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Noch keine Spur von Fingerabdruckscanner und Software: mechanische Stechuhr in einer alten Fabrik
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Nicht ganz so elegant wie ein moderner Fingerabdruckscanner: mechanische Stechuhr in einer alten Fabrik.

Zeiterfassung

Die Überraschung, die im Grunde keine war

Unternehmen sind im Handlungszwang: Die Arbeitszeiterfassung muss nun endgültig systematisiert werden – auch in Tierarztpraxen und Tierkliniken.

Gerade ein halbes Jahr ist es her, da titelten Medien in Deutschland, ein grundsätzliches Urteil zur Arbeitszeiterfassung sei gefällt worden. Viele Branchen – auch die Tiermedizin – reagierten im September 2022 mit Verunsicherung. Dabei ist die Diskussion um die Arbeitszeitaufzeichnung und insbesondere die Erfassung der Überstunden nicht neu. Bereits seit dem „Stechuhr-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofes im Jahre 2018 stand fest, dass eine Arbeitszeitaufzeichnung für alle Mitarbeiter verpflichtend ist. Dies führte zu vielen Diskussionen um die in Deutschland weitverbreitete Vertrauensarbeitszeit, die ohne eine Aufzeichnung der Arbeitszeiten auskommt oder ausgekommen ist.

Vertrauensarbeitszeit bedeutet, dass die Mitarbeiter eigenständig und selbstverantwortlich ihre Arbeitszeit gestalten bzw. für die Einhaltung dieser selbst verantwortlich sind. Eine Aufzeichnung der Zeiten erfolgt in der Regel nicht. Das neue Urteil des BAG vom 13. September 2022 (Az. 1 ABR 22/21) wurde bislang noch nicht vollständig in nationales Recht überführt; die Unternehmen waren in einer „Warteschleife“ bis zur vollumfänglichen Umsetzung des Gesetzgebers. Diese Warteschleife hat sich nun durch das Urteil  quasi aufgelöst; die Unternehmen sind im Handlungszwang. Einen Überblick über die Schritte, die sie in ihrer Praxis bzw. Klinik unternommen haben, um Arbeitszeiten systematisch zu erfassen, geben eine Tierärztin und ein Tierarzt hier auf vetline.de im Interview.

Pflicht aller Arbeitgeber

Nach allgemeiner rechtlicher Auffassung sind jetzt alle Arbeitgeber verpflichtet, ein System zur Arbeitszeiterfassung einzuführen und sämtliche Arbeitszeiten zu erfassen. Vor diesem Urteil wurden in der unternehmerischen Praxis meist nur die Überstunden erfasst und nicht die gesamte Arbeitszeit. Erschwerend für die Arbeitgeber kommt hinzu, dass es (vermutlich) keine Übergangsfristen geben wird, sprich, die Aufzeichnungspflicht gilt ab sofort. Nebenbei noch spannend und zu erwähnen ist, dass in dem besagten Verfahren im Kern etwas anderes geklärt werden sollte: Es sollte geklärt werden, ob der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung eines Zeiterfassungssystems hat. Letztendlich waren die Folgen jedoch weitreichender.


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Wie und in welcher Art und Weise die Arbeitszeit künftig erfasst werden muss und mithilfe welcher (technischen) Lösungen dies erfolgen kann, steht aktuell noch nicht fest. Konkrete Vorgaben seitens des Gesetzgebers wurden noch nicht definiert, wenngleich aus dem Stechuhr-Urteil zumindest deutlich hervorgeht, dass es sich um ein objektives, für alle Beteiligten zugängliches und verlässliches System zur Aufzeichnung handeln muss. Insofern sind alle Tierarztpraxen, die Personal beschäftigen, hiervon betroffen, auch diejenigen, die sich im Umfeld der Klein- und Kleinstunternehmen bewegen und viele Abläufe in der Vergangenheit eher pragmatisch gelöst haben, zum Beispiel auch über die Vertrauensarbeitszeit. Wichtig ist auch noch, dass unabhängig vom Arbeitsmodell und der Lage der Arbeitszeit (Beginn und Ende) eine Aufzeichnungspflicht besteht. Die Frage ist also nicht „ob“, sondern „wie“.

Elektronische Lösungen

Dennoch gibt es vielleicht ein „Licht am Ende des Tunnels“. Im Koalitionsvertrag der Bundesregierung steht, dass man sich um eine Prüfung hinsichtlich der Umsetzung des Stechuhr-Urteils bemühen möchte. Flexible Arbeitsmodelle sollen weiterhin möglich sein. Auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil hat kurz nach dem BAG-Urteil angekündigt, Lösungen finden zu wollen, die in der betrieblichen Praxis auch tatsächlich umsetzbar sind.

Handlungsbedarf besteht ohne Frage und demzufolge ist wohl die wichtigste Empfehlung, ein System zu etablieren, welches die Anforderungen der Aufzeichnungspflicht erfüllt. So kann zum Beispiel auf elektronische Lösungen zurückgegriffen werden wie beispielsweise Apps für Smartphones. Aber auch einfache Systeme können in den ersten Schritten zur Umsetzung hilfreich sein. Hier könnte auf die Aufzeichnung der täglichen Arbeitszeiten mittels gängiger Office-Lösungen (Excel, Word) oder auf den klassischen Stundenzettel zurückgegriffen werden. Ebenso sollte eine nachträgliche Manipulation ausgeschlossen werden. Insbesondere für Überstunden war und ist es ohnehin ratsam, eine pragmatische Lösung zu finden, bei der Arbeitgeber und Arbeitnehmer die geleisteten Überstunden hinsichtlich ihrer Veranlassung dokumentieren.

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Dringender Handlungsbedarf

Um einen Rückfall in „alte Zeiten“ zu vermeiden, sollten die bereits eingeführten oder geplanten flexiblen Arbeitsmodelle weiterverfolgt werden. Dies ist besonders im Hinblick auf die Mitarbeiterbindung und -motivation wichtig. Denn im Grunde hat sich nichts verändert, abgesehen von einer konsequenten Aufzeichnungspflicht. Diese Pflicht ist im Übrigen keine Unbekannte, denn bereits mit der Einführung des Mindestlohngesetzes hat es eine Aufzeichnungspflicht für Arbeitszeiten – etwa für geringfügig Beschäftigte (Minijob) – gegeben. Aufzuräumen gilt es im Besonderen mit dem Irrglauben, dass die Vertrauensarbeitszeit mit dem BAG-Urteil für vollumfänglich beendet erklärt worden sei. Der Grundgedanke der Vertrauensarbeitszeit bleibt bestehen, nur die Art und Weise der Dokumentation ändert sich. Hier können, wie bereits angemerkt, elektronische Systeme hilfreich sein.

In jedem Fall gibt es durch das BAG-Urteil einen unumstößlichen Handlungsbedarf für nahezu alle Unternehmen in Deutschland. Dies gilt auch für die tierärztliche Praxis. Vielleicht geht es in der täglichen Arbeit einfach darum, eingefahrene Gewohnheiten zum Teil aufzulösen und gemeinsam pragmatische Lösungen zur Aufzeichnung zu finden. Bezüglich der Umsetzungsvorgaben bleibt abzuwarten, was die Regierung bzw. der Gesetzgeber hierzu noch im Weiteren definieren werden. Zu guter Letzt: Ein Abwarten bis zur endgültigen Definition ist absolut nicht zu empfehlen. Auch wenn die ersten Umsetzungen eher pragmatisch orientiert sind, wie beispielsweise durch Excellisten – je eher die Aufzeichnungspflicht umgesetzt wird, umso besser.

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