„Wir erleben in Deutschland derzeit die stärkste Geflügelpestepidemie überhaupt“, teilte das Friedrich-Loeffler-Institut der Deutschen Presse-Agentur mit. Allein in Deutschland wurden 2021 von Oktober bis Jahresende 394 Infektionen Wildvögeln sowie 46 Ausbrüche in Geflügelhaltungen registriert. Und der Winter ist noch lang.
Auch Menschen könnten sich infizieren
1997 infizierten sich in Hongkong 18 Menschen mit H5N1, von denen sechs verstarben. Seitdem wissen wir, dass das Vogelgrippe-Virus Menschen infizieren kann und pandemisches Potenzial hat. Was, wenn wir keine Covid-19-Pandemie hätten, sondern die Aviäre Influenza? Prof. Dr. Timm Harder, Leiter des Nationalen Referenzlabors für Aviäre Influenza am Friedrich-Loeffler-Institut bringt auf dem bpt-Kongress DIGITAL die Frage unter Bezugnahme auf einen Artikel aus Avian Pathology aus dem Sommer 2020 auf. Und kommt zu dem Schluss, dass wir wohl fragen würden: Warum haben wir nicht mehr getan, um diese Pandemie zu verhindern?
Das Vogelgrippe-Virus überwindet immer wieder Speziesgrenzen
Weltweit hat die Geflügelproduktion in den letzten Jahren stark zugenommen. Im Bemühen, den Bedarf der Bevölkerung nach bezahlbarem tierischen Protein zu decken, wurden Biosicherheitsmaßnahmen nicht selten vernachlässigt. In der Folge kommt es immer wieder zu Geflügelpest-Ausbrüchen und sogenannten Spill Overs, also Infektionen von Menschen oder Schweinen mit Aviärer Influenza. In diesen Fällen konnte das Virus nicht von Mensch zu Mensch weitergegeben werden, dazu wären noch einige Anpassungen nötig. Ausgeschlossen ist das jedoch nicht: Schließlich ist bekannt, dass das Aviäre Influenzavirus sich enorm schnell verändern kann.
Vogelgrippe-Viren sind wie alle Influenzaviren Verwandlungskünstler. Sie treten zum einen mit verschiedenen Subtypen auf: H1-16 in Kombination mit N1-9. Zum anderen gibt es zwei Varianten: Geringpathogene Aviäre Influenzaviren der Subtypen H5 und H7 (LPAIV) lösen beim Hausgeflügel höchstens milde Krankheitssymptome aus. Sie können jedoch spontan zu einer hochpathogenen Variante (HPAIV) mutieren, die zu schweren klinischen Verläufen führt: der klassischen Geflügelpest. Das segmentierte Genom der Viren ermöglicht zudem einen Austausch von Erbmaterial zwischen verschiedenen Subtypen: Es entstehen sogenannte Reassortanten. Diese Wandlungsfähigkeit ermöglicht den Sprung über Speziesgrenzen.
Impfen gegen die Aviäre Influenza?
Timm Harder findet: „Von HPAIV geht eine ernsthafte pandemische Gefahr aus, alle Möglichkeiten der Prävention sollten ausgeschöpft werden.“ Reichen die klassischen Methoden zu Prävention und Bekämpfung bei hohem Infektionsdruck nicht aus, sollten auch Impfungen in die Bekämpfungskonzepte mit einbezogen werden. Dazu wäre zunächst jedoch eine Gesetzesänderung nötig, denn die prophylaktische Impfung ist in Deutschland und der EU verboten. Auch der Handel müsste umdenken: Momentan wirkt sich eine Impfung fatal aus.
Die Impfstoffentwicklung ist zudem mit einigem Aufwand verbunden, denn es besteht das Risiko, dass sich das Virus durch immer neue Varianten dem Zugriff entzieht: So wurde zum Beispiel in Vietnam zwar erfolgreich vakziniert, doch es mussten fünf verschiedene Impfstoffe hintereinander eingesetzt werden. Geimpfte Geflügelherden müssten sehr gut überwacht werden, auch, weil der Impfschutz zu Nachlässigkeit in Bezug auf die Biosicherheit verleiten könnte.
In Ausgabe 1/2022 von Der Praktische Tierarzt haben wir ausführlich über die Session zur Aviären Influenza auf dem bpt-Kongress DIGITAL 2021 berichtet.
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