Viel Unruhe brachten die Schlagzeilen vom September 2022 in die Tiermedizinbranche: Ein neues Grundsatzurteil stellte noch einmal klar, dass Arbeitszeiten ohne Wenn und Aber systematisch erfasst und dokumentiert werden müssen. Was aber bedeutet das für die Tiermedizin – und wie kann jede und jeder einzelne Selbständige die Herausforderung angehen?
Dr. Maren Püschel von der Kleintierklinik Wasbek in Schleswig-Holstein und Dr. Jan Punsmann von der Tierärztlichen Praxis Ottersberg bei Bremen haben die Zeiterfassungssysteme ihrer tiermedizinischen Einrichtungen schon vor Jahren professionalisiert. Maren Püschel ist Teilhaberin der Kleintierklinik Wasbek, Jan Punsmann Teilhaber der Tierarztpraxis Ottersberg. Im Interview berichten die beiden niedergelassenen Tiermediziner, wie sie vorgehen, wo sie sich Unterstützung geholt haben, welche Besonderheiten für die Fahrpraxis gelten – und welche Vorteile computerbasierte Systeme für alle Arbeitgeber und Arbeitnehmer bieten.
Frau Dr. Püschel, Sie haben schon 2014 begonnen, die Arbeitszeiten an Ihrer Klinik systematisch zu erfassen. Warum war Ihnen und Ihren Teilhabern das wichtig?
Dr. Maren Püschel: Wir arbeiten hier nach dem Prinzip der Fairness miteinander, das ist für uns ganz wichtig. Arbeitszeitregelungen können auch immer ausgenutzt werden zu Ungunsten anderer Mitarbeiter, und das lässt sich durch die Zeiterfassung verhindern. Wenn man eine faire, computerbasierte Regelung findet, trägt das auch zum Betriebsfrieden bei.
Wie funktioniert das System, das Sie nutzen?
Püschel: Wir nutzen MEP24, ein System, das ursprünglich für Apotheken entwickelt und dann auf die Tiermedizin angepasst wurde. Es ist bei uns mit einem Fingerabdruckscanner verbunden, den alle Mitarbeitenden bei Eintritt in die Klinik nutzen.
Mussten Sie nichts mehr ändern, seitdem das neue Grundsatzurteil kam?
Püschel: Für uns hat das Urteil im Arbeitsalltag keine Relevanz, weil wir das alles schon erfüllen. Auch die Pausenzeiten dokumentieren wir schon in Echtzeit seit Juni 2022, weil es klar war, dass dieser Anspruch spätestens zum Jahreswechsel durch EU-Recht kommen würde. Vorher haben wir darauf vertraut, dass jeder nur so viel Pause macht, wie ihm zusteht. So etwas führt aber zu Unmut, weil einzelne so ein System ausnutzen könnten. Jetzt checken sich auch in den Pausen alle Mitarbeiter mit dem Scanner ein und aus.
Gibt es außer dem Betriebsfrieden Vorteile für den Arbeitgeber?
Püschel: Man sieht durch das System wirklich, wie viel gearbeitet wird und wie zum Beispiel Minuszeiten entstehen. Aus den Daten kann man lernen und die Besetzung beispielsweise anpassen, wenn zu bestimmten Zeiten oft Mehrarbeit geleistet wird.
Sonderregelung für die Fahrpraxis
Auch in der Tierarztpraxis Ottersberg bei Bremen werden Arbeitszeiten schon seit Jahren systematisch erfasst – ebenfalls mit dem Zeiterfassungstool MEP24. Im Interview berichtet Dr. Jans Punsmann, Nutztierpraktiker und Teilhaber der Tierarztpraxis Ottersberg, was das System für die 60 Mitarbeitenden bedeutet und wie es sich an die Bedingungen der Fahrpraxis anpassen lässt.
Herr Dr. Punsmann, kommen mit dem neuen Grundsatzurteil noch Herausforderungen auf die Praxis in Ottersberg zu?
Dr. Jan Punsmann: Nein. Alles, was damit noch einmal deutlich gefordert wurde, machen wir jetzt schon.
Was unternehmen Sie genau, um die geltenden Ansprüche an die Zeiterfassung zu erfüllen?
Punsmann: Wir haben eine Online-Zeiterfassung, die mit einer App auf den Smartphones der Mitarbeiter verbunden ist. Das heißt, die Mitarbeiter stempeln am Praxiseingang über die App ein und aus, sodass auch Pausen oder Überstunden minutengenau erfasst werden.
Sie haben ja auch Mitarbeiter in der Fahrpraxis. Wie wird es geregelt, wenn jemand von zu Hause direkt zu den Patienten fährt?
Punsmann: In dem Moment, in dem ein Mitarbeiter aufbricht, klickt er in der App auf Arbeitsbeginn. Die Pausen in der Fahrpraxis regeln wir so, dass jeder 45 Minuten Pause am Tag auf Vertrauensbasis aufgebucht erhält. Sonst wäre es einfach sehr aufwändig. Wir sagen: „Wenn ihr länger Pause macht, müsst ihr ausstempeln.“ Es muss aber mindestens einmal im Jahr nachvollzogen werden, ob das so funktioniert und alle auch ausreichend lange Pausen nehmen. Dafür wird dann einen Monat lang exakt ausgestempelt. Um solche Regelungen zu finden, arbeiten wir mit einer auf dem Gebiet spezialisierten Anwaltskanzlei zusammen.
Wie dokumentieren Sie die Arbeitszeiten langfristig?
Punsmann: Die Daten werden in der Cloud des Unternehmens MEP24 gespeichert. Eine Praxismanagerin prüft außerdem am Ende jeder Woche alles auf Plausibilität. Wenn ein Mitarbeiter mal versehentlich falsch gestempelt hat, kann er sich melden und dies korrigieren lassen.
Welche Vorteile ergeben sich für den Arbeitgeber?
Punsmann: Wir haben zum einen eine Übersicht darüber, wie unsere Angestellten arbeiten. Zum anderen sind wir attraktiver für neue Mitarbeiter, weil die Zeiterfassung bei uns ein fester Bestandteil des Arbeitsalltags ist.