unter Umständen im Sinne des Gesetzes auch Futtermittelunternehmer ist, also in nennenswertem Umfang Futtermittel mit gesundheitlicher Zweckbestimmung einkauft, lagert, verkauft und Einkommen daraus schöpft.


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Änderungen in der Futtermittelgesetzgebung können dann dazu führen, dass ein regelmäßig eingesetztes Produkt plötzlich nicht mehr zur Verfügung steht. Aus aktuellem Anlass sollen deshalb bereits beschlossene oder anstehende Veränderungen im europäischen Futtermittelrecht in ihren möglichen Auswirkungen für die tierärztliche Praxis kurz erläutert werden.

Gar nicht so banal: Wann ist ein Produkt ein Futtermittel?

Futtermittel unterliegen inzwischen primär europäischen Bestimmungen, insbesondere der Verordnung VO (EG) 767/2009. Futtermittel sind „Stoffe oder Erzeugnisse, auch Zusatzstoffe, … die zur oralen Tierfütterung bestimmt sind“ (VO [EG] 178/2002 Art. 3 Nr. 4). Für die Frage, ob es sich bei einem Produkt um ein Futtermittel handelt, ist also zunächst der Bestimmungszweck maßgeblich. Den Zweck bestimmt der Inverkehrbringer im Rahmen der rechtlichen Vorgaben. Der genannte Begriff der „oralen Tierfütterung“ ist definiert als „die Aufnahme von Futtermitteln in den tierischen Verdauungstrakt …, um den Nahrungsbedarf der Tiere zu decken oder die Produktivität von normal gesunden Tieren aufrechtzuerhalten“ (VO [EU] 767/2009 Art. 3 Abs. 2 lit. b). Das klingt zunächst mal recht banal, birgt jedoch im Einzelfall jede Menge Zündstoff.

Die moderne Tierernährung geht inzwischen davon aus, dass für eine bedarfsdeckende Ernährung neben den „klassischen“ Nährstoffen, wie Kohlenhydraten, Proteinen, Fetten und Mineralstoffen, auch Spurenelemente, Vitamine, Vitaminoide und andere nutritive Stimuli, z. B. Faserstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe, zu berücksichtigen sind. Nur so ist der Organismus auf Dauer bedarfsgerecht zu versorgen und gesund zu erhalten.

Wird ein Futtermittel in einer Tierarztpraxis zwangsläufig zum Arzneimittel?

Entscheidend für die Tiermedizin: Erkrankte Tiere können einen besonderen Bedarf an bestimmten Nährstoffen oder Rationszusammensetzungen haben. Werden diese in Form eines Spezialfuttermittels zugeführt, hat der Patient die Chance, (rascher) wieder zu gesunden. Aber fällt solch ein Spezialfuttermittel, das einem erkrankten Tier gegeben werden soll, noch unter die o. g. Definition der oralen Tierernährung, die ja von „normal gesunden Tieren“ ausgeht?

Bei rigoroser Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen würden Allein- oder Ergänzungsfuttermittel, die in der tierärztlichen Praxis für ein Tier mit gesundheitlichen Problemen abgegeben werden, in eine rechtlich nicht eindeutig definierte Zone rutschen. Denn wenn sie im Rahmen eines Therapiekonzepts dazu bestimmt sind, „einem Tier verabreicht zu werden, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine … metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen“, so handelt es sich auch im Sinne der neuen Tierarzneimittelverordnung (VO [EU] 2019/6 Art. 4 Abs. 1) unabhängig von der stofflichen Zusammensetzung strenggenommen um Arzneimittel – mit allen Konsequenzen für diese stark regulierte Produktgruppe.

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Diäten zur Verringerung von Struvit-, Oxalat-, Urat- oder Cystinsteinen, Elektrolyt-Glukosemischungen zur oralen Gabe bei enteralen Resorptionsstörungen, Zubereitungen aus mehrfach ungesättigten Fettsäuren bei Dermatosen, Zink- und Biotinsupplemente zur Unterstützung des Hornwachstums oder Probiotika zur Stabilisierung der Darmfunktion müssten also strenggenommen als Arzneimittel zugelassen werden. Der Tierarzt gibt sie, auch wenn sie lediglich Futterstoffe enthalten, zur Beeinflussung gesundheitlicher Störungen.

Tiere und Tierärzte profitieren von der Regulierung des Zwischenbereichs zwischen Futtermittel und Arzneimittel

Da bei nüchterner Betrachtung die Zulassung von derartigen Produkten unangemessen erschien, hat zunächst der deutsche, später der europäische Gesetzgeber die Diätfuttermittelregelungen geschaffen (RL 2008/38/EG sowie ganz aktuell VO [EU] 2020/354). Diese „Futtermittel für besondere Ernährungszwecke“ bewegen sich in einem Bereich zwischen Arzneimitteln und „einfachen“ Futtermitteln. Entscheidend für die Bewahrung und Weiterentwicklung dieser Produkte sind zwei Aspekte; vereinfacht ausgedrückt:

  • Was darf auf dem Etikett als Verwendungszweck angegeben werden und
  • welche Stoffe dürfen darin enthalten sein?

Im Gegensatz zu einfachen Futtermitteln dürfen Diätfuttermittel auf dem Etikett einen „besonderen Ernährungszweck“ (BEZ) nennen, im übertragenen Sinne eine „Indikation“. Dazu müssen sie definierte Vorgaben in der Zusammensetzung erfüllen. Die EU-Kommission hat jüngst die Liste der bisher zulässigen BEZ revidiert und die VO (EU) 2020/354 neu erlassen. Im Vorfeld mussten die interessierten Unternehmen über ihre Verbände bei der EU-Kommission neue wissenschaftliche Belege einreichen, sozusagen ein „kleines Zulassungsverfahren“ zur Wirksamkeit. Das Verfahren ist zunächst abgeschlossen, die Liste der BEZ neu gefasst. Viele in den Praxen seit Jahren gut eingeführte Diät-Alleinfuttermittel, also z. B. Struvitdiäten aus der Dose oder als Kroketten, bleiben wohl weitgehend unverändert erhalten. Dagegen werden eine Reihe von Diät-Ergänzungsfuttermitteln wie z. B. Methioninkonzentrate zur Ansäuerung der Ration bei Struvitgefahr zukünftig ohne den Zusatz „Diät“ auf dem Etikett auskommen müssen.

Was darf zukünftig noch auf dem Etikett von Futtermitteln stehen?

Ob solche Ergänzungsfuttermittel ohne den Zusatz „Diät-“ immer noch eine Zweckbestimmung
angeben dürfen, hängt dann davon ab, ob der einzelne Anbieter für sein Produkt gegenüber der zuständigen Überwachungsbehörde Angaben zur Wirkung wissenschaftlich schlüssig belegen kann. Dabei ist jedoch unklar, welchen Grad an Evidenz, sprich: welche Menge und Qualität an wissenschaftlichen Studien die Überwachungsbehörden für die Stichhaltigkeit einfordern werden. Sollte künftig der besondere Ernährungszweck nicht mehr auf der Packung stehen, muss wohl der Tierarzt den Tierbesitzern schlüssig erklären, warum ein Ergänzungsfuttermittel für die Gesunderhaltung oder Genesung des Patienten geboten erscheint.

Welche Stoffe stehen für Spezialfuttermittel noch zur Verfügung?

Spannender für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Futtermittel für besondere Ernährungszwecke ist die aktuelle Weichenstellung bei der Frage: Welche Stoffe dürfen zukünftig in diesen Futtermitteln enthalten sein? Werden Diätfuttermittel zukünftig überwiegend aus der Kombination von Einzelfuttermitteln bestehen, die den besonderen Bedarf an Energie und Protein decken, oder enthalten solche Präparate nutritive Stimuli aus hochdosierten Vitaminen, Vitaminoiden, Aminosäuren, Spurenelementen, Enzymen, Mikroorganismen oder sekundären Pflanzenstoffen? All dies sind zulassungbedürftige Futterzusatzstoffe. Sozusagen das besondere Etwas, wenn es um ein nutritiv erweitertes Behandlungskonzept geht.

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Die aktuell anstehende Revision der VO (EG) 1831/2009 und der VO (EG) 429/2008 wird die Bedingungen neu definieren, unter denen Futterzusatzstoffe am Markt bleiben dürfen oder neu zugelassen werden können. Von der Neuformulierung wird abhängen, wie vielfältig und differenziert (Diät-)Futtermittel insbesondere für Hunde und Katzen in den nächsten zehn bis 15 Jahren mit Zusatzstoffen ausgestaltet sein dürfen. Die Erfüllung der Zulassungsbedingungen könnte nicht selten daran scheitern, dass Aufwand und Ertrag bei Stoffen, die für Nischenprodukte bestimmt sind, nicht mehr in Übereinstimmung zu bringen sind. Deshalb ist jetzt der richtige Zeitpunkt, um zu hinterfragen, warum technologische Hilfsstoffe, die bereits als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen sind, für alle Tierarten nochmals zugelassen werden müssen. Oder ob kumulierte toxikologischen Daten von anderen Spezies und In-vitro-Studien nicht ausreichend Sicherheit bieten, um zumindest vorläufige Zulassungen für Katzen und Hunde zu gewähren.

Tierärztlicher Handlungsbedarf für den Grenzbereich?

Im Überschneidungsbereich von Pharmaka und spezieller Ernährung ergeben sich eine Reihe von Fragen mit erheblichen Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Spezialfuttermitteln in der tierärztlichen Praxis. Wie vielfältig und innovativ wird das Angebot sein? Wo hört bei einem Spezialfuttermittel Gesundheitsförderung auf und wo beginnt Krankheitsvorbeuge oder -behandlung? Steht ein Futtermittel in der tierärztlichen Praxis nicht von vornherein unter dem Verdacht, allein durch die Zweckbestimmung ein verkapptes Arzneimittel zu sein, egal, was es enthält? Müsste der Tierarzt dem Tierbesitzer den Weg zum Tiershop oder das Internet weisen, wenn er derartige Produkte als sinnvoll für seine Patienten erachtet?

Die Neufassungen der genannten Verordnungen in Brüssel werden erhebliche Auswirkungen auf die Innovationsdynamik und die Vielfalt von Futtermitteln für besondere Ernährungszwecke haben. Auch von tierärztlicher Seite aus wird zu überlegen sein, ob und ggf. wie aktiv und mit welchen eigenen Anliegen man sich in die Ausgestaltung der Verordnungen einbringen will. Im Zuge der neuen Transparenzoffensive der EU-Kommission gab es um den Jahreswechsel 2020/2021 eine öffentliche Anhörung aller interessierten Parteien, also aller EU-Bürger einschließlich jedes einzelnen Freiberuflers per Konsultationsverfahren im Internet. Die Frist dazu ist seit 25. Januar 2021 abgelaufen. Die Kommission wird nun auf Grundlage der Stellungnahmen einen Entwurf der neuen Verordnungstexte erarbeiten und mit den in Brüssel akkreditierten Verbänden beraten. Ende 2021 soll der Gesetzestext dann beschlussfertig sein.

Die Definitionen der Rechtsbegriffe finden Sie hier.

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