Die Wartezimmer vieler Tierarztpraxen platzen aus allen Nähten und mit der Länge der Wartezeit wächst schnell der Unmut. Den Gang zum Tierarzt könnten sich einige Patientenbesitzer sparen, doch fällt dies gerade überbesorgten Tierhaltern schwer. Sogenannte „Propeller-Tiereltern“ wollen am liebsten immer SOFORT einen Tierarzt sprechen. Eigentlich sind sie die geborenen Kunden für telemedizinische Konsultationen. Denn wie dringend eine Untersuchung vis-a-vis tatsächlich ist, kann zum Beispiel per Videoanruf geklärt werden.
Auf dem diesjährigen bpt-Kongress in München wurde die Telemedizin nicht nur erneut als Chance herausgestellt, zusätzliches Geld zu verdienen, sondern auch als Werkzeug zur optimalen Patientenbetreuung hervorgehoben. So kann die Telekonsultation panische Patientenbesitzer beruhigen und dabei helfen, verstopfte Wartezimmer zu leeren (, die wiederum die Geduld aller Kunden auf die Probe stellen).
Keine Beratung „for free“ – doch wie rechne ich ab?
Das Tierbesitzer bei ihren Tierärzten anrufen, um nach Rat zu fragen, ist klar. Was laut der erfahrenen Praktikern allerdings nicht geht ist, dass Beratungen von Kollegen, die all ihr Wissen in einem langjährigen Studium sowie kontinuierlicher Fortbildung erworben haben, stundenlang am Telefon hängen und ihre Kunden umsonst beraten. „Tierärzte müssen ihre Zeit in Geld umsetzen“, sagt Heidi Kübler, die in Heilbronn praktiziert. Für eine 15-minütige Beratung am Telefon berechnet die Tierärztin mit Schwerpunkt Naturheilkunde 60 Euro, so wird es von den TFAs sofort am Telefon kommuniziert. In der GOT gibt es den entsprechenden Posten: „Beratung im einzelnen Fall ohne Untersuchung“ bzw. „eingehende Anamneseerhebung oder Beratung das gewöhnliche Maß übersteigend einschließlich eingehender Vorbereitung.“ Die Tierärztin, welche auch Präsidentin der Landestierärztekammer Baden-Württemberg ist, betreut viele Kunden, die bereits bei diversen Tierärzten waren und nun eine alternativmedizinische Methode in Betracht ziehen. Hierfür reicht die Beratung über Telefon oder Chat, welche den Gang in die Praxis natürlich nicht ersetzen kann, oftmals aus. Küblers Einschätzung nach müssen Tierärzte das Feld der Telemedizin bedienen, da es sonst von branchenfremden Anbietern übernommen wird. „Wir haben das Wissen und sind daher die geborenen Nutzer“, sagt sie.
Helikopter-Kunden: „Es nervt weniger“
Auch Björn Becker, der schon seit langer Zeit telemedizinische Sprechstunden anbietet, stellt klar die Chancen dieses Tätigkeitsfeldes heraus. Die Einnahmen durch telemedizinische Konsultationen bezeichnet er „low hanging fruits“, also Gelder, die da sind und von Kolleginnen und Kollegen nur abgeerntet werden müssten. Die Annahme, dass Telemedizin zu viel Zeit koste, hält er für eine Fehleinschätzung. Seiner Erfahrung nach ist sogar das Gegenteil der Fall, nämlich, dass Telemedizin Zeit spare. Der Kleintierpraktiker kennt die sehr redebedürftigen „Propeller-Tiereltern“, welche den TFAs und Ärzten in der Praxis Zeit und Nerven rauben. Wenn diese über Video betreut würden, sei laut Becker allen geholfen. Und: „es nervt schlichtweg weniger“, so Becker, der seinen Assistenten auch im OP schon mal per Videozuschaltung von unterwegs weitergeholfen hat.
Telemedizin ist nichts für Berufsanfänger
Eines ist den Experten jedoch wichtig: Tierärzte, die Telemedizin anbieten, sollten keine Berufsanfänger sein, sondern mindestens zwei bis drei Jahre Berufserfahrung haben, um die Qualität der Beratung sicher zu stellen. Ebenso halten sie es für wichtig, dass Tierärzte vor den Bildschirmen über geschulte kommunikative Fähigkeiten verfügen. Schließlich müssen Befunde über Telefon und Video für den Laien verständlich erklärt sowie aufgebrachte und schwierige Kunden entsprechend aufgefangen werden. „Wer Telemedizin anbietet, sollte es richtig machen“, so Becker. Von halbherzigen Gehversuchen rät der Experte ab, was nicht heißt, dass sich Kolleginnen und Kollegen an die Technik herantasten dürfen.
Portal „Zweitmeinung Tierarzt“: Eine Expertin geht moderne Wege
Viel Praxiswissen hat die Inhaberin des telemedizinischen Portals „Zweitmeinung Tierarzt“ Christiane Stengel. Mit ihrem Diplomate für Innere Medizin und 15 Jahren Erfahrung in der Klinik Hofheim versucht sie lange Leidenswege von Patienten und Tierbesitzer zu beenden, indem sie viel Zeit in die Sichtung der bisherigen Krankengeschichte investiert. Diese liefern ihre Kunden online an, per App oder Mail. „Ich weiß, dass im Praxisalltag häufig die Zeit für ausführliche Gespräche über Befunde und Co. fehlt und das zu Unzufriedenheit von Besitzern und auch den Tierärztinnen führen kann.“ Eines ihrer Ziele ist somit auch, Tierarzthopping und die Überlastung der Kliniken zu mindern. Im Sinne der guten Zusammenarbeit überweist Christiane Stengel ihre Patienten jedoch zu den behandelnden Kollegen zurück und führt eigene Untersuchungen nur durch, wenn diese von den Tierhaltern ausdrücklich gewünscht werden oder dem Tierarzt entsprechende Expertise oder notwendige technische Ausrüstung fehlt.
Insgesamt hebt die Tierärztin ein weiteres Plus der modernen Technologien hervor, nämlich die Flexibilisierung der Arbeit: So können ihre Mitarbeiter ortsunabhängig arbeiten und sich auch die Arbeitszeiten selbst einteilen.
Fazit – wo stehen die Tierärzte derzeit?
Trotz der vielen Ideen und der relativ leichten Umsetzung telemedizinischer Konsultationen sind die Tierärzte in der Umsetzung weiterhin zögerlich und erscheinen unsicher, gerade was das Thema Rechtssicherheit angeht. Rechtsanwältin Gabriele Moog spricht der Berufsgruppe Mut zu: Wenn sie die gleiche Sorgfaltspflicht walten lässt, wie sie es in der Praxis tut, haben Tierärztinnen und Tierärzte wenig zu befürchten. Was aus Datenschutzsicht hingegen gar nicht ginge, sei der Austausch mit Tierhaltern über WhatsApp, mahnt die Expertin.
„Meiner Erfahrung nach sind Männer technisch affiner und daher etwas mutiger“, resümiert Björn Becker. Der Tierarzt und Marketingexperte hofft, dass beide Geschlechter Telemedizin beherzter angehen und damit etwas sehr wertvolles gewinnen: Zeit.