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Der bpt informiert über Hilfe für Flüchtlinge aus der Ukraine und ihre Haustiere.
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Die Ukraine-Krise könnte Auswirkungen auf die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland haben.

bpt | Ukraine

Braucht es jetzt eine andere Agrarpolitik?

In einem Brandbrief an den Lebensmitteleinzelhandel Mitte März warnte die Tönnies-Unternehmensgruppe, dass die Versorgung mit Fleisch wegen des Ukraine-Kriegs bereits an Ostern gefährdet sein könnte.

Wie die Nahrungsmittelversorgung in Deutschland sichergestellt werden kann, insbesondere welche Konsequenzen daraus für die nationale und europäische Agrarpolitik zu ziehen sind, darüber streitet derzeit die Bundespolitik. Während sich CDU/CSU für eine Neubewertung des europäischen Green Deal und der Farm-to-Fork-Strategie ausspricht und eine stärkere Berücksichtigung der Ernährungssicherung fordert, zeigte sich die Ampel uneins. Jetzt sei nicht der Zeitpunkt, „um wieder alte und bereits gescheiterte Konzepte aus der Schublade zu zerren“, erklärte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin Renate Künast. „Wir müssen unsere Abhängigkeiten von energieintensiven Produktionsmitteln, wie etwa Düngemitteln und Pestiziden, schnell und deutlich verringern“, bekräftigte Künast. Deshalb werde man den Ausbau des Ökolandbaus vorantreiben, wegen der Flächenkonkurrenz die Zahl der gehaltenen Nutztiere reduzieren und den Ausbau der erneuerbaren Energien im ländlichen Raum forcieren, etwa durch Flächen-Photovoltaik.

Mehr Fokus auf Nahrungsmittelversorgung?

Ganz anders die Position des Koalitionspartners. Die FDP fordert als Reaktion auf den Ukraine-Krieg eine agrarpolitische Kursänderung. „Die Ernährungssicherung muss neben dem Biodiversitätsschutz und der Stärkung des ländlichen Raumes ein fester Bestandteil der EU-Agrarpolitik werden“, heißt es in einem Positionspapier, das die Arbeitsgruppe Ernährung und Landwirtschaft der FDP-Bundestagsfraktion vergangene Woche veröffentlicht hat. Darin wenden sich die Liberalen gegen Maßnahmen zur Extensivierung der Produktion, wie sie in der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ab 2023 vorgesehen sind. Ausdrücklich erteilt die FDP der vorgesehenen Stilllegung von 4 Prozent der betrieblichen Ackerfläche eine Absage. Diese Regelung müsse „grundlegend ausgesetzt“ werden. Angesichts der angespannten Situation der globalen Agrarmärkte sei es zwingend notwendig, „Europas Produktionskapazität kurzfristig in diesem Jahr zu steigern und auch nachhaltig zu gewährleisten“, fordern die Liberalen.

Die FDP verlangt zudem Offenheit für moderne Technologien und Innovationen in der Erzeugung. Durch neue Züchtungstechnologien könnten Pflanzen zielgerichteter und vor allem schneller an veränderte Bedingungen angepasst werden. Dies beschleunige die Entwicklung von effizienteren Sorten, die durch verbesserte Eigenschaften zudem mit weniger Pflanzenschutz und Düngemitteln auskämen. Die Entwicklung und Zulassung neuer, besserer und zielgenauerer Pflanzenschutzmittel sei zudem ein wichtiger Baustein, Ernten zu sichern und die Umwelt und Kulturvielfalt im Anbau zu schützen. Sie müssten durch einen innovationsfreundlichen Rahmen auf EU- und nationaler Ebene nach wissenschaftlichen Kriterien zugelassen und angewendet werden können. Eine Überprüfung der nationalen und europäischen Agrarpolitik im Lichte des Ukraine-Krieges fordert auch der CDU-Bundesvorstand. Dies gelte insbesondere für die geplanten Flächen- und Produktionsstilllegungen, heißt es in der Anfang März beschlossenen „Saarländischen Erklärung“. Europa müsse die Ernährung aus eigener Kraft und zu bezahlbaren Preisen sichern und auch seine Verantwortung mit Blick auf die Welternährung wahrnehmen, so der Bundesvorstand. Deutschland müsse „einen wirksamen Beitrag dazu leisten, zu verhindern, dass die Nahrungsmittelverknappung und -verteuerung auf dem Weltmarkt Hunger und Mangelernährung von Millionen Menschen in den ärmsten Ländern der Welt weiter verschärft und die Versorgung von Menschen in Krisengebieten gefährdet“. Die Bundesregierung müsse eine nachhaltige und ertragsstarke deutsche und europäische Landwirtschaft sicherstellen - im Ackerbau wie in der Tierhaltung, mahnen die Christdemokraten. Darauf müssten die Instrumente der europäischen und nationalen Agrarpolitik neu überprüft werden.


Top Job:


Auch die EU-Kommission uneins

Während EU-Agrarkommissar Janusz Wojciechowski ankündigte, dass die Europäische Kommission die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie angesichts des Krieges in der Ukraine auf den Prüfstand stellen werde, machte der Generaldirektor der DG AGRI, Dr. Wolfgang Burtscher, am 9. März beim ersten Sondertreffen des Europäischen Mechanismus zur Krisenvorsorge und Krisenreaktion im Bereich der Ernährungssicherheit (EFSCM) klar, dass Brüssel an seinen Plänen uneingeschränkt festhalten werde, weil der Klimawandel drastische Auswirkungen auf die Produktion von Nahrungsmitteln mit sich bringe. Bemerkenswert ist allerdings schon, dass sich die Kommissionsbeamten gegenüber Forderungen seitens der EU-Landwirtschaftsverbände aufgeschlossen zeigten, unter Umständen Brach- und Stilllegungsflächen der Produktion zur Verfügung zu stellen. Denn erst Anfang März hat der für den Green Deal hauptverantwortliche Kommissionsvizepräsident, Frans Timmermans, in einer Anhörung vor dem Umweltausschuss des EU-Parlaments klargestellt, dass die Landwirtschaft ihre Abhängigkeit von mineralischem Dünger weiter reduzieren müsse. Dies sei gerade angesichts der aktuellen Abhängigkeit von russischem Erdgas zwingend. (AgE/Heiko Färber)