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Kälberiglu: Milchviehbetriebe brauchen ab Januar mehr Aufzuchtplätze.
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Kälberiglu: Milchviehbetriebe brauchen ab Januar mehr Aufzuchtplätze.

Tierschutztransportverordnung

28 Tage im Geburtsbetrieb

Seit Jahresbeginn 2023 gilt für Kälber ein Mindesttransportalter von 28 Tagen.  Für die erfolgreiche Aufzucht im Milchviehbetrieb braucht es ein gutes Kälbermanagement.

  • Innerstaatliche Transporte von Kälbern sind ab 01. Januar 2023 erst ab einem Alter von 28 Tagen zulässig. Insbesondere Holstein-Kälber müssen demnach deutlich länger auf dem Geburtsbetrieb aufgezogen werden als bisher.
  • Das Landwirtschaftliche Bildungszentrum (LBZ) Echem in Niedersachsen hat bereits Erfahrungen mit der verlängerten Aufzucht gesammelt. Aus den Niederlanden gibt es erste Forschungsergebnisse zum Einfluss des Transportalters.
  • Eine optimale Versorgung mit Kolostrum, gute Fütterung und Haltung auch für Verkaufskälber sind entscheidend, damit Kälber mit vier Wochen robuster auf den Transport gehen.

Kurven und Bremsmanöver sorgen für unsicheren Stand, die Umgebung ist unbekannt und oft ungewohnt kalt oder drückend heiß. Auf die Kälber warten Begegnungen mit fremden Menschen und eine neue Gruppe von Artgenossen. Ein Transport bedeutet Stress – auch für das Immunsystem, das mit einem komplett neuen Erregerspektrum konfrontiert wird. Bisher gingen oft schon sehr junge Tiere im Alter von 14 Tagen auf die mitunter weite Reise zum Mäster, mit Zwischenstopps auf Sammelstellen oder Kälbermärkten. Seit dem 01. Januar 2023 sind innerstaatliche Transporte erst ab einem Alter von 28 Tagen erlaubt, mit der Ausnahme von Transporten unter 50 km im eigenen Fahrzeug des Landwirts. Die Kälber sollen die Reise in robusterer Verfassung antreten.

„Verletzte Tiere und Tiere mit physiologischen Schwächen und pathologischen Zuständen“ gelten laut Anhang 1 Kap. 1 Nr. 1 der VO (EG) 1/2005 als nicht transportfähig. Die neue deutsche Tierschutz-Transportverordnung folgt der Argumentation von Bundestierärztekammer und Tierärztlicher Vereinigung für Tierschutz e. V., die im Januar 2021 in einem Positionspapier erklärten, Kälber seien bis zur Entwicklung eines stabilen Immunsystems bis zum Abschluss der vierten Lebenswoche als „Tiere mit physiologischen Schwächen“ anzusehen und daher nicht transportfähig. Sie befinden sich in einer immunologischen Lücke, weil die Konzen­tration kolostraler Antikörper abnimmt, das eigene Immunsystem aber noch unzureichend ausgebildet ist. Ein hoher Prozentsatz der Kälber ist mit Kolostrum ohnehin unterversorgt. 

Verlängerte Kälberaufzucht auf dem Geburtsbetrieb


Top Job:


Fleckvieh-Kälber werden meist ohnehin vier Wochen im Geburtsbetrieb aufgezogen, doch die meisten Holstein-Friesian-Kälber wurden bisher bereits im Alter von 14 Tagen verkauft. Viele Milchviehbetriebe, vor allem im Norden und Osten Deutschlands, müssen sich jetzt also auf eine deutlich verlängerte Kälberaufzucht einstellen. „Das wird mit Sicherheit eine große Herausforderung“, meint Dr. Caroline Esfandiary vom Rindergesundheitsdienst der LUFA Nord-West. Neben Betrieben, die eine Umstellung bereits vorbereitet haben, gäbe es auch solche, die sich damit nur wenig befasst haben.

Im Landwirtschaftlichen Bildungszentrum (LBZ) Echem der Landwirtschaftskammer Niedersachsen wird die verlängerte Aufzucht im Geburtsbetrieb im Rahmen einer Praxiserprobung bereits seit Sommer 2021 durchgeführt. Tierärztin Esfandiary berichtet von positiven ersten Erfahrungen. In Echem wurden für mehr Platz zusätzliche Top-Calf-Kälberhütten angeschafft, ab Tag 21 wechseln die Kälber in Gruppenhaltung. „Dort haben wir die Gruppengröße soweit hochgeschraubt, dass es nicht zu Einbußen bei der Kälbergesundheit führt, und kommen so bisher gut zurecht“, meint Esfandiary. Arbeits- und kostenintensiv sei die neue Anforderung aber dennoch – obwohl der Betrieb sich im Vorfeld schon um geringere Kälberzahlen bemüht hat, indem beispielsweise Zwischenkalbezeiten verlängert wurden.

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Aus Sicht der Tierärztin kann der Stress für die Kälber auf dem Transport und in den Mastbetrieben durch erste Erfahrungen mit der Gruppenhaltung auf dem Geburtsbetrieb reduziert werden. Auch an eine steigende Festfutteraufnahme werden die Kälber schon gewöhnt. Ein Tränkeplan, der ad libitum startet, reduziert die Menge an Milchaustauscher (MAT) bis zum Verkauf schrittweise auf 10–12 l. Gegen Grippe kann schon vor dem Transport ein erstes Mal geimpft werden. „Durch das größere Körpervolumen und die steigende Aufnahme von Festfutter kann davon ausgegangen werden, dass die Kälber mit vier Wochen schon eine bessere Thermoregulation aufweisen und besser mit Stress umgehen können“, meint Esfandiary. Keinen signifikanten Unterschied konnte sie hingegen bei den im Rahmen der Praxiserprobung ermittelten Blutparametern feststellen, die im Alter von 14 und 28 Tagen bestimmt wurden. 

Forschende um Dr. Kees van Reenen aus den Niederlanden, wo viele Kälber aus Deutschland gemästet werden, haben 2022 ebenfalls den Einfluss des Transportalters auf Immunglobulin-Titer und Blutparameter untersucht. Ihre Ergebnisse deuten auf eine fortgeschrittene Entwicklung der erworbenen Immunität im Alter von 28 Tagen hin, auch wenn die Kälber sich dann vermutlich noch immer in der immunologischen Lücke befinden. Einen durchweg positiven Effekt eines Transports mit 28 versus 14 Tagen stellten van Reenen und Kollegen hingegen in Bezug auf Gesundheit und Zunahmen der Kälber fest: Das Gewicht der Tiere war nicht nur beim Einstallen im Mastbetrieb, sondern auch bei der Schlachtung höher, die Kälbersterblichkeit hingegen niedriger. Die Autoren kommen wie Esfandiary zu dem Schluss, dass weitere Forschung nötig ist, um das ideale Transportalter für Kälber zu finden.

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Mehr Erkrankungen bei Bullenkälbern

Die täglichen Zunahmen von Verkaufskälbern der Milchrassen sind nicht mit denen von Masttieren bzw. Zweinutzungsrassen vergleichbar. Entsprechend kostete die Aufzucht den Landwirt bereits in den letzten Jahren unter Umständen mehr als den Erlös, den er für das Kalb erzielen konnte. Die LBZ Echem konnte laut Caroline Esfandiary bereits in der Vergangenheit aufgrund einer guten Kälbergesundheit und durch das Einkreuzen von Fleischrassen gute Kälbererlöse erzielen. Der Betrieb bekommt vom Mäster für die älteren Kälber nun 100 Euro mehr. Die Mehrkosten für den hochwertigen MAT und die Impfung belaufen sich ebenfalls auf etwa 100 Euro, der zusätzliche Arbeitsaufwand, Investitionskosten oder eine ggf. notwendige Enthornung sind damit nicht abgedeckt. 

Es gibt Hinweise darauf, dass Bullenkälber unter anderem wegen ihrer geringen wirtschaftlichen Bedeutung einen schlechteren Start ins Leben haben könnten als ihre weiblichen Artgenossen. Im Rahmen der bundesweiten Prävalenzstudie zu Tiergesundheit, Hygiene und Biosicherheit in deutschen Milchviehbetrieben, PraeRi, wurden für einen Geschlechtervergleich 1.429 Bullenkälber und 1.660 weibliche Kälber in den ersten 14 Lebenstagen untersucht. Männliche Kälber litten signifikant häufiger an Durchfall, Omphalitis und Störungen des Bewegungsapparates sowie Multimorbidität als weibliche. Das PraeRi-Team nennt das höhere Geburtsgewicht von Bullenkälbern als eine mögliche Ursache. Es gibt jedoch auch deutliche Hinweise auf eine vermutlich unbewusste schlechtere Versorgung männlicher Kälber, zum Beispiel durch nachlässigere Tierkontrollen. Es gilt also zu vermeiden, dass ein längeres Verbleiben der häufiger erkrankten Bullenkälber auf den Milchviehbetrieben in Zukunft zu steigenden Erkrankungs- und Mortalitätsraten führt.

Nur wenn die Kälber gut mit Kolostrum versorgt, vier Wochen lang gut gefüttert und gehalten werden, kann es gelingen, sie im Alter von 28 Tagen tatsächlich robuster auf den Transport zu schicken. Hier gibt es auf vielen Betrieben noch Verbesserungsbedarf. Die Qualitätsunterschiede mehr oder weniger gut versorgter Kälber werden nach 28 Tagen sichtbarer sein als nach zwei Lebenswochen. „Grundvoraussetzung ist ein optimales Kälbermanagement sowohl für die Verkaufskälber als auch für die eigene Nachzucht“, glaubt Caroline Esfandiary. „Wir müssen zusehen, dass wir nicht am falschen Ende sparen.“

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